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11.10.03 / Pariser Spiele ums Steuergeld

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. Oktober 2003


Pariser Spiele ums Steuergeld
Finanzmisere: Steuersenkungen und Staatsschulden
von Pierre Campguilhem

Zwischen der Pariser Regierung und der Brüsseler Kommission ist ein neuer Streit entbrannt, allerdings erst nachdem eine Kompromißlösung in Sachen Alsthom gefunden wurde und die Kommission ihr Veto eingelegt hatte. Es geht nun um das Defizit des französischen Staatshaushaltes für das Jahr 2004, das der EU-Wirtschaftskommissar Pedro Solbes (ein spanischer Sozialist) scharf angeprangert hat.

Die EU-Kommission könnte sogar ein Bußgeldverfahren gegen Frankreich einleiten, falls es nicht weitere Einsparungen unternimmt. Beim letzten Rat der EU-Wirtschaftsminister hatte sich nämlich der Wirtschafts- und Finanzminister Frankreichs, Francis Mer, dazu ver- pflichtet, das Defizit um 0,5 Prozent zu senken. Dies wird allerdings 2004 nicht zu erreichen sein.

Mit 3,6 Prozent Defizit, an dem Bruttoinlandsprodukt gemessen, rechnet man gegenwärtig in Paris auf der Basis einer Wirtschaftswachstumsprognose von 1,7 Prozent für 2004. Näheres dürfte man bei der Vorlage dieses Haushalts Mitte Oktober in der Nationalversammlung erfahren. Die Staatsschulden werden also weiter wachsen. Nach Einschätzung des konservativen Figaro könnten diese Schulden, die schon mehr als die von Maastricht erlaubte Obergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht haben, nicht nur eine Billion Euro, sondern sogar 1,8 Billionen betragen. Es kommt nämlich darauf an, welche Kriterien für die Errechnung dieser Schulden angewandt werden. Le Figaro schätzt demzufolge, die staatliche Verschuldung Frankreichs belaufe sich auf 30.000 Euro je Einwohner und 70.000 Euro je Berufstätigen. Seit 1975 sind jedes Jahr Frankreichs Finanzen defizitär. Seit drei Jahren überschreitet das Finanzloch die erlaubte Grenze von drei Prozent des BIP.

Unter solchen Umständen verliere Frankreich allmählich seine nationale Unabhängigkeit, schätzt der Parlamentarier der Regierungspartei UMP, Philippe Marini, der als Generalberichterstatter des Finanzausschusses des Pariser Senats als besonders fachkundig gilt. Marini kritisiert, Staatsanleihen seien unter den Sozialisten nicht nur dazu bestimmt gewesen, Infrastruktur- grobarbeiten zu finanzieren, sondern auch den Staat alltäglich zu unterhalten. Und so ist es nicht erstaunlich, daß der französische Finanzminister auf die Kritik Pedro Solbes' erwidert, bei der Vorbereitung des 2004er öffentlichen Haushalts habe Frankreich das Maximum getan. Zeitbomben wie die Finanzierung der Renten, der Sozialversicherung oder die Schulden der Staatsbetriebe (ungefähr 200 Milliarden Euro allein für diesen Posten) wurden noch nicht berücksichtigt, so daß mit einer wachsenden Verschuldung der französischen Staatskasse gerechnet werden muß. Le Figaro geht davon aus, daß 2006 die Staatsverschuldung 66,7 Prozent des BIP erreichen könnte. Francis Mer betont daß die Steuersenkungen nicht wie von Chirac versprochen bis zum Jahr 2007 durchgehalten werden können. Falls die Konjunktur es erlaube, müßten zusätzliche Steuereinnahmen der Reduzierung des Defizits gewidmet werden.

In einer so angespannten finanziellen Lage scheint die parlamentarische Opposition weiterhin gespalten und planlos zu sein.

Da sie über keinen charismatischen Kandidaten für den Elysée-Palast verfügt, begnügen sich gerade die Sozialisten damit, die Versprechen des Staatschefs zu kritisieren und zu behaupten, nach den Regionalwahlen, die nächstes Jahr stattfinden, werde der Staatshaushalt von der Regierung revidiert werden. Der ehemalige Wirtschaftsminister von Lionel Jospin, Dominique Strauss-Kahn, bemängelt "einen Elendshaushalt" und die Krise zwischen Paris und Brüssel; obgleich dieser Politiker meint, daß die Chiracsche Politik Frankreichs Interessen entgegengesetzt sei, sind aus seinem Mund keine echten Gegenvorschläge vernehmbar. Insofern sind keine großen Überraschungen von den Finanzdebatten sowohl in der Nationalversammlung als auch vor dem Senat zu erwarten.

Die Anhänger Chiracs werden vermutlich die Regierungsvorlage mit einigen unwesentlichen Gesetzänderungen passieren lassen. KPG

Zum Heulen: Frankreichs Finanzminister würde am liebsten die Augen vor dem heimischen Schuldenberg verschließen. Foto: Reuters