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20.09.03 / "Treue, Disziplin und Selbstzucht" / Was Preußen uns heute noch zu sagen hat: Teil IV

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. September 2003


"Treue, Disziplin und Selbstzucht"
Was Preußen uns heute noch zu sagen hat: Teil IV
von Uwe Greve und Heinz Burneleit

Preußen war ein eminent moralischer Begriff. Was diesem Preußen als einer Ordnung sui generis an "systemeigenen" ethischen und Ordnungs-Elementen durch Friedrich Wilhelm I. eingeprägt wurde, fand in Friedrich dem Großen, seinem Sohne, typenbildende Vertiefung und Vollendung. Sauberkeit in der Verwaltung, Sparsamkeit, schlichte Würde, Gewissenhaftigkeit im kleinen wie im großen, Pflichtbewußtsein - das waren die oft gerühmten Kennzeichen einer Staatsführung, um die man uns beneidete. Der preußische Beamte und der preußische Offizier wurden zu Leitbildern, denen Völker in aller Welt nicht nur ihre Bewunderung bezeugten, sondern nachzueifern suchten.

Sicherlich gab es bei diesen Lichtseiten auch Schatten. Manches war schroff und kantig, und immer wieder wurde und wird auch heute noch von Leuten, die in der Regel das wirkliche Preußen gar nicht erforscht haben, ein überheblicher Kastengeist bei Beamten und Soldaten angeprangert. Gewiß trat er manchmal mehr als nötig in Erscheinung, wenn auch kaum stärker als in anderen deutschen und außerdeutschen Ländern, aber man darf dabei nicht das Wesentliche vergessen: zeigte sich nur ein leichter Fleck auf der Weste oder auf dem blauen Dienstrock, so war es in Preußen mit dem Ansehen und der Laufbahn vorbei.

Heute, wo wir allzuoft mit recht peinlichen Korruptionsaffären selbst in hohen Staatsämtern konfrontiert werden, mag vielleicht jene altpreußische Ehrauffassung als unbequem empfunden werden, veraltet ist sie nicht, sondern bleibendes Leitbild. Niemand kann abstreiten, daß Staat und Gesellschaft dabei besser fuhren.

Bismarck hat in diesem Zusammenhang in seiner drastischen Art einmal gesagt: "Preußen ist wie eine wollene Unterjacke, sie kratzt mitunter, aber sie hält warm." Auch der leidenschaftlichste Preuße wird nicht leugnen, daß es hier und da auch ein "anderes" Preußen gibt, das Preußen des Kasernenhofs, der alles bestimmenden Obrigkeit, des Polizeiwachtmeisters und des Untertanengeistes.

Dem deutschen Volk wird heute gern verschwiegen, daß der Krückstock des friderizianischen Korporals, der keineswegs der abgöttischen Verehrung der preußischen Soldaten für ihren großen König Abbruch tun konnte, keinesfalls auf Preußen beschränkt war und in den Armeen mancher Nachbarländer noch bis zum Ersten Weltkrieg eine Rolle gespielt hat! Wer weiß in unserer geschichtslosen Zeit noch, daß bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts die Disziplinargewalt eines französischen Unteroffiziers wesentlich weiter ging als die eines Kompaniechefs der ehemaligen Wehrmacht? Von den heutigen Verhältnissen, zum Beispiel in Rußland, ganz zu schweigen! Im übrigen: Was bedeutet dies alles gegenüber der Tatsache, daß das wirkliche, so oft gelästerte Preußen aus seiner eigenen Geschichtsmäßigkeit heraus die Einheit Deutschlands bewirkt hat, zu der eben kein anderer deutscher Territorial-Staat der Geschichte befähigt war?

Wie es in den USA, dem "Land der Freien", Züge größter Unfreiheit und rassischer Diffamierung und viele andere dunkle - neben sehr hellen und fruchtbaren - Seiten gab und gibt, wie in dem Herrschaftsbereich jener Nationen, die so lange die "Bürde" des weißen Mannes getragen haben oder noch tragen, anderen Rassen und Völkern schwere Bürde aufgelastet wurde, so haben auch Preußen positive und negative Eigenschaften angehaftet. Auch Preußen war nach Conrad Ferdinand Meyers Wort "kein ausgeklügeltes Buch"; es war wie jeder Mensch und jedes Land "mit seinem Widerspruch". Trotz seiner harten und realistischen Einschätzung des Menschen hielt Preußen an Würde und Wert der Einzelperson fest. Preußens Landrecht hatte allgemeine Rechte des Menschen anerkannt: "Die allgemeinen Rechte der Menschen gründen sich auf die natürliche Freiheit, sein eigenes Wohl, ohne die Kränkung der Rechte eines anderen suchen und befördern zu können. Das Wohl des Staates überhaupt und seiner Einwohner insbesondere ist der Zweck der bürgerlichen Vereinigung und das allgemeine Ziel der Gesetze. Die Gesetze und Verordnungen des Staates dürfen die natürlichen Rechte nicht weiter beschränken, als der Endzweck es erfordert." Die preußische Idee des Dienens setzt Freiheit des Gewissens voraus, sie hat in der Freiheit der Person ihren Ursprung. Preußens Ordnung ist daher eine freie Dienstordnung, nicht ein zwangsdiszipliniertes Kollektiv. Karl Ludwig von Woltmannn schrieb 1810 über den Geist der neuen preußischen Staatsorgane:

