Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 30. August 2003 |
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Die Welt im Privatisierungs-Wahn Kritische Nachbetrachtungen zum "Blackout" in Nordamerika von Carl Gustaf Ströhm Der "Blackout", der New York und den Nordosten der USA sowie Teile Kanadas lahmlegte, ist erst seit einigen Tagen vorüber - und doch ist er bereits fast vergessen. Er wird überlagert von der "Geiselbefreiung" in der Sahara, und diese wiederum wird zur Seite geschoben durch neue Schreckensmeldungen aus dem Irak und Afghanistan, wo sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert. Was zählt da schon die "versehentliche" Erschießung eines Kameramannes der Agentur Reuters durch US-Soldaten in Bagdad: ein sogenannter "Kollateralschaden", weiter nichts. Was erstaunt und alarmiert, ist die Tatsache, daß sich die Weltöffentlichkeit - und nicht zuletzt die öffentliche Meinung in Deutschland - mit einer oberflächlichen Deutung der Ereignisse zufriedengibt. Die Geiselbefreiung ist gewiß ein wunderbarer Tag für die Befreiten. Das offizielle Lob der Berliner Regierung für die Regierung von Mali mag verständlich sein. Nur wenige kritische Stimmen wagten den Einwand, daß die Lösegeldzahlung in Höhe von mehreren Millionen Euro künftig Entführer ermutigen wird, mit der Praxis der Geiselnahme fortzufahren. Die Tarnung, wonach Berlin das erpreßte Lösegeld nicht direkt bezahlt, sondern die Regierung von Mali die Summe vorstreckt, um sie dann in Form erhöhter Entwicklungshilfe ersetzt zu bekommen, ist - bei Lichte besehen - nichts als Augenwischerei: Das Geld wandert von einer Tasche in die andere, um am Ende bei den radikal-islamistischen Entführern zu landen, die sich damit weitere Waffen und Gerät für das nächste "kidnapping" beschaffen können. So schön es ist, wenn die Entführten (bis auf eine an Hitzschlag verstorbene Frau) lebend in die Heimat zurückkehren - das Problem hat sich durch diese Art des Krisenmanagements nicht gelöst, sondern weiter verschärft. Selbst wenn es zynisch klingen sollte: Die Tatsache bleibt, daß hier nach typischer Manier verfahren wurde - man löst auf kurze Sicht ein Problem und schafft damit auf lange Sicht (nächste Entführung und Freipressung) ein weiteres, langfristiges Problem. Alle deutschen oder westlichen Orient-Touristen, die in islamische Länder reisen, müssen sich darüber klar sein, daß sie sich einem Risiko aussetzen. Die Zeit, da man sich naiv und neugierig zwischen die "Eingeborenen" begeben konnte, dürfte vorbei sein. Wer unter diesen Umständen weitere Sahara-Durchquerungen oder ähnliche Abenteuer plant, handelt leichtfertig und verantwortungslos nicht nur gegenüber sich selber, sondern auch gegenüber der Gemeinschaft, die eines Tages für ihn Lösegeld zahlen muß. Eine ähnlich kurzfristige, um nicht zu sagen kursichtige Wahrnehmung herrscht gegenüber dem Phänomen des totalen Stromausfalls an der US-Ostküste vor. Die Regierung Bush versicherte mit beinahe verdächtiger Eile, daß es sich "nur" um ein technisches Gebrechen und keinesfalls um einen Terroranschlag handle. Das mag stimmen, wiewohl man sich gewiß fragen könnte, ob die terroristische Variante (oder Möglichkeit) nicht deshalb so vehement ausgeschlossen wurde, weil es sonst Panikreaktionen gegeben hätte. Die Vorstellung, islamistische oder sonstige Extremisten könnten auf diese Weise das Leben großer Weltstädte zum Erliegen bringen, trägt den Geschmack von Apokalypse in sich. Es wäre das Ende aller Sicherheit. Sicher ist nur eines: die Planer von Al Qaida, die irgendwo gut getarnt am Werke sind, werden ihre Studien über die New Yorker Stromfinsternis machen und ihre Lehren daraus ziehen. Auch in diesem Fall wurde eine kurzfristige Lösung - nämlich die Wiederherstellung der Stromversorgung - als "Erfolg" verkauft, während das große Problem - daß nämlich die Mammut-Großstädte der westlichen Welt gar nicht mehr hundertprozentig zu kontrollieren sind - gewissermaßen außen vor bleibt. Wie sagte es der alte Morgenstern: "Korff bedachte messerscharf, daß nicht sein kann, was nicht sein darf." Dazu gibt es einen weiteren, meist unter den Teppich gekehrten Aspekt der großen amerikanischen "Verdunkelung": In den USA sind die Stromerzeuger großenteils in privatem Eigentum. Von vielen E-Werken der USA heißt es, sie befänden sich technisch auf dem Stand vor dem Zweiten oder gar Ersten Weltkrieg. Es kann also auch sein, daß die amerikanische Stromkatastrophe durch das Profitstreben von E-Werk-Eigentümern zumindest mit verursacht wurde. Damit aber sind wir bei einem entscheidenden Problem angelangt. Nach amerikanischem Vorbild sollen nun, initiiert durch die Welthandelsorganisation WTO und das sogenannte GATS-Abkommen (über den Handel mit Dienstleistungen), so gut wie alle Lebensbereiche, die bisher im Eigentum der öffentlichen Hand gewesen sind, total privatisiert werden. Das bezieht sich auf den Verkehr (Eisenbahnen, Straßenbahnen), auf Strom- und Wasserversorgung, auf Post und Telekommunikation (wo die Privatisierung bereits vollzogen wurde - meist mit nicht gerade positiven Resultaten). Auch Schulen und