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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 16. August 2003 |
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Gregor Mendel: Genius der Genetik Internationale Ausstellung im mährischen Brünn von Dietmar Stutzer Nach der vorläufig letzten Erfolgsmeldung über die "vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms durch Kartierung" haben kritische Genetiker eine Erklärung abgegeben, die nur allzu wahr ist: "Das menschliche Erbgut ist jetzt in einem aufgeschlagenen Buch geordnet, aber man weiß deshalb nicht auch schon, was drin steht." Gregor Mendel, Augustinerabt im mährischen Brünn, ist das nicht passiert. Er war der erste Mensch, der die Ordnung der Gene als den Hieroglyphen der Schöpfung und des Lebens erkannt und verstanden hat und obendrein den Ordnungsschlüssel fand, nach denen sie die Weitergabe des Lebens, seine Formung und Gestalt steuern. Die Bedeutung von Mendels Erkenntnissen, die er stets experimentell absicherte und wiederholbar machte, wird wohl selbst in der eben angebrochenen Epoche der Genetik und Gentechnik nicht ausgeschöpft werden. Sein naturwissenschaftliches Format stellt ihn gleich neben Kopernikus, Galilei und Einstein. Noch bis zum 30. November erinnert die Augustiner-Abtei St. Thomas in Alt-Brünn mit der internationalen Ausstellung "Mendel: Genius der Genetik" an ihren berühmtesten Sohn. Die tschechische Presse bedachte die später auch im Ausland zu sehene Schau mit ungewöhnlich großer Anerkennung. Die eigens erstellten wissenschaftsgeschichtlichen Informationen sind bisher leider nur in Tschechisch und Englisch verfügbar, jedoch soll wenigstens bei der Präsentation jenseits der Grenzen das Deutsche hinzukommen (im Internet ist dies schon jetzt der Fall). Gregor Mendel wurde 1822 als Bauernsohn im österreichischen Teil Schlesiens geboren und war damit zugleich Schlesier und Mährer (auf letzteres haben die in der Region um Troppau und Jägerndorf beheimateten Schlesier immer Wert gelegt). Im Jahre 1843 trat er in den Augustinerorden und in "sein" Kloster St. Thomas in Brünn ein, wo er 1884 als dessen Abt auch verstarb. Als Wissenschaftler und erst recht als wissenschaftlicher Entdecker blieb Mendel zeit seines Lebens völlig unbeachtet. Erst nach der Jahrhundertwende haben die Niederländer Corens und de Vries sowie der Österreicher Tschermak seine Ergebnisse "neu entdeckt". Besonders Tschermak, ein Botanik- und Pflanzenbauwissenschaftler an der Hochschule für Bodenkultur in Wien, sorgte dafür, daß das Erkenntnis- und Datengebäude Mendels als Grundlage der modernen Vererbungslehre erkannt und angewandt wurde. Klöster erinnern sich seit jeher umfassend an sich selbst und dokumentieren sorgfältig die Lebensläufe ihrer Bewohner. Deshalb weiß man über den geistigen Werdegang Mendels gut Bescheid. Er war ein markanter Vertreter des universalen antiken Bildungsideals, das für das Bildungsideal der Klosterkirche charakteristisch geblieben ist. Interesse für die Naturwissenschaft, besonders für die Landwirtschaft, stand für Mendel gleichrangig neben bibelkundlichen und theologischen Fächern sowie alten Sprachen (Hebräisch, Griechisch und Arabisch). Die wissenschaftliche Landwirtschaft war erst 1816 durch Franz Diebl, Inhaber der zweiten Professur für Landwirtschaft in Mähren, in Brünn eingerichtet worden. Dieser war es auch, der ab 1851 Mendels "Zweitstudium" der Physik und Botanik in Wien möglich machte. Gregor Mendel war somit Theologe, Altphilologe, Botaniker und Physiker und - mit einem heutigen Begriff ausgedrückt - auch Informatiker. Sein ausgeprägtes, innovatives Verständnis für die Möglichkeiten, naturwissenschaftliche Beobachtungen in Daten auszudrücken und diese so zu ordnen, daß nicht nur die Dateninhalte, sondern auch deren Ordnung Erkenntnisse lieferten, war für seine Zeit einmalig. Weltbekannt sind heute vor allem die von Mendel gefundenen Regeln, nach denen sich Vererbung ereignet. Gewonnen wurden sie durch seine Versuche mit Erbsen, Bohnen und Habichtskraut (ein stehender Terminus der Genetik lautet: "Die Eigenschaften sind ausgemendelt."). Doch hierin erschöpfte sich das Erkenntnisgebäude des Augustinermönches bei weitem nicht. Heute ist sicher, daß Mendel die Existenz von Genen erkannte. Und dies zu einer Zeit, in der - als er bereits Abt war - Darwin noch von der Vereinigung von Körpersäften bei der Fortpflanzung schrieb, nicht anders als Aristoteles 2200 Jahre vor ihm. Ebenso wichtig sind Mendels Erkenntnisse für die Zelltheorie sowie seine Beobachtung, daß durch Kreuzung neue Varietäten erzeugt werden können, einschließlich der Erkenntnis, daß dazu die Verschmelzung