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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. September 2003 |
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Keineswegs nur Imponiergehabe Putins "Flottenbesuch" in Italien verdeutlicht Rußlands wiedererwachendes Großmachtstreben von Carl Gustaf Ströhm Dieser Tage fand in Italien ein besonderer Staatsbesuch statt: Rußlands Präsident Wladimir Putin war Gast des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Die beiden Staatsmänner trafen sich abseits des sonst üblichen Protokolls auf Berlusconis Super-Villa an der Costa Smeralda von Sardinien. Putin aber hatte ein ganz besonderes "Gastgeschenk" mitgebracht: vor der Küste Sardiniens erschienen der russische Raketenkreuzer "Moskwa" - Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte - mitsamt dem Raketenzerstörer "Smjetlivyi" und dem Versorgungsschiff "Iwan Bubnow". An Bord der Kriegsschiffe befanden sich außer der üblichen Mannschaft noch mehrere hundert Mann Spezial-Einsatztruppen. Im weitgehend abgerüsteten oder ungerüsteten Italien war das gewiß eine respektable Streitmacht zur See. Ein Nebeneffekt besonderer Art wurde dabei erzielt: die russischen Kriegsschiffe kamen in allernächste Nähe zu den Stützpunkten amerikanischer Atom-U-Boote - ein Vorgang, der noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Man wird sicher nicht in der Annahme fehlgehen, daß die russische Seite ihre entsprechenden Antennen und anderen elektronischen "Spielsachen" einsatzbereit gehalten hat, um möglichst viel über die Aktivitäten der amerikanischen Freunde zu erfahren. Wie sagte schon der alte Lenin: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." Aber das war gewiß nicht der Hauptzweck des Besuches aus dem Kreml. Da Italien zur Zeit den Vorsitz in der EU führt, ist sowohl Putins offizieller Besuch bei Berlusconi als auch der russische Flotten- besuch in den Gewässern vor Sardinien - in Wirklichkeit ein Besuch bei der EU. Rußland meldet damit seinen Anspruch als maritime (und, was besonders bezeichnend ist, auch mediterrane) Großmacht an. Vorbei sind die Zeiten, da man die russische Flotte als hoffnungslosen Schrotthaufen bezeichnen konnte. Die Russische Föderation gibt 20 Prozent des russischen Brutto-Inlandprodukts für militärische Zwecke aus. Das mag immer noch zu wenig sein, um den Amerikanern gewissermaßen in offener Seeschlacht Paroli bieten zu können. Es ist aber genug, um sich - wie es Putin zur Zeit tut - gegenüber dem Westen und den USA "dialektisch" zu positionieren: einmal als Freund, Sicherheitspartner und (fast schon) Bundesgenosse, dann aber wieder als Gegner, Kritiker und kontrapunktische Position. Das unter der Führung des "Halbrechten" Berlusconi stehende, weitgehend militärisch abgerüstete Italien war außerdem ein fruchtbarer Boden zur Förderung der russischen Position. Das Mittelmeer war in russischen Augen ohnedies - dem Anspruch nach - ein "halbrussisches Meer", weil es - aus Mos-kauer oder Sewastopoler Perspektive die Fortsetzung des Schwarzen Meeres war. Von italienischem Boden oder italienischen Gewässern aus ließ sich der Anspruch Rußlands am besten dokumentieren, in allen Fragen ernstgenommen zu werden. Das Mittelmeer ist ja nicht erst seit sowjetischen Zeiten ein besonderes Interessengebiet des Kreml. Aber heute ist es für jeden Kreml-Herren von besonderer Bedeutung: die Zentren aktueller amerikanischer Militärmacht befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft, nur wenige Kilometer entfernt: da ist das mit den USA eng verbundene Israel, da ist der Irak - und, gar nicht so weit, auch Afghanistan. In diesem Dreieck vollzieht sich das Drama amerikanischer und europäischer Macht. Die Russen waren schon immer Meister der Psychologie. Man kann sicher sein, daß sie - abgesehen von der militärisch-politischen - auch die psychologische Lage der Amerikaner im Irak genau studieren. Man braucht dabei kein besonderer Prophet zu sein, um festzustellen, daß die amerikanische Politik sowohl im Konflikt