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11.10.03 / "Wer den Dichter will verstehen ..." / Ein Blick in die Wohnungen der großen Literaten offenbart so manches tragische Schicksal

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 11. Oktober 2003


"Wer den Dichter will verstehen ..."
Ein Blick in die Wohnungen der großen Literaten offenbart so manches tragische Schicksal

Mir das Leben leicht und bequem zu machen habe ich leider niemals verstanden. Eine Kunst aber ist mir immer zu Gebote gestanden: die Kunst, schön zu wohnen. Seit der Zeit, da ich meinen Wohnort mir selber wählen konnte, habe ich immer außerordentlich schön gewohnt, zuweilen primitiv und mit sehr wenig Komfort, aber immer habe ich eine charakteristische, große, weite Landschaft vor meinen Fenstern gehabt", schrieb Hermann Hesse in Erinnerung an seinen Wohnort im Tessin, an Montagnola, wo er 43 Jahre lang lebte und arbeitete. Nicht jeder Schriftsteller, nicht jeder Dichter wird wie Hesse Wert gelegt haben auf ein schönes Domizil, auf eine schöne Aussicht gar. Manch einer war schon zufrieden, ein Dach überm Kopf zu haben, ein stilles Kämmerchen, wo er (oder sie) ungestört arbeiten konnte.

Peter Braun, Autor und Journalist, ist einmal den Spuren bedeutender Dichter gefolgt und hat ihre Geburts- oder Wohnhäuser aufgesucht. Seine Rundreise führte ihn durch ganz Deutschland und nach Österreich. Von Husum bis nach Salzburg begab er sich auf die Reise durch die Jahrhunderte. Entstanden ist ein Buch, das den Leser fasziniert aufmerken läßt: Dichterhäuser (Deutscher Taschenbuch Verlag, München. 64 sw Abb., Klappbroschur, 15 Euro) Welch Schicksale, möchte man ausrufen, denn Braun beschreibt nicht nur die Häuser, die heute meist Gedenkstätten sind (eine ausführliche Aufstellung mit Anschriften und Öffnungszeiten findet sich im Anhang), sondern vor allem auch eingehend und spannend das Leben der Dichter, getreu dem Spruch Johann Wolfgang von Goethes: "Wer den Dichter will verstehen/ Muß in Dichters Lande gehen."

Und bei Goethe, dem Dichterfürsten aus Weimar beginnt denn auch die Reise. Ein halbes Jahrhundert lebte und arbeitete Goethe in dem Haus am Frauenplan, das er 1782 bezog. "In meinem neuen Hause breite ich mich aus und alles kommt in die schönste Ordnung. Dabei rekapituliere ich mein Leben, vergleiche die Epochen." Auch Friedrich Schiller lebte für einige Zeit in Weimar. 1802 hatte er das Haus an der Esplanade kaufen können. "Ich habe dieser Tage endlich einen alten Wunsch realisiert, ein eigenes Haus zu besitzen. Denn ich habe nun alle Gedanken an das Wegziehen von Weimar aufgegeben und denke hier zu leben und zu sterben", schrieb er. Es sollten nur drei kurze Jahre werden. Folgt man Braun, dann waren es nicht zuletzt die grünen Tapeten in Schillers Arbeitszimmer, die dem Dichter zu schaffen machten. Die Farbe war mit Arsen hergestellt und löste sich durch die Feuchtigkeit in den Mauern und verursachte Lähmungen, Krämpfe und Schmerzen. Solche Tapeten hatte Schiller auch schon in seinem Gartenhäuschen in Jena besessen ...

Betrachtet man das Ambiente, in dem die Großen der deutschen Literatur lebten, dann ist es nach heutigen Maßstäben oft geradezu bürgerlich. Theodor Storm etwa las täglich um vier Uhr zum Tee im hellen Wohnzimmer seiner Familie vor, was er geschrieben hatte. Das Haus in der Husumer Wasserreihe 11 bot einen schönen Garten, eine Lindenlaube gar. "Sein Poetenstübchen hingegen mit der geschnitzten, eigens eingezogenen Eichendecke und den dunkelrot gestrichenen Wänden war düster." Jean Paul hielt sich in seiner Wohnung in der Bayreuther Friedrichstraße einen Laubfrosch, um das Wetter vorherzusagen. Am frühen Abend erzählte er seinen Kindern Märchen oder "sprach von Gott, von der Welt, dem Großvater und vielen herrlichen Dingen. Wir liefen um die Wette hin-über, ein jedes wollte das erste neben ihm auf dem langen Kanapee sein", berichtete seine Tochter Emma.

Neben dieser Häuslichkeit aber gab es auch oft ein anderes Leben, eine Existenz, die manche Dichter brauchten wie die Luft zum Leben. Jean Paul etwa ließ sich im Gasthof der Anna Dorothea Rollwenzel, der Rollwenzelei, eine Zuflucht über der Gaststube einrichten - mit einem Kanapee. Andere fanden dieses zweite Leben in flüchtigen Liebeleien oder heftigen Affären, Bert Brecht etwa oder auch Theodor Storm. Alle aber waren sie besessen oft bis zum Wahnsinn, besessen vom Schreiben. "Du kannst Dir nicht leicht vorstellen", schrieb Georg Trakl in einem Brief an einen Freund, "welch eine Entzückung einen dahinrafft, wenn alles, was sich einem jahrelang zugedrängt hat, und was qualvoll nach einer Erlösung verlangte, so plötzlich und einem unerwartet ans Licht stürmt, freigeworden, freimachend ..."

Vielen Großen der deutschen Literatur begegnet man in diesem spannenden Lesebuch, das durchaus Lust macht, mehr zu lesen von Goethe oder Schiller, von Brecht oder Fleißer, von Hoffmann oder Mann, von Grabbe, Storm oder Trakl, von Jean Paul oder der Droste-Hülshoff, von Kerner, Hölderlin oder Hesse. Das aber auch neugierig macht auf andere Dichterhäuser, die noch zu beschreiben wären. Vielleicht findet sich ja einmal ein Autor, der ebenso spannend wie fundiert und knapp über Hermann Sudermann und Schloß Blankensee oder seine Villa im Berliner Grunewald, über Ernst Wiechert und das Forsthaus in Kleinort, über Arno Holz und das Haus in der Berliner Stübbenstraße, über Johannes Bobrowski und die Wohnung in der Ahornallee in Berlin-Friedrichshagen, über Agnes Miegel und das Haus in Bad Nenndorf schreibt ... os