Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. Oktober 2003 |
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Nirgendwo wirklich willkommen Deutsche aus Rußland, Teil V: Die Nachfahren der Auswanderer kehren zurück nach Deutschland von Uwe Greve Man darf wieder "deutsch" sein In keiner sowjetischen Zeitung wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Deutschen in Rußland überhaupt erwähnt. Sie lebten, soweit sie nicht in Arbeitslagern gestorben waren, in den Verbannungsgebieten. Zum allergrößten Teil in den erbärmlichsten Verhältnissen! Erst nach Stalins Tod, am 13. Dezember 1955, erließ der oberste Sowjet ein Dekret "Über die Aufhebung der Beschränkungen in der Rechtsstellung der Deutschen und ihrer Familienangehörigen, die sich in Sondersiedlungen befinden". Der Erlaß betonte jedoch ausdrück-lich, daß damit "nicht die Rückgabe des Vermögens" und "das Recht, in die Gegenden zurückzukehren, aus denen sie verschickt worden sind", verbunden sein. Soweit die Verbannten die Möglichkeit hatten, zogen sie jetzt weiter nach Süden in Gebiete mit wärmerem Klima und verstreuten sich damit noch stärker. Einigen wenigen Deutschen, im Jahr kaum mehr als 250, gelang es in den endfünfziger und 60er Jahren über mühsam durchgesetzte "Familienzusammenführungen" in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen, einige wenige kamen in die DDR. Seit 1957 war in Gebieten, in denen viele Rußlanddeutsche lebten, wieder in begrenztem Umfang deutschsprachiger Unterricht möglich. Das lange Verbot hatte jedoch auch schon bei den Erwachsenen dazu geführt, daß außerhalb der Alltagskommunikation russisch gesprochen und gelesen wurde. Weder waren ausreichend Lehrer noch genügend Lehrbücher vorhanden. Aus dem Jahre 1967 ist bekannt geworden, daß nur elf Prozent der Schüler deutscher Herkunft am muttersprachlichen Unterricht teilnahmen. Da nicht mehr so viele Rußlanddeutsche wie vor dem Krieg auf dem Lande lebten, sondern verstärkt in den Städten, unterlagen sie hier auch größerem Anpassungsdruck. Seit 1957 gab es wieder deutschsprachige Sendungen von Radio Alma Ata, mit der Zeitung Neues Leben eine deutschsprachige Zeitung mit immerhin 100.000 Abonnenten. Zwischen 1960 und 1985 erschienen etwa 300 deutschsprachige Bücher. Aber ein "deutsches Leben" im wirklichen Sinne kam in den verstreuten Siedlungsgebieten nicht mehr zustande. Mit dem Begriff "deutsch" verband sich noch immer historische Last und Schuld. Am 29. August 1964 erklärte der Oberste Sowjet die Anschuldigungen gegen die Rußlanddeutschen aus dem Jahr 1941 für "unbegründet". Bewohner der ASSRdWD bemühten sich aber vergeblich um die Wiedereinrichtung ihrer autonomen Republik. Das Gebiet werde seit langem von anderen Menschen bewohnt, lautete die ablehnende Begründung. Kleinere Zugeständnisse im Bereich von Bildung und Kultur konnten die Bittsteller durchsetzen. Anfang der siebziger Jahre ließ die UdSSR mehr Rußlanddeutsche in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Das "Nein" zur Autonomie aus Moskau ließ die Zahl der Ausreisewilligen ansteigen. Durch Demonstrationen machten Rußlanddeutsche in den folgenden Jahren auch westliche Medien auf ihre Lage aufmerksam. Als 1979 die sowjetische Regierung in Moskau für die Deutschen im mittleren Kasachstan einen eigenen Rayon begründen wollte, um ihren Autonomieforderungen zumindest etwas entgegenzukommen, scheiterte dies am Protest der selbstbewußten Kasachen, die keine "fremde Republik" im eigenen Land haben wollten. Auf der Suche nach einer neuen Heimat Mit dem Regierungsantritt von Michael Gorbatschow begannen nicht nur "Glasnost" und "Perestroika", sondern auch ein neues Kapitel in der Geschichte der Rußlanddeutschen. Die Situation der Deutschen in Sowjetrußland in der Zeit des kommunistischen Zusammenbruchs wird in dem Buch "Die unbekannten Deutschen" (1999) wie folgt beschrieben: "Fast die Hälfte der Sowjetdeutschen, nämlich knapp eine Million, befand sich 1989 in der Kasachischen SSR. Nennenswerte Größen in anderen asiatischen Republiken der UdSSR waren: 100.000 in der Kirgisischen, knapp 40.000 in der Usbekischen, etwas mehr als 30.000 Sowjetdeutsche in der Tadschikischen SSR. Zusammen sind dies weit über 1,1 Millionen (bzw. fast 60 Prozent)." Daß mit diesen Zahlen nicht alle Deutschen in Rußland erfaßt waren, versteht sich schon dadurch, daß es weiterhin auch viele "gemischte" Familien gab, in denen nur ein Elternteil deutsch war. Flucht nach Deutschland Nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion kümmerte sich die Bundesrepublik Deutschland verstärkt um die Situation der Deutschen in Rußland, in der Ukraine, in Kasachstan, Kirgisien und Usbekistan. Ideen für autonome Siedlungsgebiete wurden hin- und hergereicht. Die sprachlichen und kulturellen Angebote für die Deutschen in diesen Ländern wurden - auch mit deutscher finanzieller Hilfe - verbessert. Aber eine große Zahl machte trotzdem von der Möglichkeit einer Ausreise nach Deutschland Gebrauch. Seit 1990 können Deutschstämmige aus Rußland und den anderen ehemaligen Ländern der Sowjetunion - zumeist aus den Gebieten jenseits des Urals - auswandern. Über zwei Millionen sind bereits gekommen. "Das Tor bleibt offen", sagte die Regierung Kohl. Die Regierung Schröder schloß 1998 das Tor nicht, aber sie machte den offenen Spalt enger. Es wurden die Voraussetzungen und Bedingungen für den Weg nach Deutschland erhöht: Höchstaufnahmezahlen wurden festgelegt, Sprachtests zur Voraussetzung für die begehrten Pässe eingeführt. Waren es vor Jahren noch 200.000, die im Jahr nach Deutschland kamen, so liegt jetzt die Zahl schon unter 100.000. Hendrik Sittig beschrieb am Beispiel der Familie Hein in Globus (Nr. 1/2000), warum immer mehr deutsche Familien aus Rußland ausreisen wollen, in diesem Fall aus dem deutschen Rayon Halbstadt mitten in Sibirien an der Grenze zu Kasachstan: "Die Ehre ist hier flach und die Straßen scheinbar endlos gerade - wie mit einem Lineal gezogen. Am Straßenrand stehen Strommasten aufgereiht, als ob sie zum Appell angetreten wären. Der Blick über die Steppenebene geht bis zum Horizont. Nur ab und zu wird er von ein paar Baumreihen behindert. Die Dörfer liegen weit auseinander. Mindestens zehn, meistens mehr als zwanzig Kilometer. Dazwischen erstrecken sich Felder, die im Sommer ihre magere Ausbeute nicht verheimlichen können. Seit Jahren herrscht Dürre, und im letzten Sommer, da kamen die Heuschrecken. Jetzt im Winter ist die Ebene schneebedeckt, und die Bewässerungsanlagen stehen verwaist ... Der einzige noch lebende Sohn ist seit drei Jahren in Deutschland. Und so ist es meistens: Einer fängt an, und irgendwann ist die gesamte Familie drüben. Leere Häuser gibt es jedoch nicht im deutschen Rayon. Diese werden sofort weiterverkauft an zumeist deutschstämmige Übersiedler, die jetzt aus Kasachstan herüberkommen, oder aus Mittelasien, weil dort die wirtschaftliche Lage noch schlimmer ist als in Rußland, oder weil sie durch Nationalitätenkonflikte vertrieben wurden. Aber die Neuen sind nicht mehr gern gesehen. Sie sprechen kaum noch deutsch und überhaupt: ‚Die können nichts', wie Emma Hein es pauschal ausdrückt. Jetzt werde gestohlen und sich geschlagen. Das sei früher anders gewesen. Da