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13.09.03 / Lenins Bart und die Trabi-Romantik 

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. September 2003


Gedanken zur Zeit:
Lenins Bart und die Trabi-Romantik 
von Wilfried Böhm

Auf fast allen deutschen Matt-scheiben und in den Kinos gerät die DDR der Kommunisten zunehmend zum wehmütigen, streckenweise heiteren Zeitabschnitt jüngster deutscher Ge- schichte, in wohliger Erinnerung bejubelt von den einst Eingesperrten. Scheint es doch so, als habe das Sandmännchen und nicht Honek-ker diese DDR regiert. Die damaligen Promis aus Sport, Weltraum, und Unterhaltung spazieren über die Bühne, beklatscht von den Zuschauern, die damit ihrem eigenen Leben von einst endlich Beifall zollen können.

Ostalgie ist angesagt, und es ist wahr: die Spreewaldgurken schmeckten und schmecken - jedem. Die grausamen automatischen Tötungsanlagen am Metallgitterzaun hatte ohnehin keiner gesehen. Kein Wunder, denn wer bis zu ihnen kam, war wirklich am Ende des sozialistischen Paradieses, und wenn er dieses Ende überlebte, fand er sich hinter den Gittern einer Strafanstalt wieder. Die über zwei Millionen, die vor dem Bau der Mauer "rüber machten" hatten Glück gehabt.

Damit es kein Mißverständnis gibt: Keiner von den Akteuren und im Publikum der Ostalgieorgien will in die DDR zurück "Es ist gut so, wie es gekommen ist", meinen so gut wie alle, auch die Genossen Funktionäre von einst, mit ihren Renten in der Tasche. Die Wessis hingegen sind erstaunt - nach wie vor -, daß es Deutsche gab und gibt, die nicht immer in der Bundesrepublik mit den Errungenschaften von Ludwig Erhards sozialer Marktwirtschaft gelebt hatten, sondern hinter der Mauer im "Arbeiter- und Bauern-staat".

Wer Verwandte und persönliche Freunde dort hatte, schickte Pakete und fuhr, wenn er durfte, hin und wieder zum Besuch, wo auch die Stasi auf ihn wartete.

Alle anderen aber wußten - und wissen - viel von Paris und Rom, aber wenig von Leipzig und Dres-den. Darum waren die Wessis 1989 vom Ruf "Wir sind ein Volk" fast noch mehr überrascht, als die kommunistischen Genossen, gegen die er gerichtet war.

Kein Wunder, daß diese Deutsche Revolution, die es in der geschichtlichen Dimension sehr wohl mit der Französischen Revolution von 1789 aufnehmen kann, aber unblutig verlief, im deutschen Sprachschatz zur bloßen "Wende" schrumpfte, ein Wort aus dem Parteichinesisch der Kommunisten.

Kein Wunder auch, daß die Deutschen zwischen Rügen und dem Thüringer Wald nun auch "ihre Vergangenheit" haben wollen und dabei ihren Alltag vergolden. Sie haben hart gearbeitet, gezwungener- maßen mit viel Improvisation und Erfindergeist, waren sparsam bis zum Sammeln der Büroklammern, und sie haben gelacht und geliebt.

Sie haben in der "sozialistischen Wartegemeinschaft" Schlange gestanden und: Sie konnten erst 30 Jahre später als ihre Brüder und Schwestern nach Italien fahren. Dieser Vergangenheit gebührt Respekt, überall in Deutschland. Weil der Westen nicht wußte, wie ihm geschah, als die Trabis kamen, wurde die Wiedervereinigung nicht als nationales Ereignis gesehen, sondern als ein europäisches. Die schwarz-rot-goldenen Fahnen wurden den Ossis schnell wieder aus der Hand genommen und die Fahrt ins Blaue mit dem Griff nach den goldenen Sternen Europas auch für sie politisch korrekt und verbindlich.

Die Deutschen sollen eben zuerst Europäer sein und dann - vielleicht - auch Deutsche, während alle anderen Völker von ihrer Nation her Europa bauen wollen. Doch seien wir nicht ungerecht: Es hätte auch alles anders und schlimmer kommen können.

Nicht auszudenken, wenn nicht die DDR zur Bundesrepublik gekommen wäre, sondern die deutsche Einheit "sozialistisch" verwirklicht worden wäre. So gänzlich auszuschließen war das in bestimm-ten Nachkriegsjahren nicht.

Wie aus Chemnitz "Karl-Marx-Stadt" wurde, wäre Hamburg zu "Ernst-Thälmann-Stadt" mutiert, und Remscheid hieße "Max-Reimann-Stadt". Die Bonner hätten Plastikgeld in ihren Händen und stünden vor leeren Regalen, auf "Bückware" hoffend. Die Mauer wäre zwar abgebaut, aber ihre Steine für eine neue an der Staatsgrenze West wieder verwendet worden. Hunderttausende von Insassen der Internierungs- und Umerziehungslager hätten die Metallgitterzäune an die neuen Grenzen zum kapitalistischen Ausland gebracht. Die "Aktuelle Kamera" hätte die Fernsehversorgung übernommen und dargestellt, wie die Enteignungswellen überall im Land von begeisterten Menschen begrüßt wurden. Daß "spurloses Verschwinden" die sozialistischen Errungenschaften begleitete, hätten alle gewußt, aber keiner darüber zu sprechen gewagt. Und die Wahlen?

Nach dem morgendlichen Weck-ruf der Jungen Pioniere würden die Bürger in Flensburg und München in ihren Hausgemeinschaften zur Stimmabgabe gehen, wo die Benutzung der Wahlkabine als "imperialistisches Heimlichtun und Unter-stützung der Feinde des Sozia- lismus" angesehen würde.

Angesichts der "Ostalgie-Fernsehwelle" mit ihrem fröhlichen Jugendleben lohnt es sich für alle Deutschen, ihre Gedanken auch darauf zu richten, wie sie selbst, ganz persönlich, wohl heute leben würden, wenn "der Sozialismus gesiegt hätte" - überall in Deutschland.

Keiner der Akteure will wirklich in die Zeit der DDR zurück

Die Brüder in der DDR haben gelacht, gelebt und standen schlange

Hamburg hiesse heute wahrscheinlich Ernst-Thälmann-Stadt