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18.10.03 / Abgefertigt mit sechs Zeilen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Oktober 2003


Abgefertigt mit sechs Zeilen
Dürfen Verbrechen aufgerechnet werden? Ein Bürger wollte es wissen

In seiner Rede zum 60. Jahrestag des "Feuersturms" gab der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust den Deutschen letztlich eine Art Ur-Schuld für alle Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. "Ein fatales Signal" titelte damals diese Zeitung. Ein Bürger schrieb dem CDU-Politiker und bat um Klarstellung. Er erlebte eine kalte Abfuhr.

Als anläßlich des 60. Jahrestages des "Unternehmens Gomorrha" auf der offiziellen Veranstaltung der Hansestadt Hamburg der 40.000 dabei getöteten Hamburger gedacht wurde, lieferten sowohl die Bürgerschaftspräsidentin Stapelfeld (SPD) als auch der Erste Bürgermeister von Beust (CDU) das ab, was man im Rahmen der Geschichtspolitik von ihnen erwartete: Sie rechneten die Opfer der britischen und US-amerikanischen Luftangriffe auf gegen deutsche Luftangriffe auf Warschau, Rotterdam, Coventry und London. Und, was nicht fehlen durfte, sie wiederholten einmal mehr die standardisierte Formel: "Deutschland entfesselte den Zweiten Weltkrieg", was heißen sollte: Deutschland ganz allein.

Als ein Hamburger, der die Luftangriffe als Kind erlebt hatte, dem Ersten Bürgermeister einen an "Herrn Ole von Beust" persönlich gerichteten Brief sandte, in dem er sein Unverständnis für die Aufrechnung ausdrückte und um eine Erläuterung bat, bekam er eine Antwort, die die Grenze zur Flegelei mindestens berührte. Der Hamburger hatte darauf aufmerksam gemacht, daß die deutschen Luftangriffe auf Warschau, Rotterdam und Coventry in keiner Weise im völkerrechtlichen Sinne zu vergleichen seien mit den ausdrücklich auf die Zivilbevölkerung gezielten britischen Angriffen. Warschau sei eine eingeschlossene verteidigte Stadt in der Kampflinie gewesen, ebenso wie Rotterdam, die beide mehrfach an sie gerichtete Aufforderungen zur Kapitulation abgelehnt hatten. Die Angriffe auf Coventry hätten sich gezielt gegen die zahlreichen Werke der Flugzeugindustrie gerichtet, wobei die Opfer unter der Zivilbevölkerung und die Zerstörung der Kathedrale das waren, was man im Nato-Deutsch "Kollateralschäden" nennt. Und auch der im Auftrag des Ersten Bürgermeisters vorgebrachte Hinweis, Deutschland habe den Krieg entfesselt, schien dem Briefeschreiber nicht logisch, denn Völkerrecht gilt auch für Angreifer, abgesehen davon, daß es naiv sei, einen Staat allein für die "Entfesselung" eines Weltkrieges verantwortlich zu machen.

Man sollte nun annehmen, daß der Erste Bürgermeister jemandem, der sachlich seine kritischen Argumente begründet, auch sachlich antwortet. Das ist jedoch nicht der Fall gewesen.

Als der Bürger vier Wochen lang vergeblich auf eine Reaktion gehofft hatte, schickte er dem Bürgermeister eine Kopie seines Briefes. Daraufhin kam, unterschrieben von der Persönlichen Referentin Laura Kroth, eine sechszeilige Antwort, in der erklärt wurde, daß die kritischen Anmerkungen "zur Kenntnis genommen worden" seien. Frau Kroth fuhr fort: "Gleichwohl besteht hier nach wie vor die Überzeugung, daß die Ausführungen des Ersten Bürgermeisters ... nicht nur angemessen, sondern auch geboten waren.

Das war's.

Kein Wort zu dem Hinweis des Bürgers, daß das Geschichtsbild, das Ole von Beusts Rede zugrunde lag, längst von der Wissenschaft widerlegt worden sei.

Er hatte beispielsweise auf Veröffentlichungen des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes verwiesen, einer Institution des Bundesverteidigungsministeriums, in denen ausführlich auch die Geschichte des Luftkrieges dargelegt wird. Daraus geht hervor, daß es Großbritan- nien war, das lange vor dem Krieg die Flächenbombardierungen von Wohnvierteln technisch wie strategisch vorbereitet und dann auch als erstes Land durchgeführt hatte, und daß Deutschland sich lange zurück-hielt, englische Städte unterschiedslos anzugreifen, obwohl britische Bomber immer wieder nicht nur Berlin attackierten.

Falsche historische Begründungen, die Aufrechnung von Opfern und fortgesetzte Diffamierung Deutschlands werden, ohne dafür irgendein Argument zu nennen, amtlicherseits für "angemessen und geboten" erklärt.

Man könnte aus der Reaktion des Bürgermeisters schließen, daß solche scheinwissenschaftlichen Begründungen wider besseres Wissen verbreitet werden. Man kann schließlich nicht erwarten, daß ein Erster Bürgermeister und seine Referentin sich mit neuerer historischer Literatur befassen, doch stehen ihnen Stäbe zur Verfügung, ebenso wie die Landeszentrale für politische Bildung. Dort könnten sie sich schlau machen, müßten dann aber, wenn dort qualifizierte Persönlichkeiten tätig wären, die sich sine ira et studio mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges beschäftigen, erfahren, daß man so, wie geschehen, die Schuldzuweisungen an die Deutschen nicht begründen kann.

Nun muß man allerdings gerade bei der Hamburgischen Landeszentrale für politische Bildung zweifeln, ob dort der Wille zur leidenschaftslosen Aufarbeitung der jüngeren deutschen Geschichte vorhanden ist. Es ist noch in Erinnerung, wie diese Institution vor zehn Jahren, am 50. Jahrestag des "Unternehmens Gomorrha", zwar eine große Anzahl von Erinnerungsveranstaltungen durchführte, die aber allesamt auf der Linie lagen: "Die Deutschen haben selbst schuld."

Der einzige von der Hansestadt veranstaltete wissenschaftliche Vortrag wurde von dem DDR-Historiker Olaf Groehler gehalten, der zwar materialreiche Veröffentlichungen über den Luftkrieg vorgelegt hat, der aber als in der Wolle gefärbter Kommunist - er wurde später als führender Stasi-Mann enttarnt - historische Ereignisse nur durch die parteiliche Brille des Marxismus-Leninismus betrachtet und gedeutet hat.

Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß die Spitzen der Hamburger Politiker im Rahmen der immer noch geltenden Geschichtspolitik gehandelt haben. Aus volkspädagogischen Gründen muß den Deutschen immer wieder ihre Schuld eingebleut werden. Dabei kommen allerdings immer deutlicher die historischen "Beweise" abhanden, je umfangreicher und unvoreingenommener auf dem Gebiet der Historie geforscht wird. Zurück bleiben peinliche Auftritte wie die in Hamburg, die zur Folge haben, daß die interessierten und aufgeklärten Bürger sich angewidert abwenden von solchen die Geschichte des eigenen Landes permanent klitternden Reden.

"Mehr als 55 Millionen Menschen fanden im deutschen Namen den Tod": Mit leichter Hand machte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust Ende Juli 2003 die Deutschen für sämtliche Toten des Zweiten Weltkriegs verantwortlich. Trotz Kritik hält er dies auch heute noch für "geboten". Foto: dpa