habe niemand sein Haus abschließen müssen." Verloren im deutschen Bürokratie-Dschungel Aussiedler sind Deutsche im Sinne des Grundgesetzes (Art. 116 GG). Um diese Statuseigenschaft festzustellen, führt das Bundesverwaltungsamt in Köln in Zusammenarbeit mit den zuständigen Länderbehörden eine Prüfung durch. Seit 1990 wird das Aufnahmeverfahren nach dem Aussiedleraufnahmegesetz vom Herkunftsland aus durchgeführt. Dazu muß ein Angehöriger der deutschen Minderheit zunächst einen entsprechenden Antrag stellen. Durch Unterlagen und Zeugenaussagen hat er nachzuweisen, daß er Deutscher ist. Teil dieser Statusprüfung ist auch der Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse in Deutsch. Seit der Sprachoffensive der Bundesregierung Helmut Kohl werden jährlich etwa 6.000 Sprachkurse mit über 100.000 Teilnehmern in den Herkunftsländern angeboten. Dadurch werden die im Elternhaus vermittelten Deutschkenntnisse vertieft, um die spätere Integration in Deutschland zu erleichtern. Diese Sprachkurse werden zunehmend von ganzen Familien der Rußlanddeutschen besucht. Kann eine Familie insgesamt gute Deutschkenntnisse nachweisen, wird ihr Aufnahmebescheid schneller bearbeitet. Der Kampf der Verbliebenen Ende 1997 fand in Moskau der Gründungskongreß der "Föderalen Nationalen Kulturautonomie" (NKA) statt. Hugo Wormsbecher, Vizepräsident der NKA und Vorsitzender des Internationalen Verbands der Rußlanddeutschen, bezeichnete diese Organisation als eine Vereinigung, die "ein sehr wichtiges Instrument bei der Lösung von Fragen der Selbstverwaltung" der Rußlanddeutschen werden könnte. Er sieht die Kulturautonomie als einen "wichtigen Schritt zur Wiederherstellung unserer territorialen Staatlichkeit". Aber es ist kaum denkbar, daß die russische Staatsführung daran in Zukunft Interesse haben wird. Zwar entstand eine Reihe von NKA-Gruppen - bereits bis Ende 1997 waren es rund 40 in Gebieten mit rußlanddeutscher Siedlung -, aber sie kamen nicht so recht voran. Hugo Wormsbecher dazu: "Ohne Geld kann man natürlich nichts machen. Besonders dann, wenn man kein eigenes Territorium, also auch keine eigene wirtschaftliche Grundlage hat. Das Gesetz über die nationale Kulturautonomie sieht die Möglichkeit einer staatlichen Unterstützung vor. Doch im heutigen Rußland ist das wohl kaum zu erwarten. Allerdings werden wohl die Regionen, wo Rußlanddeutsche leben, unsere Projekte im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen. Mit der Zeit hoffen wir, daß wir durch die Schaffung von wirtschaftlichen Strukturen der NKA eine eigene Finanzierungsquelle bekommen können. Nach wie vor jedoch wird die deutsche Hilfe für uns eine sehr wichtige Rolle spielen. Zumindest so lange, bis wir unsere territoriale Staatlichkeit zurückerhalten und unsere eigene Wirtschaft aufbauen können. Seit einiger Zeit fließt die deutsche Hilfe mehr in den Bereich Kultur und Muttersprache. Künftig wird sie wohl hauptsächlich für die Erhaltung der nationalen Kultur, für den muttersprachlichen Deutschunterricht in Kindergärten und Schulen, für die Ausbildung von Fachleuten in diesen Bereichen gebraucht." In einer Grußbotschaft an das Bundestreffen der Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland am 2. Juni 2001 führte die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach in ihrer Funktion als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen aus: "Sie als Deutsche aus Rußland sind eine Bereicherung für Arbeitsmarkt, Sozialversicherungssysteme und Bevölke- rungsstruktur. Unserer besonderen Unterstützung bedürfen die jungen Menschen unter ihnen; immerhin 40 Prozent der derzeit