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© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. Oktober 2003 |
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Ein Leben, das keinen Frieden kennt Ariel Scharon: Wie sich der Schatten einer einzelnen Biographie über ein ganzes Land legt von R. G. Kerschhofer Kommende Woche jährt sich zum fünfzigsten Mal das Massaker von Qibia. Noch nie gehört? Verständlich, denn was am 14. Oktober 1953 in dem damals jordanischen Dorf geschah, war nur eines von vielen Gemetzeln, die im Laufe der Jahrzehnte an palästinensischen Zivilisten verübt wurden. Dennoch ist es besonders erwähnenswert: Das Kommando über die eingesetzte Todesschwadron, die berüchtigte "Einheit 101" der israelischen Armee, hatte kurz davor ein gewisser Ariel Scharon übernommen. Grund genug, sich ein wenig mit dessen Werdegang zu befassen. Ariel Scheinermann wurde 1928 als Sohn von Zuwanderern aus Osteuropa geboren. Schon als Vierzehnjähriger ging er zur Terrororganisation "Haganah", wo er die nötige Ausbildung bekam. Denn die Haganah hatte wie ähnliche Gruppen (Palmach, Irgun, Stern-Bande) ein einziges Ziel: das britische Mandatsgebiet Palästina von nichtjüdischen Einheimischen ethnisch zu säubern, um Platz zu schaffen für den von Theodor Herzl propagierten Einwanderer-Staat. Schon in der türkischen Zeit hatten die Zionisten begonnen, arabische Liegenschaften aufzukaufen. Nach dem Ersten Weltkrieg aber wurde den Arabern klar, was gespielt wird, und so stellten sie sich der schleichenden Landnahme immer heftiger entgegen. Übrigens: "Palästinenser" wurden die - meist muslimischen, aber auch christlichen - Bewohner des Mandatsgebiets erst durch die an ihnen begangenen Verbrechen, vor allem durch die Vertreibung sowie durch die nicht immer brüderliche Behandlung seitens der übrigen Araber. Heimatvertriebene machen eben ihre Erfahrungen. Die Briten sahen weitgehend tatenlos zu. Als sie nach 1945 gegen die ärgsten Exzesse der Zionisten einzuschreiten begannen, war es zu spät: Sie gerieten zwischen die Fronten und gaben schließlich auf. Das Ergebnis war der "Unabhängigkeitskrieg" 1947/48 - Scharon befehligte damals eine Infanterie-Kompanie. Die arabische Massenflucht wurde durch das Massaker von Deir Yassin 1948 ausgelöst, welches allerdings auf das Konto des späteren Friedensnobelpreisträgers Menachem Begin geht, der schon 1946 das King David Hotel in die Luft gejagt hatte. Scharon wurde 1951 Geheimdienstoffizier. Von 1953 - mit soeben abgeschlossenem Studium - bis 1956 leitete er diverse Attacken auf Zivilisten in Gaza und im Westjordanland. Während des britisch-französisch-israelischen Überfalls auf Ägypten 1956 verheizte er im Sinai zahlreiche eigene Leute, weshalb es zu einer Revolte gegen ihn kam. Nach diversen anderen Vorfällen schien seine militärische Karriere am Ende. Doch Yitzhak Rabin holte ihn wieder aus der Versenkung, und so kommandierte Scharon im "Sechstagekrieg" 1967 eine Panzerdivision. Nach dem Durchbruch bei El-Arisch ließ er mindestens 400 ägyptische Soldaten umbringen, die sich ergeben hatten. Da das US-Überwachungsschiff "Liberty" vor der Küste alles aufzeichnete und weitermeldete, versuchten die Israelis den unliebsamen US-Zeugen zu versenken. Vergeblich zwar, doch die 400 Ägypter wie auch die 29 toten und 171 verwundeten Amerikaner sind längst vergessen. Zwischen 1970 und 1972 betätigte sich Scharon als "Bulldozer" im Gaza-Streifen. Er ließ Tausende arabische Häuser niederwalzen, um die Bewohner zu vertreiben oder zu deportieren. Die von ihm errichtete "Bar Lev Linie" am Ostufer des Suezkanals wurde zwar im "Yom-Kippur-Krieg" 1973 von den Ägyptern durchbrochen. Der Gegenangriff über den Kanal hinweg machte Scharon dann aber zum Nationalhelden. Daher ging er in die Politik. Als Siedlungsminister trieb er in den besetzten Gebieten den jüdischen Siedlungsbau auf Palästinenserland voran, was gegen das Völkerrecht verstieß. Als Verteidigungsminister startete Scharon die Libanon-Invasion 1982. Für das unter seinem Oberkommando von christlichen Milizen begangene Massaker von Sabra und Schatila strengte man später vor einem belgischen Gericht einen Kriegsverbrecherprozeß gegen ihn an. Elie Hobeika, einer der mitschuldigen Milizenführer, hatte sich im Januar 2002 gegen freies Geleit sogar als Kronzeuge angeboten, war aber kurz darauf in Beirut plötzlich ums Leben gekommen. Nun, der Scharon-Prozeß wurde ohnehin abgesagt, weil die Belgier ihr Gesetz änderten, wonach im Ausland begangene Kriegsverbrechen ab jetzt nicht mehr vor belgischen Gerichten verhandelt werden konnten. Die vor drei Jahren durch Scharons "Marsch auf den Tempelberg" ausgelöste "Al-Aqsa-Intifada" gehört heute zur täglichen Berichterstattung, wobei insbesondere deutsche und österreichische Medien sich der israelischen Diktion befleißigen: Israelische Morde an Palästinensern sind "gezielte Tötungen", und Großangriffe heißen "Vergeltungsschläge", palästinensische Racheakte sind wiederum "Terror". Eine besonders makabre Szene war kürzlich in den BBC-Nachrichten zu sehen: Kurz nachdem Scharon die Ermordung von Hamas-Führern befohlen und auch die Liquidierung von Yassir Arafat in Aussicht gestellt hatte, reiste er auf Staatsbesuch nach Indien. Protokollgemäß legte er einen Kranz am "Mahnmal der Gewaltlosigkeit" nieder, der offiziellen Gandhi-Gedenkstätte, und gleich anschließend unterzeichnete er weitere Großabkommen auf dem Rüstungssektor. Die jahrzehntelang geheimgehaltene Zusammenarbeit zwischen Indien und Israel war und ist vor allem bei der Hochrüstung mit Atomwaffen und Raketen von großem wechselseitigen Nutzen. Beobachter fürchten überdies, daß die jüngste Eskalation in Palästina wesentlich mit den immer massiver werdenden Korruptionsvorwürfen gegen Scharon und seine Söhne zu tun haben könnte. Scharon kalkuliere ähnlich wie George Bush, heißt es da: Die selbstinszenierte äußere Bedrohung bewirke einen "nationalen Schulterschluß" und mache Kritiker mundtot. Der Justiz sind weitgehend die Hände gebunden, denn beim Premierminister darf man keine Hausdurchsuchungen machen, und die Söhne wohnen sicherheitshalber beim Vater. Und Verurteilungen durch die Uno - Israel hält darin alle Rekorde - kann Scharon erst recht ignorieren, denn alles, was schmerzen würde, wird durch ein US-Veto blockiert. Richtiger Mann am richtigen Ort? Ariel Scharon bei seiner Indienreise im September dieses Jahres. Bei einem offiziellen Besuch der Gandhi-Gedenkstätte warf er Rosenblüten auf das "Mahnmal der Gewaltlosigkeit". Foto: AP |