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18.10.03 / Wege aus dem Steuerdschungel

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 18. Oktober 2003


Wege aus dem Steuerdschungel
Kirchhof-Modell sieht eine drastische Vereinfachung des deutschen Systems vor
von Jürgen Liminski

Es ruckelt in Deutschland. Vielleicht kommt sogar der große Ruck. Jedenfalls zeichnen sich neben den als große Reformagenda gepriesenen Millimeterschritten der rot-grünen Koalition die Konturen wirklich tiefgreifender Reformen ab, und zwar vor allem in der Steuerpolitik. Hier ist die Union zwar federführend, der Impuls aber ging und geht von einem Mann aus, der inzwischen als Geheimtip gilt, wenn von der Nachfolge für Bundespräsident Rau die Rede ist. Der Mann heißt Paul Kirchhof, und das wider seinen Willen mit seinem Namen verbundene Steuermodell beinhaltet eine radikale Reform des deutschen Steuerwesens. Es wäre die Basis für die Reformen auf anderen Gebieten.

Denn die Miseren bei Rente, Pflege und Gesundheit haben eine gemeinsame Ursache: die jahrzehntelange Vernachlässigung der Familie mit der natürlichen Konsequenz, daß es heute zu den größten Armutsrisiken gehört, eine Familie zu gründen, was in der materialistischen und genußorientierten Gesellschaft wiederum dazu führen mußte, daß immer weniger Kinder, sprich zukünftige Beitragszahler für all diese umlagefinanzierten Sozialsysteme geboren wurden, so daß immer weniger Geld in die Sozialkassen floß und fließt und deshalb diese Kassen immer stärker auf Zuschüsse aus der steuerlichen Staatskasse angewiesen sind oder sein werden.

Eine radikale Reform des Steuersystems, die das Übel an dieser Wurzel packt, hätte zwangsläufig Sanierungseffekte für die Sozialsysteme zur Folge. Diese Effekte werden kaum diskutiert, wenn vom Kirchhof-Modell die Rede ist. Man redet lieber über die Komplexheit des deutschen Steuersystems, und in der Tat, es gibt ein Gebiet, auf dem die Deutschen einsame Spitze, ja Weltmeister sind: die Steuerrechtsliteratur. Sie wird zu mehr als 60 Prozent in deutscher Sprache verfaßt und man darf vermuten, daß die meisten Werke nicht übersetzt sind, weil sie außer dem Autor niemand mehr versteht.

Entsprechend ist auch unser Steuersystem. Niemand blickt mehr durch. Deshalb ist es für Ideologen einfach, mal hier und da eine Steuererhöhung zu verlange mit der Begründung, das nütze allen und fördere das Gemeinwohl. Oder mit derselben Begründung eine Steuerbegünstigung zu streichen, zum Beispiel für die Pendler, und eine andere anzukündigen, zum Beispiel für Häuslebauer, die ihren Strom über teure Platten direkt aus der Sonne beziehen. Und so wuchert das System seit Jahr und Tag fort. Mittlerweile gibt es mehr als 200 Steuerstammgesetze, 96.000 Steuervorschriften und 36 Bundessteuern - für Eichel und Co. ein üppiges Dschungelparadies, in dem jeder Bürger schutzlos den Eingriffen des Finanzamts ausgeliefert ist und nach Belieben überfallen und ausgeraubt werden kann.

Die Komplexheit allein wäre schon Grund genug für eine Steuerreform. Aber es geht um mehr. Es geht um die freiheitliche und solidarische Verfaßtheit dieses Landes. Auch das hängt mit dem Steuersystem zusammen.

Wenn Willkür herrscht statt Gerechtigkeit, weil keine Ordnung mehr erkennbar ist und nur noch oberflächliche Argumente zur Begründung ideologischer, das heißt eben willkürlicher Maßnahmen herangezogen werden, dann gehen sowohl die Freiheit als auch die Solidarität zur Neige. Das geschieht im Moment. Deshalb ist zu begrüßen, daß die "Bürgerwehr" in Form des Bundesrats sich jetzt organisiert. Die Ministerpräsidenten scharen sich um die Walze namens Kirchhof-Modell, die den Steuerdschungel roden könnte. Es ist, wie manche Politiker sagen, so "faszinierend richtig und stimmig", daß es den notwendigen Konsens über die Parteigrenzen durchaus bewirken kann. Und in der Notlage, in der vor allem die Regierung sich befindet, ist mancher zu einem Kompromiß bereit. Das Kirchhof-Modell bietet nun eine Plattform für den großen Konsens.

Das ist auch mehr als die Pläne der beiden Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück, staatliche Subventionen zu streichen. Zwar gehen diese Pläne in dieselbe Richtung, aber sie reparieren nur am System, sie reformieren nicht. Es ist der Versuch, so zu sparen, daß es möglichst wenigen Leuten weh tut, und das in beiden großen Parteien. Auch CDU-Chefin Merkel bemüht sich in diesem Sinn nur um Reparatur des Bestehenden, nicht um eine veritable Reform für die Zukunft.

Das Kirchhof-Modell dagegen reformiert grundlegend. Es schafft eine Verteilung des steuerlichen Reichtums von oben nach unten und gleichzeitig Anreize zur Bildung neuen Reichtums. Und es schafft Gerechtigkeit.

Der ehemalige Verfassungsrichter und jetzige Direktor des Instituts für Finanz-und Steuerrecht der Universität Heidelberg, Professor Paul Kirchhof, hat zusammen mit einer Gruppe von Steuerexperten aus fünf Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen) in jahrelanger Kleinarbeit das Modell zusammengestellt.

Es würde das Steuersystem radikal vereinfachen, etwa die zahlreichen Steuerarten auf vier reduzieren und einen einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent schaffen. Bürger und Unternehmen würden durch den Einbau der Körperschaftsteuer in die Einkommensteuer gleich veranlagt. Der Trick liegt darin, daß eine neue, die steuerjuristische Person geschaffen wird. Die Vereinfachung geht einher mit einer großangelegten Steuersenkung. Vor allem Familien mit Kindern würden dadurch gerechter behandelt. Denn die Steuer für ihr Einkommen tendiert je nach Kinderzahl auf Null zu. Eine Familie mit vier Kindern könnte pro Jahr 48.000 Euro verdienen. Die Steuer begänne beim ersten Euro danach, weil für jede Person 8.000 Euro Existenzfreibetrag gelten.

Für den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Erwin Teufel, wäre das "der große Wurf", eine echte Reform, die diesen Namen auch verdiene. Mittlerweile sind acht Ministerpräsidenten dafür, im November soll das Gesetz im Bundesrat eingebracht werden. Es wird eng für Eichel.

Natürlich ist eine stufenweise Einführung vorgesehen und die Einnahmeausfälle durch die Steuersenkung würden durch die Streichung der Subventionen aufgehoben, so daß die Bürger zwar mehr Geld im Portemonnaie haben, der Staat aber nach der Reform nicht schlechter gestellt ist als vorher.

Das Paradoxon löst sich auf, wenn man die wirtschaftliche Dynamik einbezieht, die eine so große Vereinfachung und Steuersenkung auslösen würde. Nicht nur der Konsum würde steigen, und damit die Produktion. Das Wachstum würde auch stimuliert, weil die Unternehmer und Bürger den Druck des Finanzamtes nicht mehr verspürten. Die Vereinfachung wäre auch ein Akt der Befreiung. Und freie Menschen, das weiß man seit Adam Smith, arbeiten mehr und besser. Der große Wurf des Paul Kirchhof wäre ein Befreiungsschlag für Deutschland.