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27.09.03/ Paris und die Grenzen der "deutschen Dynamik" 

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. September 2003


Mitterrands Machtpoker
Paris und die Grenzen der "deutschen Dynamik" 
von Rüdiger Goldmann

Wir kennen sie alle, die Einigkeit und Freude ausstrahlenden Politikerbilder bei europäischen Treffen. Daß dieses der Öffentlichkeit vorgestellte Bild nicht der Wirklichkeit entspricht und in der Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit erst recht nicht entsprach, offenbart eine umfangreiche Untersuchung von Tilo Schabert über "Frankreich und die deutsche Einheit", die dieser in Paris und Stuttgart (Klett-Cotta, 2002) vorgelegt hat. Hauptziel der Darstellung ist die Zerstörung der Legende, Frankreich habe die Wiedervereinigung abbremsen oder gar blockieren wollen. Den Begriff Wiedervereinigung bezieht der Autor dabei nur auf die Gebiete der alten Bundesrepublik und der DDR; die deutschen Ostgebiete bezieht er nicht ein.

Für Frankreich und seinen Staatspräsidenten François Mitterrand galt der "Wille der Deutschen". Er belehrte darüber deutsche Politiker der Linken, die davor warnten, in das "Pathos der Wiedervereinigung zu verfallen". Mitterrand sah im Aufbegehren der Deutschen in Mitteldeutschland einen "Sieg der Freiheit" wie 1789 bei der Französischen Revolution.

Allerdings wollte er unbedingt die Grenze an Oder und Neiße bestätigt haben. Dieser Ansicht waren auch die UdSSR, die USA, England und natürlich Polen, während Kohl zunächst eine Anerkennung als Vorbedingung für die Wiedervereinigung ablehnte! Nur aus einer hier wiedergegebenen Äußerung klingt etwas Verständnis Mitterrands an, als er äußerte, sie sei als eine Folge des Krieges von Stalin aufgezwungen worden und typisch für einen "schlechten Vertrag", aber nun sei die Lage eben so, daß sie existiere. 1989 und 1990 brachte Mitterrand, unterstützt von seinem Berater Pierre Morel, immer wieder die Grenzfrage zur Sprache. Im Februar 1990 erklärte er Kohl gegenüber auf einer Pressekonferenz in Paris kate- gorisch: "Ich kann es Ihnen so-gleich sagen: Die Oder-Neiße-Linie muß anerkannt werden."

Mitterrand befürchtete im Falle einer Nichtregelung auch einen Beitritt Österreichs, der Deutschen in der Tschechoslowakei(!) und der Deutschen Belgiens. Gorbatschow und Margaret Thatcher plagten ähnliche Sorgen. Maggie Thatcher sah gar die Wiedererrichtung des "Reiches" und machte noch 1992 Mitterrand bittere Vorwürfe, daß er die Wiedervereinigung bis zur Oder/Neiße unterstützt habe. Daß der deutsche Kanzler Festlegungen in der Grenzfrage bis Anfang März 1990 vermied, konnte oder wollte Mitterrand nicht verstehen. Kohl verwies dazu auf den Warschauer Vertrag, der freilich von Anfang an unterschiedlich ausgelegt wurde; je nach politischer Couleur sah man in Deutschland darin eine Anerkennung oder nur einen Gewaltverzicht. Mitterrand behauptete, er habe Kohl stets nach der Oder-Neiße-Grenze gefragt, aber "il n'a jamais répondu" (er habe nie darauf geantwortet).

Es hätte offensichtlich keiner Teilnahme Polens bei den Gesprächen im Jahre 1990 bedurft, da die ehemaligen Alliierten den deutschen Gebietsstand schon aus eigenem Interesse auf das Territorium der alten Bundesrepublik und der ehemaligen DDR begrenzen wollten.

Es ist auch hier zu bemerken, daß die Art und Weise der Entstehung der neuen deutschen Ostgrenze durch brutale Vertreibung der angestammten deutschen Bevölkerung und die gewaltsame Inbesitznahme durch die UdSSR, Polen und die Tschechoslowakei keine Rolle spielt. Das "Unrecht" der Vertreibung war Mitterrand keine Erwähnung wert.

Zweifellos muß an die auswärtige Politik Deutschlands die kritische Frage gerichtet werden, warum man die Vertreibungen aus den Ostgebieten und dem Sudetenland im Ausland nicht stärker bewußt gemacht hat. Und zweifellos muß an die Weltmächte und unsere europäischen Nachbarn die Frage gerichtet werden, warum Menschenrechte und das Völkerrecht, die auch für besiegte Staaten gelten, einen so geringen Stellenwert haben.

Es klingt schließlich fast grotesk, wenn Mitterrand in der Endphase der Entscheidungen zum 2+4-Vertrag davon spricht, daß es sein Bestreben gewesen sei, ein Deutschland "avec des frontières stabiles, reconnues et garanties" zu erreichen (mit festen, anerkannten und garantierten Grenzen).

Frankreich war nach dem Ersten Weltkrieg die Macht, die Österreich-Ungarn mitzerstörte, Polen den Korridor und weiteren zweifelhaften Gebietszuwachs ermöglichte. Es hat bis zu Briand eine nationalistisch-antideutsche Politik betrieben und in Europa eine hegemoniale Stellung angestrebt.

Für die Vertreibungen nach 1945 trägt es keine Verantwortung, weil es bei den Kriegskonferenzen und in Potsdam nicht beteiligt war. Trotzdem galt seit de Gaulle und Debré die politische Leitlinie, daß Deutschland in der Frage der Grenzen Konzessionen machen sollte. Man wollte damit die "deutsche Dynamik" einfangen.

Die in der deutschen Linken - also vor allem in der SPD und bei den Grünen, aber auch in der linksliberalen FDP und Teilen der CDU - schon vor 1989 gezeigte Bereitschaft, diese Zugeständnisse auf Kosten der deutschen Vertriebenen zu machen, erleichterten die 1990 beschlossene 2+4-Regelung.

Michail Gorbatschow kommentierte die Ereignisse von 1989/90 mit den Worten: "Aber die Geschichte, die in Bewegung geraten war, riß uns mit sich fort." Das kann auch von den Vertriebenen gesagt werden.