einreisenden Spätaussiedler sind unter 25 Jahren. Für diese ist die Aussiedlung aus ihrer bisherigen Heimat oft ein tiefgreifender sozialer und emotionaler Einschnitt. Aber sie haben viele ungenutzte Potentiale, deshalb ist es unser Ziel, ihnen die Integration zu erleichtern. Viele von ihnen, insbesondere die Mitglieder der Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland, leisten vieles im Rahmen ihrer meist ehrenamtlichen Tätigkeiten für ihre jetzt eintreffenden Landsleute, setzen sich für ihre Anliegen ein und opfern dafür einen Großteil ihrer Arbeitskraft und Freizeit. Für diese unermüdliche und erfolgreiche Hilfe möchte ich der Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland besonders danken. Nutzen Sie verstärkt Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, um Partnerschaften zwischen der Bundesrepublik und den deutschen Siedlungsschwerpunkten in Rußland auszubauen." Die Situation der Deutschen in der Ukraine, in Kasachstan, Kirgisien und Usbekistan ist ähnlich der im russischen Staatsgebiet - viele schwanken zwischen Ausreisewillen und Chancenwahrnehmung in ihren derzeitigen Lebensräumen. Kompliment von Solschenizyn Das größte Kompliment, das denkbar ist, hat der russische Dichter Alexander Solschenizyn den Deutschen in Rußland ausgestellt. In seinem Buch "Archipel GULag", Band 3, findet der Leser in dem Kapitel "Völkerverschickung" folgende Charakterisierung: "Kreuz und quer durcheinander gesiedelt und voneinander entblößt, offenbarten die Nationen ihre Merkmale, Lebensweisen, Geschmäcker und Neigungen. Ausnehmend tüchtig und arbeitsam waren unter ihnen die Deutschen. Von ihnen allen haben sie hinter dem vergangenen Leben das dickste Kreuz gemacht (was war das denn auch für Heimat an der Wolga oder am Manytsch?). Wie einst auf dem von Kaiserin Katharina geschenkten fruchtbringenden Land, so setzten sie sich jetzt auf dem von Stalin zugewiesenen kargen Boden fest, widmeten sich ihm, als wär's nunmehr für alle Zeit ihr eigen. Nicht bis zur ersten Amnestie richteten sie sich darauf ein, nicht bis zur ersten Zarengnade, sondern für - für immer. 1941 blank und nak-kend ausgesiedelt, jedoch umsichtig und unermüdlich, ließen die Deutschen den Mut nicht sinken und schickten sich an, ebenso ordentlich und vernünftig zu werken. Wo liegt auf Erden jene Wüste, die die Deutschen nicht in blühendes Land zu verwandeln verstünden? Nicht umsonst hieß es im früheren Rußland: Der Deutsche ist wie ein Weidenbaum. Wo du ihn hinsteckst, schlägt er Wurzeln. Ob im Schacht, auf der Traktorenstation oder auf dem Staatsgut, die Natschalniks waren des Lobes voll über die Deutschen, bessere Arbeiter fanden sie nicht. Schon zu Beginn der fünfziger Jahre hatten die Deutschen - unter den übrigen Verbannten, ja, oft auch unter den Einheimischen - die besten, geräumigsten und saubersten Häuser; die größten Schweine; die milchreichsten Kühe. Ein deutsches Mädchen war eine begehrte Braut, nicht allein der Wohlhabenheit ihrer Eltern wegen, sondern weil sauber und anständig inmitten der durch und durch verlotterten Lagerumwelt." Zwiespältiges Verhältnis: Um nach Deutschland einreisen zu können, müssen ausreichende Deutschkenntnisse nachgewiesen werden. Der Unterricht wird vom deutschen Staat finanziert. Das Innenministerium versucht aber auch, die Lebensbedingungen von Rußlanddeutschen in den GUS-Staaten zu verbessern. Die Menschen sollen so von der Auswanderung nach Deutschland abgehalten werden. Mit deutschem Geld seien in Siedlungsgebieten der Rußlanddeutschen aber schon oft sinnlose und überteuerte Anschaffungen getätigt worden. Foto: pa |