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13.09.03 / Die Bildungspolitik der 68er hat an der Realität vorbeigeschult

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. September 2003


Methodenzauber statt Inhalte
Die Bildungspolitik der 68er hat an der Realität vorbeigeschult

Der internationale Vergleich der Lese- und Mathematikfähigkeiten der Schüler - als Pisa-Studie in unseren Sprachgebrauch eingegangen -, der Deutschland im hinteren Viertel oder Drittel plazierte, hat bei den Nachdenklichen im Land die Reaktion ausgelöst, "Das war kaum anders zu erwarten." Diejenigen indes, die in der Fortwirkung der 68er Kulturrevolution und rot-grüner Bildungspolitik die Verantwortung für das Desaster vor allem tragen, haben vielfach mit einem uneinsichtigen Beharren auf den alten Ladenhütern reagiert: erst recht Ganztags- und Gesamtschulen, Steigerung der Abiturientenquote, "gesellschaftskritischer" Unterricht.

Der vorliegende Band "Mit der Spaßgesellschaft in den Bildungsnotstand" von 17 kompetenten Autoren macht die Vielschichtigkeit der Probleme deutlich.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Oberstudiendirektor Josef Kraus, führt die "Zwölf Lebenslügen deutscher Schulpolitik" auf. Mit viel politisch-ideologischer Kurzsichtigkeit und pseudopädagogischem Geschwätz wurde die Leistungsfähigkeit deutscher Schulen und Schüler systematisch abgebaut. Die Steigerung der Abiturienten- und Studentenquote mit ihrer Verfünffachung in den letzten dreißig Jahren führte vielfach zu einem "Abitur zum Nulltarif" (Kultusminister a. D. Hans Maier) und oft hohen Anteilen von Studierunfähigkeit und Abbrecherquoten an den Hochschulen: Die ideologisch im Sinne von sozialer Gerechtigkeit begründeten "Gesamtschulen" und die "spielerische Grundschule" waren an dieser Entwicklung ebenso beteiligt wie die vernachlässigte sprachliche Bildung in den Schulen, heute häufig verstärkt durch das "Denglisch" in der Gesellschaft oder leichtfüßige Forderungen von Fremdsprachen möglichst schon im Kindergarten. Ein "manischer Methodenzauber" hat die Inhalte und die Notwendigkeit von Fächern verdrängt zugunsten verquaster Begriffe wie "Schlüsselqualifikationen", "Handlungs- und Problemlösungskompetenzen", "Lernfelder", "Interdisziplinarität", "Vernetzung" bis hin zur häufigen Verteufelung des Frontalunterrichts. Neue Moden kamen hinzu wie die Vergötzung des Computers als zeitgemäßem elektronischem Nürnberger Trichter und Parolen wie "Laptop statt Schulran- zen". Die "autonome Schule" als letzter Schrei des Fortschritts soll möglichst ihre Lehrpläne selber machen und die Schullandschaft atomisieren; ökonomische Effizienzgesichtspunkte treten häufig vor Kriterien der Bildung und Qualität. Man wird, so Josef Kraus, an George Orwells "Unwissenheit ist Stärke" im Roman "1984" erinnert.

Ein zentrales Problem wird immer mehr die moderne Informationsflut in unserer Medien- und Informationsgesellschaft, die zu Oberflächlichkeit und Denkunfähigkeit verführt. Die Schule hat hier die Aufgabe des Gegenhalts, um Zeit zu finden und sich zu nehmen für die Inhalte von Bildung und ihre Qualitätsmaßstäbe vor allem durch Geschichtsbewußtsein und Erinnerung. An die Stelle von punktueller "Gegenwart" müssen Schule und Bildung heute die Notwendigkeit ihrer Dreidimensionalität von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erkennen als Verantwortung für die heute Lebenden und die Nachkommenden. Nur in solcher Dreidimensionalität kann Vertrauen und Sinn erwachsen, ein positives Bild des Menschen und seiner Berufung zu "ungetrübter Humanität" nach dem Maßstab der biblisch-christlichen Imago Dei, schreibt Professor Reinhard Schmidt-Rost, der an der Universität Bonn die Fachgebiete Homilektik, Christliche Publizistik und Seelsorge lehrt. Diese Position vertritt auch einer der Initiatoren des Bandes, Wolfram Ellinghaus, Vorsitzender des Kuratoriums Deutscher Schulbuchpreis. Mit notwendiger Deutlichkeit macht er auf die verheerende Rolle aufmerksam, die etwa auch manche evangelischen Landeskirchen und Theologen im deutschen Bildungsniedergang der letzten Jahrzehnte gespielt haben. Im Mittelpunkt seiner aus der Schulerfahrung kommenden Kritik stehen die Empfehlungen des von der Kultus- ministerkonferenz eingesetzten Forums Bildung und seiner Materialien, die vielfach der "Bedürfnis"- Psychologie etwa H. Maslows näher stehen als der Überlieferung christlicher Tugenden und Familienethik.

In einem wichtigen Beitrag weist die erfahrene Kinderpsychotherapeutin Christa Meves auf die Grundlagen und Voraussetzungen der Sozialisation und Leistungsfähigkeit schon und vor allem beim Kleinkind hin. Nach ihrer Praxiserfahrung ist der Verlust von Mutterschaft und Elternschaft in unserer "fortgeschrittenen Industriegesellschaft" eine wesentliche Ursache für die epidemische Ausbreitung geistig-seelischer Störungen bei Kindern und der Gewaltexplosion bei Jugendlichen. Nicht das "verdummende" und für viele auch bequeme Konzept der Frühkollektivierung vermag hier Abhilfe zu schaffen. Entscheidend ist die Erfahrung der Tatsachen und auch die Orientierung an der wissenschaftlichen Forschung der letzten Jahre, insbesondere der Hirnforschung mit ihrer vertieften Erkenntnis der Bildung von Soziabilität wie Intelligenz im frühen Kindesalter, zum Teil schon im Mutterleib, in einer Synthese von Genetik und Umwelterfahrung. Entschieden betont Frau Meves die Herausbildung späterer Leistungs- und Lernfähigkeit, von Angst oder Selbstvertrauen durch die frühkindliche Erfahrung positiver Zuwendung und Emotionalität (oder ihres Gegenteils) durch die leibliche Mutter, möglichst naher leiblicher Bezugspersonen anstatt in kollektiv-anonymen Säuglingskrippen.

Diese knappen Bemerkungen sollen einen Eindruck davon vermitteln, daß wir es hier mit einem Buch zu tun haben, das eine Fülle wichtiger Einsichten über die Erziehungs- und Schulwirklichkeit in unserer vielfach brüchigen und gefährdeten Gesellschaft vermittelt, sowie erprobte Überlegungen und Vorschläge zu Abhilfen und Schadensbegrenzung. K. Hornung

C. Ludwig/A. Mannes (Hrsg.): "Mit der Spaßgesellschaft in den Bildungsnotstand", 17 streitbare Beiträge für einen Aufbruch aus der Bildungsmisere, Leibniz Verlag, St. Goar 2003, 336 Seiten, 14,90 Euro