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18.10.03 / Schicksale verleugnet

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Oktober 2003


Schicksale verleugnet
Berliner Frauen 1945: Journalist bestreitet Schreckensbericht
von H.-J. v. Leesen

Die Abwehrmaschinen der überwiegend linken, aber nicht nur der linken "Sühnedeutschen" (wie F. J. Strauß sie genannt hätte) begannen sofort zu rattern, als vor etwa zehn Jahren die von Haus aus linke Filmemacherin Heike Sander zusammen mit der Historikerin Barbara Johr einen Dokumentarfilm über die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen durch die Soldaten der Roten Armee und (in geringerem Umfang) der französischen Truppen fertigstellte. Vergeblich hatte Sander vorher bei fast allen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten angefragt, ob sie sich an den Produktionskosten beteiligen würden. Sie mußte sechs Absagen mit der Begründung hinnehmen, ein solcher Film sei entspannungsgefährdend.

Wenn dargelegt wurde, daß im ersten Halbjahr 1945 etwa zwei Millionen deutsche Frauen von Angehörigen der Sowjetarmee vergewaltigt wurden, davon 40 Prozent mehrmals, dann widersprachen diese Untaten der These von der "Befreiung". Daher las und hörte man die gebetsmühlenartig vorgebrachte "Entschuldigung", die deutsche Wehrmacht habe vorher nicht anders gehandelt - seriöse Belege dafür folgten keine. Dabei blieb es in den folgenden Jahren, etwa wenn im Zusammenhang mit den Massenvergewaltigungen während der Kriege auf dem Balkan das Thema angeschnitten wurde. Dann konnte es nicht ausbleiben, daß - von konkret und taz bis zur Berliner Morgenpost - behauptet wurde, die deutsche Wehrmacht habe ähnlich gehaust. So rechnete man mit Fleiß auf und verließ sich darauf, daß Vorwürfe an die Adresse der Wehrmacht grundsätzlich geglaubt werden, ob sie nun wahr sind oder nicht. Deutsche haben keine Opfer zu sein; Deutsche sind in diesem schlichten Weltbild nichts als Untäter.

Ähnliches erlebte man in den letzten Monaten. Da erschien im Eichborn Verlag in der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Reihe "Die Andere Bibliothek" erneut ein zum ersten Mal in Deutschland 1959 herausgekommenes Buch, dessen Verfasserin ungenannt bleibt. Es hat den Titel "Eine Frau in Berlin" und gibt unsentimental und tatsachengetreu wieder, was diese Frau, die Anfang 30 gewesen sein muß, zwischen dem 20. April und dem 22. Juni 1945 in dem Haus, in dem sie als Ausgebombte notdürftig untergekommen war, durch die Siegersoldaten erleiden mußte. Die Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund. Lakonisch berichtet sie vom Hunger, vom Zusammenbruch jeder menschlichen Ordnung, von den Raubzügen der Sowjetsoldaten und immer wieder von Schändungen. Es wird deutlich, daß es sich nicht um Einzelfälle handelte, sondern daß die bolschewistischen Soldaten systematisch und zumindest mit Duldung ihrer Vorgesetzten über die deutschen Frauen herfielen. Als die Berichterstatterin zusammen mit anderen gepeinigten Frauen versucht, bei einem höherrangigen Sowjetoffizier in ihrem Bezirk Schutz zu suchen, bekommt sie zur Antwort: "Ach was, es hat Ihnen bestimmt nicht geschadet. Unsere Männer sind alle gesund."

Die ersten Besprechungen dieses Buches in großen deutschen Zeitungen waren durchweg positiv; die Rezensenten und vor allem die Rezensentinnen zeigten sich erschüt- tert über das Ungeheuerliche, was sie lesen mußten und von dem die jüngeren Journalisten in den Schulen nichts gehört hatten. Das Buch wurde zu einem wichtigen Zeitdokument erklärt, ja, zu einem "außerordentlichen historischen und literarischen Dokument" (Frankfurter Allgemeine).

Dann kam schließlich der längst erwartete Gegenschlag. Die Süddeutsche Zeitung öffnete ihre Spalten einem Jens Bisky, der zu beweisen versuchte, das Buch sei "als zeitgeschichtliches Dokument wertlos". Er ließ durchblicken, daß es nach seiner Ansicht vermutlich eine Fälschung sei, die unter Umständen geschrieben sein könnte von dem damaligen Erfolgsautor Marek, der unter dem Namen Ceram das in riesigen Auflagen erschienene Buch "Götter, Gräber und Gelehrte" verfaßt hatte. Im Ton eines Staatsanwalts fragte Bisky: "Wo sind die drei Schulhefte heute?", damit die Originalniederschrift meinend, die damals die gepeinigte Frau angefertigt hatte (sie liegen bei einem Notar). Er verlangte, man solle den Namen der Frau offenlegen.

Jens Bisky konnte nicht den geringsten Beweis für seinen Fälschungsvorwurf beibringen. Statt dessen redete er einfach seine Beschuldigungen in die Welt hinaus. Nun indes stößt Autor Bisky auf heftigen Widerspruch.

Die anonyme Autorin hatte 1954 auf Drängen ihres Bekannten, des Schriftstellers Kurt W. Marek, ihr Manuskript einem New Yorker Buchverleger anvertraut, der daraus eine amerikanische Ausgabe machte. Es folgten Übersetzungen in Schweden, Norwegen, Dänemark, den Niederlanden, Spanien, Italien, Japan, bis dann 1959 die deutschsprachige Originalausgabe in der Schweiz herauskam. Dazu Marek im Vorwort: "Daß die Schreiberin anonym zu bleiben wünscht, ist wohl jedem Leser begreiflich. Ihre Person ist ohnehin belanglos, da hier kein interessanter Einzelfall geschildert wird, sondern ein graues Massenschicksal. Noch leben Millionen Frauen, die ähnliches berichten könnten. Ohne ihre Aussage wäre die Chronik unserer Zeit, die bisher fast ausschließlich von Männern geschrieben wurde, einseitig und unvollständig."

Die Rückzugsgefechte der Wächter über die politische Korrektheit werden immer krampfhafter und peinlicher. Unbeschadet davon steht das Buch "Eine Frau in Berlin" jetzt auf der Bestsellerliste. n

Anonyma: "Eine Frau in Berlin - Tagebuchaufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945", Eichborn Verlag, Berlin 2003, 19,90 Euro. Erhältlich beim Preußischen Mediendienst, Telefon (040) 41 40 08-27