"Darin besteht die höchste Weisheit einer Gesetzgebung und Regierung, daß sie den Punkt ermittelt, wo der Individuen Freiheit mit dem gegen sie notwendigen Zwang zusammentrifft. Ohne diese Weisheit ist weder echte Liberalität noch wirkliche Ordnung der Staatsverwaltung möglich." Persönliche Unabhängigkeit und überpersönliche Gemeinschaft! Es sind Tugenden ersten Ranges, die hinter diesen Worten stehen: Selbstverantwortung, Selbstbestimmung, Entschlossenheit, Initiative dort, Treue, Disziplin, Entsagung und Selbstzucht hier. Es gibt nichts Schwereres als "frei sein und dienen". Dienen - das ist altpreußischer Stil. Kein "Ich", sondern ein "Wir", ein Gemeingefühl, in dem jeder letztlich mit seinem gesamten Dasein aufgeht. Hier steht nicht jeder für sich, sondern alle für alle mit jener inneren Freiheit in einem großen Sinne, der Freiheit des Gehorsams. Bedientenseele, Untertanenverstand, Kastengeist sind Worte für etwas, was man nur in seiner Entartung ablehnt und verachtet. Viele werden es nie verstehen, wohl nie begreifen, daß mit dem preußischen Stil eine wirklich innere Unabhängigkeit verbunden war. So wird Preußentum zu einem Begriff von echten seelischen und geistigen Eigenschaften. Es ist mit seiner Summe von Tatsachensinn, Maßhalten, Disziplin, Korpsgeist und Energie auch heute noch ein Versprechen der Zukunft. Eine tiefe Verachtung des bloßen Reichseins, des Luxus, der Bequemlichkeit, des Genusses, des "Glücks" durchzieht das Preußentum über die Jahrhunderte. Möge anderen Völkern "comfort" als ein Beweis himmlischer Gnade und Arbeit als Folge des Sündenfalls erscheinen, in Preußen war Arbeit ein Gebot Gottes. Kant hat das mit seinem kategorischen Imperativ in eine Formel gebracht. Ist die Unabhängigkeit durch den Reichtum oder vom Reichtum das letzte Ziel? Er bekennt: "Reich ist man nicht durch das, was man besitzt, sondern mehr noch durch das, was man mit Würden zu entbehren weiß, und es könnte sein, daß die Menschheit reicher wird, indem sie ärmer wird, und gewinnt, indem sie verliert."

Eigentum nicht als private Beute, sondern als Auftrag der Allgemeinheit, nicht als Mittel persönlicher Macht, sondern als anvertrautes Gut, für dessen Verwaltung der Eigentümer der Gemeinschaft zuständig ist. Preußentum und der Liberalismus des 19. Jahrhunderts sind unüberbrückbare Gegensätze. Lassalle war es, der 1862 in seiner Schrift "Was nun?" die Verbindung des preußischen Königtums mit der Arbeiterschaft zum Kampf gegen den Liberalismus und die "Nachtwächtertheorie" des schwachen Staates verlangt hat. Preußen als Dienstgesellschaft ist die der ethisch nicht gebundenen Erwerbsgesellschaft polar entgegengesetzte Ordnung. Wie Preußen im eigentlichen Sinne nie bürgerlich und kapitalistisch gewesen ist, so konnte es ebensowenig im doktrinären Sinne sozialistisch und antikapitalistisch sein. Es steht jenseits dieser Begriffe des 19. Jahrhunderts, nicht weil es vorkapitalistisch und feudal gewesen war, sondern weil seine Ordnungsimpulse und Kräfte in eben anderen Wertvorstellungen beheimatet sind. So könnte es sein, daß die preußische Idee des Dienstes - einen eigenen historischen Auftrag zwischen Liberalismus und Kollektivismus vertretend - berufen ist, auch im 21. Jahrhundert wiederentdeckt zu werden.

Im Begriff des Dienstes, wie er in Preußen verstanden und gelebt wurde, liegt wie in keiner anderen politischen und sozialen Idee die Möglichkeit des Spannungsausgleichs zwischen Freiheit und Gleichheit, zwischen Person und Gemeinschaft. So sehen die Maßstäbe aus, die den wahren preußischen Geist geformt haben, die wir von alters her Pflichterfüllung, Wohlanständigkeit, Vertrauen, Treue, Ehre, Hingabe und Opfermut zu nennen pflegen, für die wir wieder ansprechbar werden müssen. Eine Haltung und ein Handeln, dessen Werterfüllung in einem Wort des indischen Dichters Rabindranath Tagore aufklingt: Ich schlief und träumte, das Leben sei Lust. Ich erwachte und fand, das Leben ist Pflicht. Ich handelte, und siehe: Pflicht war Freude." Preußentum ist kein System, sondern ein Instinkt, Preußen als Staat ist eine Einheit, in der jeder nach seinem wirklichen gesellschaftlichen Rang, seinem Talent zur freiwilligen Disziplin und Unterordnung aus innerer Einsicht und Überlegenheit, seinem Können, seiner Gewissen- haftigkeit und Energie, seinem intelligenten Gemeinschaftsgefühl den ihm zukommenden Platz erhält.

Das Wort "Reaktion" in dem Gesetz des Kontrollrates ist daher unverständlich. Mit der Wiederbelebung der Selbstverwaltung durch Stein und Hardenberg, der Idee des freiwilligen Zusammenschlusses von Staaten in der fruchtbaren Arbeit des Deutschen Zollvereins, der sozialen Gesetzgebung, der Verstaatlichung von Monopolbetrieben wie der Eisenbahn war Preußen-Deutschland anderen Staaten weit voraus. n

Diese Serie basiert auf der Publikation "Was hat uns Preußen heute noch zu sagen?" von Uwe Greve und Dr. Heinz Burneleit, erschienen in der Schriftenreihe der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung (OMV).

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