Israels mit den Palästinensern als auch auf dem eigentlichen Schauplatz, im Irak, drauf und dran ist, in immer größere Schwierigkeiten zu geraten. Im Irak entsteht ein veri-tabler Partisanen- oder Guerillakrieg - und in einem solchen Kampf sind die regulären ausländischen Truppen trotz technischer und waffenmäßiger Überlegenheit immer im Nachteil. Wie lange die amerikanische (und britische) Öffentlichkeit die ständigen Verlustmeldungen über hinterrücks erschossene eigene Soldaten noch psychologisch zu verkraften vermag, ist ungewiß. Sicher ist nur eins: eine amerikanische Niederlage im Irak würde, zumindest indirekt, die russische Position im gesamten Raum zwischen Mittelmeer und Hindukusch stärken. Man muß hier die Position Putins durchaus differenziert betrachten: Er braucht einerseits ein starkes, andererseits aber auch ein nicht zu starkes Amerika. Nur in dieser "Grauzone" kann sich Rußland behaupten und Kräfte für die Zukunft sammeln. Gastgeber Berlusconi ist insofern ein gleichfalls interessanter Fall, als er auch gegenüber Europa und den Europäern ein differenziertes, wenn nicht gar doppeltes Gesicht zu zeigen pflegt. Einesteils weiß Putin um die Schwächen Berlusconis, dessen Mitte-Rechts-Regierung militärisch eher schwach ist. Andererseits ist Berlusconi, der weitgehend auf der amerikanischen Linie marschiert, bei Präsident Bush in Washington gern gesehen. Putin kann also über den quirligen Italiener einiges in Wa-shington lancieren, was seinen Interessen zugute kommt. Denn während Berlusconi kein sichtbares Ziel verfolgt - außer jenem, mit seiner Koalition möglichst an der Macht zu bleiben (worin er sich von den meisten europäischen Politikern kaum unterscheidet) -, ist sich Putin seiner Ziele völlig klar. Es kommt nur darauf an, ob er imstande ist, diese mit adäquaten Mitteln zu erreichen. Erstes Ziel für Putin ist die Wiederherstellung russischer Großmacht - und damit auch der Großmachtpolitik. Zu diesem Zweck setzt er seinen Charme ein - schickt aber, zur Unterstützung seiner Argumente, auch die nötigen Kriegsschiffe. Sicher ist eines: von sentimentalen Gefühlen läßt sich der kühle Mann aus St. Petersburg nicht leiten. Machtpolitik verträgt da keinen Spaß. Die Frage ist, ob es ihm gelingen wird, Rußland aus der Tiefe seines Falles (und Verfalls) wieder emporzuholen. Gelingt es ihm nicht - dann muß sich Europa auf anhaltend instabile Zustände an seiner Ostgrenze gefaßt machen. Sollte es ihm gelingen, wäre auch das für die Europäer ein "mixed blessing" - denn dann könnte die russische Seite Begehrlichkeiten zeigen und Ansprüche stellen, die zu begleichen uns heute noch unvorstellbar erscheint. Putins "Flottenbesuch" bei den Italienern - Churchill sprach einst vom "weichen italienischen Unterleib Europas" - bietet also weit über den aktuellen politisch-diplomatischen Anlaß hinaus reichlich Stoff zum Nachdenken. Und jenen Optimisten, die in deutschen Landen, aber auch anderswo, die große europäisch-russische Allianz womöglich gegen den wildgewordenen Bush propagieren, haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn wenn es schon schwerfällt, die Amerikaner als Verbündete und Hegemonialmacht zu ertragen, so würde ein Fallen unter die Botmäßigkeit der Russen die Situation um vieles verschlimmern. In dieser Hinsicht ist der russische Bär unberechenbar. Man kann mit ihm Geschäfte machen und sogar sogenannte (nicht echte) Freundschaft pflegen. Aber alles sollte man ihm nicht anvertrauen. Wie heißt es so schön? "Jeder für sich und Gott für alle." Beeindruckende russische Streitmacht vor Italiens Küste. Die von Putin angebotene Freundschaft ist mit Argwohn zu betrachten. Neue Anlehnung: Silvio Berlusconi (r.) gibt sich gegenüber seinem neuen russischen Freund ungewöhnlich locker. Hemdsärmelig bekundeten die beiden Staatsoberhäupter auch vor der Presse, die gemeinsame Zusammenarbeit wiederbeleben zu wollen. Nahe der italienischen Küste lag jedoch eine ansehnliche russische Streitmacht vor Anker, die eher an alte Tage erinnerte. Foto: Reuters |