20.04.2024

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23.08.03 / Der Sinn und Unsinn von Amnestien und die Suche nach den wirklich Schuldigen 

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 23. August 2003


Es geschehe Gerechtigkeit
Der Sinn und Unsinn von Amnestien und die Suche nach den wirklich Schuldigen 
von R. G. Kerschhofer

Nach dem Sturz der argentinischen Militärdiktatur 1988 waren "die Generäle" zwar verurteilt worden, doch im Interesse der nationalen Versöhnung kamen bald darauf Gesetze, welche die Verurteilten amnestierten und weitere Verfahren verhinderten. Der neue Präsident Néstor Kirchner macht nun Schluß mit diesem Schlußpunkt unter die Vergangenheit: Die Amnestiegesetze werden rückwirkend abgeschafft.

Was wie Gerechtigkeit aussieht, hat allerdings seine Tücken und erinnert ein wenig an das präpotente "bring them to justice" des US-Präsidenten. Der läßt auch alle von seinen Vorgängern begünstigten Taliban, Osamas und Saddams ohne Verfahren liquidieren oder ins KZ stecken - und nennt es Gerechtigkeit.

Unter der vereinfachenden Annahme, daß Gesetze und Urteilssprüche gerecht sind, müssen Amnestien zwangsläufig Unrecht sein. Dabei ist es egal, ob man die volle oder teilweise Begnadigung nach einem Urteil meint oder ein vorübergehendes oder bedingtes Aussetzen der Verfolgung (als Beispiel: Steueramnestie). Beides ist ungerecht gegenüber Gesetzestreuen und Nichtamnestierten.

Auch Verjährung gehört in diese Kategorie. Und natürlich die "Kronzeugenregelung", ein Kuhhandel, der dem Delinquenten Vorteile bringt, wenn er seine Komplizen ans Messer liefert. Dennoch gibt es ernstzunehmende Gründe für Amnestien. Soll denn überhaupt Gerechtigkeit absoluten Vorrang haben? "Fiat iustitia, et pereat mundus" - "Es geschehe Gerechtigkeit, selbst wenn dabei die Welt zugrunde gehen sollte" - war der Wahlspruch von Kaiser Ferdinand I.

Im Rückblick allerdings erscheint dieser vor 500 Jahren geborene Herrscher wesentlich konzilianter und pragmatischer als etwa sein älterer Bruder Karl V. und erst recht seine Nachfolger. Vielleicht ahnte er, daß sture Prinzipienreiterei nur in die Katastrophe führt. Der Dreißigjährige Krieg, der das Reich verwüstete und nachhaltig seiner ihm zukommenden Bedeutung beraubte, sollte dies bestätigen.

Jeder Machthaber, Gesetzgeber und Richter sollte sich immer wieder fragen, was bei Entscheidungen weniger Schaden anrichtet, alttestamentarische Bedingungslosigkeit oder aufs Gemeinwohl bedachte Kompromisse. Gewöhnliche Kriminalität ist dabei natürlich anders zu betrachten als Politik, denn in letzterem Fall kann eine unvergleichlich größere Zahl von Menschen geschädigt werden. Mit Sicherheit von Übel ist es, eine bereits erteilte Amnestie ohne neue Tatbestände zu widerrufen, denn das untergräbt die Glaubwürdigkeit, eine der Säulen menschlichen Zusammenlebens: Bekanntlich "verzieh" Saddam Hussein seinen Schwiegersöhnen, die ins Ausland geflüchtet waren - nur um sie zurückzulocken und zu liquidieren. Spätestens dann war kein Iraker mehr so naiv, irgendeiner Versprechung zu trauen.

Was immer man über das Regime von Pinochet - und natürlich auch über das von Allende davor - denken mag, Pinochet war bereit, die Macht in Chile abzugeben und eine liberalere Phase einzuleiten, weil er sich als Senator auf Lebenszeit Immunität zusichern lassen konnte. Oder dies zumindest glaubte, denn der spanische Untersuchungsrichter Garzón nützte Jahre später einen Spitalsaufenthalt Pinochets in London, um eine Justizgroteske auszulösen und den Aussöhnungsprozeß in Chile nachhaltig zu stören. Der gleiche Señor Garzón trachtet auch danach, "die Generäle" in Argentinien zu verfolgen - trotz der argentinischen Amnestie. Aber niemand in Südamerika liebt es, wenn sich die einstige Kolonialmacht einmischt, und so sah sich Präsident Kirchner veranlaßt, seinerseits die Amnestie aufheben zu lassen. Gewiß, die Angehörigen von Opfern jubeln - doch was ist der Preis? Diktatoren wird es so lange geben, als eklatante Mißstände ihnen den Vorwand zur Machtergreifung liefern. Aber kein künftiger Diktator wird mehr auf Amnestien vertrauen und freiwillig auf die Macht verzichten, sondern bis zum Äußersten gehen und viele mit ins Verderben reißen.

Ja, es war ungerecht, daß ein Idi Amin unbehelligt im saudischen Exil leben und sterben durfte. Aber hätten Alternativen nicht noch mehr Leid angerichtet? Ähnlich jetzt mit dem Liberianer Taylor. Vielleicht hätte man auch einen Milosevic insgesamt viel billiger loswerden können.

Und ebenso die meisten Nazi-Größen, die wesentlich korrupter waren, als sie es der Welt weismachen wollten. Aber es galt eben die Formel von der bedingungslosen Kapitulation, die noch Millionen Opfer auf beiden Seiten fordern sollte.

Daß man 1815 darauf verzichtete, den Aggressor Napoleon hinzurichten, hat den Völkern Europas sicher mehr genützt als geschadet. Die Suche nach historischer Wahrheit ist legitim, nur muß sie ohne Einseitigkeit und ohne Belastung der Nachgeborenen betrieben werden. Irdische Gerechtigkeit aber kann immer nur bedingte Gerechtigkeit sein.

Bringt sie vor Gericht: doch Gerechtigkeit hat praktische Tücken

Ungerechtigkeit: Idi Amin konnte unbehelligt in Saudi-Arabien leben

Amnestien untergraben die Glaubwürdigkeit in das staatliche Recht

Buenos Aires: Der ehemalige Diktator Chiles, Augusto Pinochet Urgate, und Maria Estela Martinez de Peron, die zweite Ehefrau des argentinischen Staatspräsidenten Juan Domingo Peron, bei einem Staatsbankett 1975. Für die Verbrechen während der Pinochet-Diktatur wurden in Chile zunächst Amnestien vorgesehen. Heute werden die Täter von damals verfolgt. Foto: keystone