Gesundheitswesen sollen privatisiert werden. Mehr noch: den einzelnen (National-)Staaten wird verboten, Subventionen oder Fördermittel an einheimische Betriebe - etwa an einen Autobus-Unternehmer, der Kinder in die Schule fährt - nach "nationalen" Kriterien zu vergeben. Alle ausländischen Anbieter müßten in den Genuß der gleichen Subventionen kommen. Auch das Trinkwasser soll privatisiert und damit der Zugang zu sauberem Wasser vom Profit eines einzelnen oder gar einer transnationalen Gesellschaft abhängig gemacht werden. Nichtrentable Bahnlinien und Krankenhäuser werden, wenn sie nicht zu verkaufen sind, abgerissen und die Einzelteile "verscheuert". Gesundheit und Bildung (Ausbildung) werden teurer. Den ärmeren Bevölkerungsschichten wird damit der Zugang zu diesen Errungenschaften erschwert oder gleich ganz unmöglich gemacht. Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht mehr als ein Zufall, daß sich just zum Zeitpunkt, da die "Totalprivatisierung" zur Debatte steht, zwei - dazu noch angeblich christdemokratische und konservative - Jung-Politiker melden. Aus Deutschland hören wir den Vorschlag, über Achtzigjährigen keine Hüftoperationen mehr zu bezahlen - sie also bis ans Lebensende an Krücken oder gleich ganz im Krankenbett zu halten. Und aus Österreich meldete sich eine junge "Konservative", die der älteren Generation empfahl, den Mund zu halten, denn die Älteren hätten zwar das Land nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut, zugleich aber seien sie ja schließlich mitschuldig an Zuständen, die zu den Zerstörungen geführt hätten. Gemütsathleten in christlich-demokratischer Kostümierung: eine seltsame Kombination. In diesem Zusammenhang sollte man sich der Tatsache erinnern, daß das alte Königreich Preußen niemals auf bloßes Geldverdienen aus war. Der König bezeichnete sich als "erster Diener des Staates", und es gab, wenn auch im Stil der damaligen Zeit paternalistisch, eine staatliche Fürsorge für Invaliden sowie Waisenhäuser. Unter Bismarck wurden im Deutschen Reich Arbeitslosen- und Sozialversicherung, ferner das Verbot der Kinderarbeit eingeführt. Das damalige - und im Kern bis heute existierende - deutsche Sozialsystem galt als Vorbild für viele, auch und gerade für westliche Staaten. Leider kommt in der gegenwärtigen Debatte über die Grenzen des Sozialstaates (die es natürlich gibt) ein Argument zu kurz: nämlich die Erkenntnis, daß sich zwar viele, aber gewiß nicht alle Lebensbereiche für eine totale Privatisierung eignen. Um ein Beispiel zu nennen: Die katholischen Krankenhäuser (oft auch die evangelischen) sind bei den Patienten sehr geschätzt, weil dort geistliche Schwestern tätig sind, denen nicht die Entlohnung und die Freizeit besonders wichtig sind, weil also dort aus christlicher Barmherzigkeit geholfen, geheilt oder mitgelitten wird. Kein privater Unternehmer mit noch so tüchtigem Personal wird das jemals ersetzen können. Wenn man liest, daß in deutschen und österreichischen Großstädten jetzt schon die Privatisierung der Straßenbahnen und des Nahverkehrs zur Debatte steht, greift man sich an den Kopf: die von der Stadtgemeinde betriebene städtische Straßenbahn hat sich ja erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts durchgesetzt, weil die damaligen Privatunternehmer nicht willens oder in der Lage waren, die Fahrgäste ohne Rücksicht auf Profitinteressen zu befördern und rechtzeitig ans Ziel zu bringen. Gewiß gab es in den vergangenen Jahrzehnten gewisse sozialdemokratische Übertreibungen in der sozial- und "gemeinwirtschaftlichen" Ökonomie. Aber jetzt ins gegenteilige Extrem zu verfallen und das Kind mit dem Bade auszuschütten kann keine Lösung sein. Es gibt gewisse hoheitliche und gemeinwirtschaftliche Bereiche, die von Profitinteressen freigehalten werden sollten. Gerade die Preußen sollten sich daran erinnern, daß preußische Gesinnung und Lebensführung ohne soziales Gewissen undenkbar gewesen wäre. Bei den Franzosen gibt es noch heute die Redewendung: "Arbeiten für den König von Preußen" (Travailler pour le roi de Prusse). Sie bedeutet: um Gotteslohn, also ohne finanzielle Entlohnung, zu arbeiten. Auch heute sollten Profit und Gewinn, so wichtig sie auch sind, nicht alles bedeuten. Wo die blanke Profitgier herrscht: Nicht nur bei der Stromversorgung, sondern auch in vielen anderen sensiblen Bereichen müssen einer hemmungslosen Privatisierung endlich Grenzen gesetzt werden. Der "Markt" kann vieles richten, aber eben doch nicht alles; damit wenigstens die Grundversorgung der in immer stärkerem Maße von Energie abhängigen Menschheit gesichert ist, müssen auch staatliche Strukturen handlungsfähig bleiben. So erweist sich die These, wir hätten generell "zu viel Staat", als allzu simpel und oberflächlich. In Wahrheit haben wir an bestimmten Stellen gewiß zu viel, an anderen aber inzwischen zu wenig Staat. Nur wenn wir hier zu mehr Ausgewogenheit gelangen und überzogene Privatisierungen wieder zurückfahren, werden wir verhindern können, daß auch bei uns die Lichter ausgehen. Foto: dpa "Arbeiten für den König von Preussen"Kurzsichtige Lösungen schaffen neue langfristige Probleme |