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27.09.03/ Fronterlebnisse eines Neunjährigen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 27. September 2003


Allein unter Feinden
Fronterlebnisse eines Neunjährigen

Sie träumten von einer besseren Welt. Er, ein überzeugter Kommunist, sie, eine liebende Ehefrau, zogen 1933 von Berlin nach Moskau, um dabei zu sein, wenn eine gerechte Regierung eine neue Lebensordnung schaffte. Doch schon schnell zeigte sich, daß sie statt im Paradies in der Hölle gelandet waren. Er wurde 1937 aufgrund angeblicher systemfeindlicher Tätigkeit verhaftet und schon wenige Tage später hingerichtet. Sie wurde mit Beginn des Zweiten Weltkrieges in Rußland als vermeintliche deutsche Spionin verhaftet und auf eine 15 Jahre andauernde Odyssee durch sowjetische Arbeitslager geschickt. Übrig blieb Wolodja, der 1941 neunjährige Sohn der Tilemanns.

Ins Waisenhaus abgeschoben, war der gebürtige Deutsche den anderen Heiminsassen ein Dorn im Auge. Brutale Übergriffe ließen das Kind fliehen. Aufgenommen wurde er von einer Gruppe Partisanen, in der äußerst rauhe Sitten herrschten.

Als Wolodja/Walter für die Partisanen das Lager der in der Nähe stationierten Deutschen auskundschaften soll, gerät er in deutsche Obhut. Freundlich nehmen sich die deutschen Landser des Jungen an, und als sich herausstellt, daß er einer deutschen Familie entstammt, wird er von der ganzen Truppe gewissermaßen adoptiert. Der 27jährige Willy kümmert sich verstärkt um den Heimatlosen an und beschafft ihm eine Kinderuniform. Im Kessel vor Mos-kau achten die um ihr Leben kämpfenden Deutschen auf das Wohl des Kindes. Walter sieht unzählige Soldaten aus seinem Umkreis fallen. "Als stellvertretender Spieß mußte sich Willy auch um die Feldpost kümmern. ... Zu seinen Aufgaben gehörte es obendrein, die Familien der getöteten Soldaten in Deutschland zu benachrichtigen. ... Ich erlebte, daß Willy in den nächsten Wochen viele Gefallenenbriefe schreiben mußte. Später mußte er allerdings nicht mehr so viele Feldpostbriefe schreiben, denn von unserer Einheit blieben nur wenige Männer übrig."

Aufgezeichnet wurden Walter Tilemanns Kriegserfahrungen von dem Autor von "Hitlers Frauen", dem Pro- minentenbiographen Erich Schaake. Ohne großes Pathos schildert er die Erlebnisse des Kindes in den Wirren des Zweiten Weltkrieges. Die beschriebene Kameradschaft und der Zusammenhalt der Landser sowie die trotz steter Gegenwart des Todes nicht abhanden kommende Menschlichkeit berühren.

Auch die Zeit nach Walters Front-erfahrung bei der Familie mütterlicherseits in Bonn wird lebendig dargestellt. Der Schock des Jungen, als er durch einen Luftangriff gleich mehrere Verwandte verliert und er selbst verzweifelt in den Trümmern nach Überlebenden gräbt, zeigt die Erbarmungslosigkeit des Krieges.

"Ich, das Soldatenkind" schildert packend das Schicksal eines Kindes, das wie so viele andere zu den unschuldigen Opfern des Krieges zählt. Walter Tilemann hat überlebt und in seinem Beschützer Willy sogar einen lebenslangen Freund gefunden, doch das Grauen, das die Kinderaugen sehen mußten, ist in seiner Sinnlosigkeit unfaßbar. R. Bellano

Walter Tilemann: "Ich, das Soldatenkind", Langen Müller, München 2003, geb., mehrere Abb., 300 Seiten, 22,90 Euro