zweier Zellen notwendig ist. Mit seinen an Erbsen durchgeführten Experimenten erforschte er dieses Rätsel der Fortpflanzung weiter im Detail und konzentrierte sich auf Aspekte, die bis dato übersehen worden waren: die Wichtigkeit, Paare von Merkmalen zu betrachten, und die statistischen Gesetze, welche die Muster ihres Wiederauftretens in den Nachkommenschaften steuern. In der Anwendung des Wissens, das er sich durch seine Studien der Experimentalphysik und Mathematik angeeignet hatte, entwickelte Mendel spezielle Methoden der künstlichen Bestäubung, um kontrollierte Kreuzungen durchführen zu können. Mit diesen Techniken entdeckte er, daß neue Muster der Merkmalskombination erkennbar werden, wenn man genügend große Individuenzahlen der Versuchspflanzen über mehrere Generationen hinweg beobachtet. Mendels Experimente begannen im Sommer 1856. Drei Jahre später wurde Darwins Werk "The Origin of Species" (Der Ursprung der Arten) publiziert. Der Augustinermönch hat die deutsche Übersetzung von 1863 gelesen, wie sich aus Bleistiftnotizen in der Ausgabe erkennen läßt, die die Klosterbibliothek noch immer bewahrt. Gleiches gilt für ein weiteres Werk Darwins: "The Variation of Animals and Plants under Domestication" (London, 1863). Gregor Mendel akzeptierte die Idee der Evolution der Organismen im Ansatz, aber sein eigenes Verständnis der Pflanzenkreuzungen stand im Widerspruch zu Darwins fraditionellen Sichtweisen. Entscheidend war, daß sich der schlesische Mährer auf die Merkmale konzentrierte, also das, was vererbt wird, sowie auf die Muster, nach denen diese Merkmale von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. In einem anderen Bereich experimentierte Mendel mit Kreuzungen von Bienen. Dabei suchte er weitere Bestätigungen für seine Ergebnisse aus den Erbsenexperimenten. Im Klostergarten wurde für ihn ein nach eigenen Plänen ausgestattetes Bienenhaus errichtet. Die Mehrzahl von Mendels Publikationen galt überraschenderweise nicht der Genetik, sondern der Meteorologie. Eines seiner Protokollbücher meteorologischer Schwankungen, datiert vom Juli 1857, zeigt eine peinlich genaue Vorgehensweise bei der Registrierung wie beim Vergleich der Daten. Das dritte große Interessenfeld des forschenden Mönches war die Astronomie. Sein Exemplar der "Populären Astronomie" von Joseph Johann Littrow (1825) enthält persönliche Anmerkungen über die relativen Positionen der Sonne und der Erde. In der Wiener Studienzeit hatte er sich die Verfahren der Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitstheorie in den angewandten Naturwissenschaften erschlossen. Man darf heute vermuten, daß es ein solch günstiges Forschungsumfeld, wie es Gregor Mendel seit dem Eintritt in die Abtei St. Thomas 1843 vorfand, zu dieser Zeit wohl nur in einem Kloster geben konnte. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß seit 1807 ein kaiserlicher Erlaß den Wunsch festschrieb, die Augustiner von St. Thomas sollten den Unterricht in Bibelkunde und Mathematik im neu eingerichteten Brünner Philosophischen Institut übernehmen. Die Konventualen hatten seither Zugang zu wissenschaftlichen Geräten, einer bedeutenden botanischen Sammlung sowie vielfältigen Lehrbehelfen. Die Abtei selbst besaß eine reich sortierte, voll erschlossene und schöne Bibliothek. Deren Katalog aus dem 18. Jahrhundert belegt vor allem eine breit angelegte mathematisch-naturwissenschaftliche Büchersammlung. Unter den in der Abtei erschlossenen Dokumenten und Objekten finden sich auch Listen von Samen, die Mendel für den Garten der Abtei bestellt hatte, und Werkzeuge für Pfropfungen. Gregor Mendel war zwar auch Botaniker und Biologe, aber persönlich verstand er sich nicht als solcher. Sein Selbstbild muß das des Theologen und Mathematikers gewesen sein. Gerade deshalb wird ihm die im 19. Jahrhundert einzigartige Innovation gelungen sein, biologische Grundvorgänge wie die Vererbung durch mathematische Modelle sichtbar und verstehbar zu machen. Angesichts der Bedeutung der wissenschaftlichen Leistungen dieses Mannes kann man dem tschechischen Staat, der Kommune Brünn und dem Augustinerkloster nur Erfolg für das Vorhaben wünschen, nach dem begonnenen Wiederaufbau von Mendels Garten ein Museum für Genetik sowie ein Konferenz-Zentrum für Gen-Forschung aufzubauen. Letzteres müßte dann auch die ethischen Aspekte der
Gen-Forschung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft untersuchen, wobei die
Stadt Brünn und das Augustinerkloster den unschätzbaren Standortvorteil
hätten, daß auf Mendel nicht der kleinste ethische Schatten gefallen ist. Denn
es gab zwar einen "Sozialdarwinismus", einen "Sozialmendelismus" aber
nie. |