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25.10.03 / Carl Gustaf Ströhm über die Außenpolitik des russischen Präsidenten Putin

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 25. Oktober 2003


Im Zeichen des Januskopfs
Carl Gustaf Ströhm über die Außenpolitik des russischen Präsidenten Putin

Nun haben sie doch klein beigegeben: Die europäischen Gegner (und Gegenspieler) des amerikanischen Irak-Krieges, Frankreich und in seinem Schlepptau Deutschland, haben nach einigem Zögern einer Irak-Resolution der Uno zugestimmt, welche de facto den amerikanischen Krieg rechtfertigt. Die Gründe für diesen Schwenk liegen auf der Hand: Die Hoffnung, eine französisch-deutsche Front (und Fronde) gegen die Politik der Bush-Administration durchsetzen (und durchhalten) zu können, hat sich nicht erfüllt. Die aufmüpfigen Europäer haben den Kürzeren gezogen - nicht nur wegen der nun schon sprichwörtlichen Zerrissenheit des angeblich "vereinten" Europa, sondern vor allem, weil der wichtigste Partner in dieser Koalition, nämlich Rußland, plötzlich die Fronten wechselte.

Rußlands Präsident Wladimir Putin hat sich mit Bush arrangiert. Dem Russen war die Partnerschaft mit den USA schließlich wichtiger als eine höchst unsichere europäische Kombination. Rußland will wieder als Weltmacht anerkannt werden - und dazu muß es in gleicher Augenhöhe mit den USA auftreten. Weder Frankreich noch Deutschland können ihm bieten, was die USA zu bieten vermögen.

Es ist bezeichnend, daß Putin erst vor wenigen Tagen eine neue russische Militärdoktrin verkündete, in der Moskau erstmals offen das Recht auf einen atomaren Erstschlag für sich beansprucht - was bisher nur den Amerikanern vorbehalten war. Es ist faszinierend, zu sehen, wie Putin angesichts eigener Schwäche zunächst vor den Amerikanern zurücksteckte - was von manchen westlichen Beobachtern voreilig als Unterwerfungsgeste gedeutet wurde. Im gleichen Augenblick aber, da die Amerikaner offensichtliche Zeichen von Schwäche erkennen ließen (man denke an die täglichen Überfälle und Morde an US-Soldaten im Irak), stieß Moskau in die offene Flanke der amerikanischen Partner.

So trat Putin während einer Veranstaltung in Malaysia als Gastredner auf und erklärte unter dem stürmischem Beifall der Repräsentanten der islamischen Staaten, der Terrorismus dürfe nicht mit irgendeiner Religion gleichgesetzt werden. Die Geschichte Rußlands, so setzte Putin fort, dementiere alle Vorstellungen über einen unvermeidlichen Konflikt zwischen den Zivilisationen. Das war eine deutliche Zurück-weisung der These des Amerikaners Samuel Huntington über den nicht zu umgehenden "Zusammenstoß der Zivilisationen".

Putin bezeichnete Rußland als ein "euro-asiatisches Land" das mit der Welt des Islam "verflochten" sei. Wieder als offensichtlicher Seitenhieb auf den Konkurrenten USA gemünzt, sagte Rußlands Präsident: "Die Versuche, eine Islamophobie in Rußland zu erzeugen, haben vollkommen Schiffbruch erlitten." Putin erinnerte seine islamischen Gastgeber sogar daran, daß "unser Land" - wie er es ausdrückte - vielen der hier vertretenen islamischen Länder im 20. Jahrhundert Unterstützung in deren Kampf um die Unabhängigkeit geleistet habe. Anders gesagt: Er erinnerte daran, daß die Sowjetunion (als Rechtsvorgänger der heutigen Russischen Föderation) diesen Ländern Hilfe im Kampf gegen den Westen angedeihen ließ. Zumindest indirekt appellierte er damit an antiwestliche Gefühle.

Hier liegt ein interessanter Unterschied: Daß es in Rußland im Zusammenhang mit dem Tschetschenien-Krieg starke antiislamische Ressentiments gibt, ist eine Tatsache, ebenso wie unzweifelhaft in den USA seit dem 11. September antiislamische Gefühle vorherrschen. Mehr noch: Putins Soldaten haben in Tschetschenien um ein Vielfaches mehr Moslems umgebracht als die amerikanischen Truppen im Irak. Trotzdem traut sich der russische Präsident als Redner vor einer islamischen Konferenz aufzutreten und eine proislamische Stimmung um sich zu verbreiten. George W. Bush würde einen allgemeinen Tumult - wenn nicht noch Schlimmeres - riskieren, würde er bei einem solchen Treffen sprechen.

Hier liegt ein Geheimnis des Erfolges russischer Außenpolitik: Moskau nutzt seine "Zwischenposition" , um, wie es so schön heißt, auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Putin tritt gegenüber den Europäern als Europäer auf, gegenüber den Deutschen als Deutschenfreund, gegenüber den Asiaten als Asiate (Sibirien ist ein asiatisches Land), gegenüber den Moslems als Repräsentant eines Staates, in dem viele Moslems leben (und wo, wie er nicht zu betonen unterließ, in letzter Zeit sehr viele Moscheen gebaut wurden). Gleichzeitig betont er gegenüber den USA die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes gegen den Terrorismus, wobei er zumindest impliziert, daß es sich um einen aus dem Islam gespeisten Terrorismus handle.

