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04.10.03 / Vom Wunder des Brotbackens damals und heute erzählt Christel Bethke

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 04. Oktober 2003


Wenn ein köstlicher Duft durchs Haus zog
Vom Wunder des Brotbackens damals und heute erzählt Christel Bethke

Zu den Wundern, die einst die Kinder erlebten, gehörte das Backen der Brote. Dann holte die Mutter die Stoffbeutel aus der Kammer, in denen das Mehl aufbewahrt wurde und das gegen Körner in der Mühle eingetauscht worden war, die sie als Ähren auf den Stoppelfeldern nachgelesen hatten. Nach Augenmaß verteilte sie es in den bereitgestellten Backtrog, vermengte es mit Salz und Wasser und dem wichtigsten: dem Inhalt eines kleinen Steinkruges, der schon lange einen Sprung hatte.

Schon am Vorabend war er aus der Speisekammer geholt, die vertrockneten Krümel darin mit warmem Wasser vermischt worden, mit dem alten Holzlöffel, der gleich immer darin stecken blieb, umgerührt und ganz an den Rand der noch lauwarmen Herdplatte geschoben worden. Und welch ein Wunder: aus dem "fast Nichts" wurde nach und nach ein ganzer Topf voll. Ja, man mußte aufpassen, daß er nicht überquoll wie der Reistopf im Märchen, der dann die ganze Stadt mit Brei versorgte, weil versäumt wurde, ihm Einhalt zu gebieten. Wer von außen in die Stadt wollte, mußte sich erst mal durch den Brei essen. Deshalb mußte der Topf im Auge behalten werden und sein Inhalt öfter umgerührt und zwischendurch noch etwas warmes Wasser hinzugegossen werden. Das war überhaupt wichtig: alles mußte warm sein - das Mehl, das Wasser, die Küche, der Herd, sonst konnte es vorkommen, daß das werdende Brot zusammenfiel und klitschig wurde. Das wollte die Mutter natürlich nicht und hielt deshalb auch Fenster und Türen fest geschlossen, um keinen Zug entstehen zu lassen.

Wenn der Inhalt des nun vollen Topfes zur Mehlmischung gegossen wurde, begann die eigentliche Arbeit: das Kneten des Teiges. Um mehr Kraft einsetzen zu können, stand der Trog auf einem Bretterstuhl ohne Lehne, so konnte die Mutter von allen Seiten ran, um den Teig zu bearbeiten. Bis er die richtige Beschaffenheit hatte, fuhr sie immer wieder mit den Händen in die Mehlpungel und verstreute großzügig den Inhalt über die Masse im Trog. Wenn sie nicht mehr an Händen und Trog klebte, hob sie den Teig auf die Tischplatte und bearbeitete ihn noch mal: wieder mit den Händen in die Mehlbeutel, verstreut, geknetet, gedrückt, gerollt und wieder geknetet, bis er die gewünschte Konsistenz hatte. Bevor nun die Brote geformt wurden, teilte sie erst eine Kleinigkeit davon ab und tat sie in den kleinen Topf, der erst am nächsten Backtag wieder seinen Auftritt haben würde.

Bis die geformten Brotlaibe in den gut vorgeheizten Ofen geschoben werden konnten, mußten sie erst auf einem Holzbrett ruhen und aufgehen. Nun noch mit warmem Wasser bepinseln, Mehl überstäuben und mit der Gabel einige Male einstechen. Dann ab dafür!

Um ein knuspriges Brot zu bekommen, wurde während der Backzeit öfter der Wrasenschieber in der Backofentür geöffnet, um Dampf abzulassen. Außerdem galt es, die Hitze zu halten, und deshalb mußte der Herd ständig befeuert werden. Um diese nach dem Backen noch auszunutzen, teigte die Mutter noch einen Stritzel an, bei dem sie ruhig weniger großzügig mit Mehl hätte umgehen sollen; statt dessen hätte sie mehr Zucker und Butter nehmen sollen. Das allerdings dachten die Kinder erst, als sie schon erwachsen waren.

Durch Beklopfen der Brote wurde festgestellt, ob sie gar waren. Welch eine Köstlichkeit, dieses duftende heiße, knusprige Brot! O wie gern hätten die Kinder nur einmal solch einen knusprigen Knust gehabt, denn davon waren sie nicht recht überzeugt, daß frisches Brot dem Magen nicht bekam. Im Gegenteil, die Mutter hatte nur Angst, daß gleich ein ganzes Brot verschlungen würde.

Weil es für den kleinen Hunger zwischendurch noch keine Kindermilchschnitte und Nußriegel gab, es die Kinder aber bis zur nächsten Mahlzeit nicht aushalten konnten, sagte die Mutter zu einem von ihnen: "Geh, hol das Brotche." Das hielt sie sich dann vor die Brust und schnitt für jeden eine Scheibe runter, bestrich sie mit Marmelade oder Schmalz und reichte sie den Kindern. Diese Scheibe Brot in der Hand, wie ihnen die immer geschmeckt hatte!

Daran erinnerten sich die Schwestern, als sie unlängst miteinander telefonierten. Beide sind heute alt, haben aber die Atmosphäre dieser Backtage immer noch in Erinnerung, sehen immer noch die bemehlten Hände und Unterarme der Mutter in die Mehlbeutel fahren. Lena hatte der Schwester erzählt, daß ihr Bäcker heute 27 (!) Brotsorten im Angebot habe, ihr aber keine davon so wie das Sauerteigbrot von früher schmeckte. Sie erinnerten sich auch an den Ausspruch der Mutter, das Brot zu achten, nichts davon zu vergeuden, denn es sei schwer zu verdienen. Daran hatten sie sich gehalten, immer; aber an eines hielten sie sich nicht: zogen sie selbst etwas aus dem Ofen, schnitten sie noch heiß den Kanten ab ...

In einem Topf wurde ein Rest für den nächsten Backtag bewahrt