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25.10.03 / Staatsstreich: Bolivien - das Beispiel für ein Land, das eigentlich gar keine Chance hat 

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 25. Oktober 2003


Im Würgegriff verlogener Parolen
Staatsstreich: Bolivien - das Beispiel für ein Land, das eigentlich gar keine Chance hat 
von Hans Heckel

Nur wenige Stunden vor seiner hastigen Flucht in die USA gab sich Boliviens mittlerweile gestürzter Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada noch unerschütterlich. "Ich werde nicht ab- treten", versprach er gegenüber dem mexikanischen Sender Radio de México vorvergangenen Donnerstag. Das Militär stehe hinter ihm, sagte er in der Hauptstadt La Paz. Das seit vier Wochen von Unruhen lahmgelegte Land beruhige sich bereits wieder. Einen Tag darauf saß Sánchez im Flugzeug nach Miami, Florida. Über Nacht war es aus.

Düstere Ahnungen gab der Präsident kurz vor seinem Abgang von sich: Seine Widersacher wollten eine "Diktatur der Drogenkartelle" errichten und die Demokratie beseitigen. Bolivien, das ärmste Land Südamerikas, genießt erst seit 1982 eine demokratische Verfassung. Eine vergleichsweise lange Zeit: In den 157 Jahren zuvor seit der Unabhängigkeit von Spanien hatte die Andenrepublik sage und schreibe 170 Staatsstreiche erlebt, hinter denen meist das Militär stand.

Nachfolger des erst im August 2002 gewählten 73jährigen Unter-nehmers Sánchez wurde sein eigener Vizepräsident Carlos Mesa. Der 50jährige Journalist und Historiker könnte es schnell mit den vom Vorgänger warnend angesprochenen Drogenringen zu tun bekommen, denn die hatten entscheidenden Anteil an der Rebellion. Einer der beiden Hauptfiguren des Aufstandes, Evo Morales, ist selbst Anführer der Kokabauern. Wie seine "Coca-leros" gehört Morales zur Volksgruppe der Indios, wie rund drei Viertel der 8,5 Millionen Bolivianer.

Vordergründig entzündet hat sich der Aufstand an einem Exportvertrag mit den USA und Mexiko über das bolivianische Erdgas. Für den verjagten Ex-Präsidenten war dies jedoch nur ein Vorwand. Doch dieser bot alles, was das Volk seit langem in Rage bringt. So sollte das Gas ausgerechnet über den chilenischen Pazifikhafen Patillos umgeschlagen werden. Der hatte bis zum sogenannten "Salperterkrieg" vor rund hundert Jahren zu Bolivien gehört. Seit jener Zeit ist der Staat zum Binnenland degradiert, was noch heute antichilenische Gefühle befeuert. "Kein Gas für Chile" war denn auch eine der Protestlosungen, obschon der südwestliche Nachbar bloß Transitland werden sollte.

Noch unmittelbar vor seinem Abgang bot Präsident Sánchez de Lozada eine Volksabstimmung über den Gas-Vertrag an. Das schlugen die Oppositionellen brüsk aus - angeblich, weil der Staatschef wegen der knapp 80 Toten, die die Tumulte gefordert hatten, sowieso nicht mehr tragbar sei.

Ein sehr viel triftigerer Grund für die Rebellion dürfte indes ein weiterer Vertrag gewesen sein, mit dem sich Sánchez Washington gegenüber verpflichtet hatte, den Koka-Anbau zu bekämpfen. Aus der Pflanze wird nicht bloß Koka-Tee gewonnen, der gegen die Höhenkrankheit helfen soll, sondern auch das Rauschgift Kokain. Nach dem Willen nicht nur Washingtons sollen die "Cocaleros" etwas anders als ausgerechnet Koka anbauen. Bizarrerweise aber sind es gerade Länder wie die USA, die den Indios jenen Übergang zur "normalen" Landwirtschaft gleichsam verstellen.

Die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO, die vom 10. bis 14. September im mexikanischen Badeort Cancún abgehalten wurde, ist gescheitert, weil die Entwicklungsländer die Sitzung aus Protest verlassen hatten. Grund: Die enormen Subventionen und Zölle, welche die reichen Industrieländer zum Schutz der heimischen Landwirtschaft eingeführt haben. Die EU hatte zwar in ihren "Luxemburger Beschlüssen" versprochen, Einfuhrbeschränkungen für Agrarprodukte aus Entwicklungsländern innerhalb von zehn Jahren ganz abzubauen. Die USA, Kanada, Australien und Neuseeland hingegen haben dies strikt abgelehnt.

Damit ist den Entwicklungsländern insbesondere Afrikas und Lateinamerikas die Möglichkeit genommen, ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse gen Norden zu exportieren und mit den Einnahmen ihre eigenständige Entwicklung voranzutreiben. So leben beispielsweise im Umkreis der Sahara rund zehn Millionen Menschen vom Baumwolle-Anbau. Denen stehen in den USA gerade 12.000 Baumwolle-Erzeuger gegenüber, die jedoch nach Angaben der spanischen Zeitung El País allein 2002 mit vier Milliarden Dollar Staatshilfe unterstützt wurden, so daß die weit billigere afrikanische Konkurrenz auf dem US-Markt keine Chance hätte. Das gleiche gilt für die Bauern Boliviens und die dort möglichen Feldfrüchte. So beharren die Indios im Andenhochland, um Geld zu verdienen, auf der einträglichen Koka-Produktion.

Als Gipfel der Infamie betrachteten die Entwicklungsländer in Cancún das Ansinnen besonders der USA, auf der anderen Seite die völlige Liberalisierung all derer Bereiche durchzudrücken, die ihnen selbst Vorteile versprechen: von sämtlichen internationalen Dienstleistungen, von Banken und der Müllentsorgung bis hin zum Gesundheitswesen. Die EU kam sogar unter amerikanischen Druck, weil ihre Länder weiterhin das Recht behalten wollten, ihre Schulen und Hochschulen zu subventionieren, was nach US-Ansicht künftig verboten sein soll.

Das Bild für Drittweltstaaten ist klar: totale Liberalisierung dort, wo sie drastisch unterlegen sind, aber drakonische Handelsbeschränkungen auf dem Gebiet der Landwirtschaft, wo sie eine Chance hätten, auf dem Weltmarkt zu konkurrieren.

Diese als ausbeuterische Ungerechtigkeit empfundene Situation macht es linksradikalen Bewegungen leicht, den scheinbar teuflischen Charakter der Marktwirtschaft an sich als Wahrheit zu verkaufen und marxistische Parolen unters aufgebrachte Volk zu bringen. Im Interview mit der spanischen Zeitung La Vanguardia einen Tag vor dem Sturz von Präsident Sánchez de Lozada polterte Koka-bauern-Führer Evo Morales denn auch in altbekannter Manier vom Ziel des Kollektivismus und der "Umverteilung des Reichtums", die Bolivien retten sollen. Der neue Präsident und seine provisorische Regierung aus "unabhängigen Experten", wie der neue Herr im Regierungspalast von La Paz, Carlos Mesa, seine Riege nennt, wird es sehr schwer haben. Mesa ist sich seiner prekären Lage - eingekeilt zwischen wirtschaftlichen Zwängen und den hochgesteckten Erwartungen seines aufgepeitschten Volkes - voll bewußt. In seiner ersten Pressekonferenz schloß er nicht aus, möglicherweise "totalen Schiffbruch" zu erleiden.