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13.09.03 / Das Otto-Dix-Haus zeigt Mappenwerke zum Thema Krieg von Dix, Edmund Kesting und Erich Thum

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. September 2003


Der Mensch in entfesseltem Zustand
Das Otto-Dix-Haus zeigt Mappenwerke zum Thema Krieg von Dix, Edmund Kesting und Erich Thum

Viele Menschen werden sich noch an die Blitze, an die Leuchtspuren am nächtlichen Himmel über Bagdad erinnern, die über den Fernsehschirm in die Wohnzimmer kamen. Daß sich dahinter Tod und Verderben verbargen, das ahnten meist nur diejenigen, die selbst einen Krieg erlebt hatten. Seit je hat der Krieg die Menschen gleichermaßen erschreckt wie fasziniert. Vor allem die Künstler, die den Ersten Weltkrieg in vorderster Linie miterlebten, haben später beeindruckende Zeugnisse dieser vom Menschen entfesselten Furie geschaffen, haben Bilder von ihren eigenen Ängsten und Schrecken gemalt. "Man muß den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu wissen", hat Otto Dix, geboren 1891 in Gera, gestorben 1969 in Singen, einmal gesagt. Mit seiner Mappe "Der Krieg" griff er, der sich 1914 wie so viele freiwillig an die Front meldete, 1923 das Thema auf. Zur Vorbereitung hatte er sich Werke von Goya, Callo und Urs Graf zeigen lassen - "Das ist großartig ... wie sich die Materie Mensch auf dämonische Weise verändert."

Die Mappe umfaßt 50 Blätter, Radierungen, Kaltnadelradierungen und Aquatinta, und wurde nur in 70 Exemplaren aufgelegt. Ein Faksimiledruck ist jetzt in der Ausstellung "Totentanz und Kriegsmappe" im Otto-Dix-Haus, Hemmenhofen am Bodensee, zu sehen (mittwochs bis sonnabends 14 bis 17 Uhr, sonn- und feiertags 11 bis 18 Uhr; bis 26. Oktober). Mit schonungsloser Offenheit zeigt Dix in seinen Radierungen das Leiden der Menschen, fragt nicht nach den Ursachen, sondern stellt die Folgen dar.

Auch Motive des "Totentanzes" nimmt Otto Dix auf, ein Thema, mit dem sich der 1892 in Dresden geborene und 1970 in Birkenwerder bei Berlin gestorbene Edmund Kesting ebenfalls beschäftigte. Der Maler, Zeichner und Fotograf nahm ebenfalls am Ersten Weltkrieg teil, erlebte auch die Bombardierung Dresdens 1945. Nach der Zerstörung der Stadt, die er zuvor immer wieder auf nächtlichen Streifzügen fotografiert hatte, entstand 1945 die Mappe "Totentanz Dresden", Fotoarbeiten mit Licht- und Belichtungsmontage, mit Doppel-und Mehrfachbelichtungen. Da tanzen Skelette vor den Trümmern der Frauenkirche, da sprechen die Titel der Blätter eine eigene Sprache: "Sirenen-Alarm", "Feuersturm", "Tote und Trümmer" ... "Liegt bei Dix die Betonung auf dem Thema Krieg, so formuliert Kesting in seiner Darstellung des zerstörten Dresden und den tanzenden Gerippen eine moderne Form des Totentanzes", so Doris Blübaum vom Otto-Dix-Haus in einer Broschüre zur Ausstellung.

Als Leihgabe des Zeppelin Museums Friedrichshafen ist die Mappe "Hinter den Kriegen" von Erich Thum zu sehen. Diese spannende Ergänzung zu den Werken von Dix und Kesting erschien 1915 in einer Auflage von 100 Exemplaren im Münchner Goltz-Verlag und enthält elf Lithographien. "Thums Anschauungsweise", so ist in einer Publikation über die Mappe zu lesen, "ist in besonderem Grade eingestellt auf das Massenhafte der Kriegsereignisse. Er sieht das Geschehen in seinen großen, das Einzelschicksal gleichsam verschlingenden Zügen und bringt es auf eine typisierend vereinfachte Form. Aber das Typische bleibt vom Wirklichkeitsgehalt erfüllt, die Lebendigkeit der einzelnen Dinge ist mit sicherem Sinn für die künstlerische und stimmungssatte Gesamtwirkung eingeordnet in die geschlossene Komposition breiter Flächen von Schwarz und Weiß. Vermöge dieser Form wird die Mappe zu einer ergreifenden Darstellung dessen, was hinter der Front vor sich geht."

Paul Fechter nannte Erich Thum einmal, der eigentlich Elfriede Lauckner, geborene Thum hieß, "eine der begabtesten und eigenwilligsten Gestalterinnen ihrer eigenen Generation". Fechter weiter: "Sie malte und wollte nichts mit der üblichen Damenmalerei der Zeit zu tun haben. Sie hatte sich ein männliches Pseudonym zugelegt, weil sie sagte, es gäbe nicht männliche oder weibliche, sondern nur eine Kunst, gute Kunst - und die wollte sie."

1913 hatte die 1886 in Berlin geborene Elfriede Thum den Dramatiker und Schriftsteller Rolf Lauckner geheiratet, dessen Mutter nach dem Tod des ersten Mannes den Dramatiker Hermann Sudermann geehelicht hatte. Mit Lauckner lebte Thum in Berlin oder in dem kleinen Häuschen im Katzengrund, Kreis Lebus.

Den Höhepunkt ihres künstlerischen Schaffens erreichte sie in den zwanziger Jahren. Es waren meist kraftvolle Arbeiten mit starkem Ausdruck, die diese Frau schuf. Und so ist auch eindrucksvoll zu lesen, was Paul Fechter schrieb, der drei Jahre nach ihrem Tod 1952 im Sudermann-Haus in der Berliner Bettinastraße - unerwartet fast - ihren Bildern begegnete. "Staub lag über allem; viele der Bilder waren eingeschlagen, stumpf geworden: wenn man sie so Keilrahmen um Keilrahmen, Pappe um Pappe umkehrte und betrachtete, zog noch einmal der Kampf eines Frauenlebens vorüber, der zugleich das Leben Rolf Lauckners erfüllt hatte ... Es ist ... eine Fülle starker, zwingender Arbeiten in diesem Werk: man stößt auf Bilder, vor denen man begreift, daß diese Frau sich das Recht auf ein männliches Pseudonym zubilligte ..."

Zwingend und stark sind auch die Lithographien in der Mappe "Hinter dem Krieg". Sie sollen ebenso wie die Blätter und Fotografien von Otto Dix und Edmund Kesting als Mahnung dienen. Auch heute, viele Jahrzehnte nach ihrem Entstehen, haben sie nichts von ihrer überzeugenden Wirkung verloren. SiS

Erich Thum: In stillen Straßen (Lithographie aus dem Mappenwerk "Hinter dem Krieg", 1915)