Dieser mehrdimensionalen, in gewisser Hinsicht unangreifbaren (weil nicht zu greifenden) russischen Politik hat Bush nur sein eindimensionales Erklärungsmuster entgegenzusetzen. Natürlich ändert das zunächst nichts an der Tatsache, daß die USA militärisch und wirtschaftlich unvergleichlich "stärker" sind als die Russische Föderation. Aber es fragt sich, ob die Amerikaner in Zukunft imstande sein werden, ihre Stärke wirklich auszuspielen. Wie schnell sich militärische Stärke in Ohnmacht verwandeln kann, zeigt sich schon seit einigen Wochen auf den Straßen Bagdads und anderer irakischer Städte.

Sicher ist nur: Das Rußland Putins wird sich mit einer zweit- oder drittrangigen Rolle in der kommenden Welt nicht zufrieden geben. Es verlangt gleichberechtigte Partnerschaft - nicht etwa mit den europäischen "Zwergen", sondern mit der Supermacht USA. Vor einer Rückkehr Moskaus in die einstige (sowjetische) Welt- und Supermachtposition aber fürchten sich vor allem die mittel- und osteuropäischen Staaten, darunter einige der zehn EU-Aufnahmekandidaten. Nicht nur die drei baltischen Republiken, auch Rumänien, Ungarn und Polen sind nicht zuletzt deshalb so unermüdliche Anhänger der euro-atlantischen Integra- tionen, weil sie darin den einzigen Schutz vor territorialem und machtpolitischem Appetit eines wiedererstarkten Rußland sehen.

Dabei ist nicht einmal sicher, ob es in Zukunft gegenüber Rußland eine einheitliche europäische Haltung geben wird. Als sich jüngst der deutsche Bundeskanzler Schröder und Putin in Jekaterinenburg unter vier Augen trafen, war es gerade zuvor zu einer schweren Verstimmung zwischen Deutschland und Polen gekommen - im Zusammenhang mit dem Titelblatt des polnischen Magazins Wprost (das, wie berichtet, Schröder auf allen vieren und die Vertriebenenpräsidentin und CDU-Bundestagsabgeordnete Steinbach in schwarzer SS-Uniform zeigte). Die nicht nur von der Wprost-Redaktion, sondern auch von ernstzunehmenden polnischen Politikern erhobene Forderung, Deutschland solle den Polen noch eine Billion Dollar Kriegsentschädigung zahlen, könnte auch zwischen Putin und seinem deutschen Gast zur Sprache gekommen sein - zumindest indirekt. Man könnte sich vorstellen, daß Putin Schröder während eines vertraulichen Tête-à-tête zugeraunt hätte, ob der deutsche Kanzler sich solche Unverschämtheiten von polnischer Seite gefallen ließe und ob es nicht vernünftiger wäre, die zur Megalomanie und Überschätzung ihrer eigenen Möglichkeiten neigenden Polen links liegenzulassen und dafür die deutsch-russischen Kontakte möglichst eng zu gestalten.

Auch in diesem Punkt - der vielzitierten Rapallo- und Tauroggen-Linie - bleiben freilich Putin mehrere Optionen offen: Er kann morgen, wenn der Wind sich drehen sollte, den Spieß umkehren und den Polen zu verstehen geben, Rußland werde allzu starke "germanische" Ambitionen nicht zulassen. Der Januskopf Moskauer Politik tritt auch hier wieder zutage.

Eine deutsche Regierung - man könnte sogar sagen: jede deutsche Regierung -, welche sich im komplizierten internationalen Geflecht zurechtfinden und dabei deutsche nationale Interessen vertreten muß (oder sollte), hat es nicht leicht. Einfach wäre es nur, wenn die Deutschen sich mit einer drittrangigen Satellitenrolle begnügen sollten. Ob aber die sich unvermeidlich dramatisierenden und zuspitzenden Zeitläufte den Deutschen weiterhin eine solche Abstinenz gestatten, ist zumindest fragwürdig. Leider amtiert in Berlin heute eine Regierung, in der das Verständnis für außenpolitische Zusammenhänge und Notwendigkeiten nicht sehr entwickelt ist - was zum Teil auch mit der permanenten Haushalts- und Finanzierungskrise des Sozialstaates zusammenhängt. Außenminister Joseph (alias Joschka) Fischer, einst ein Sausebraus und Bürgerschreck, hat sich auf dem außenpolitischen Parkett als farbloser Jasager erwiesen, der am liebsten nur ja nicht auffallen möchte. Das aber ist entschieden zu wenig für ein Metier, welches Bismarck einst als hohe Kunst bezeichnet hatte.

Auf den ersten Blick mag die kuriose Wahl des Hollywoodstars und "Bodybuilders" Arnold Schwarzenegger zum Gouverneur des US-Bundesstaates Kalifornien mit der Weltpolitik und mit den Problemen des Islam, des Irak und Afghanistans gar nicht zusammenhängen. Dennoch sollte man diese Wahlentscheidung nicht nur als lokales oder amerikanisches Problem betrachten: Die Wahl war eine Ohrfeige für das gesamte politische Establishment, ein Schlag gegen die arrivierte politische Klasse, gegen die Intellektuellen und Schönredner. Dies war ein Bekenntnis der Wähler nicht nur gegen die bisherige Politik, sondern gegen Politik überhaupt.

Schwarzenegger, der "Terminator", wurde als "Erlöser" gewählt: als der Mann, der mit einem Schlag (oder mit einem Besenstreich) alles Negative hinwegfegt. Das aber ist eine höchst problematische Erwartung. Sie zeigt nur: Je komplizierter, undurchschaubarer und furchterregender der allgemeine Zustand wird, desto mehr wachsen die Heilserwartungen. Ihre Verkörperung durch virtuelle Gestalten ist geographisch nicht begrenzt. Es ist eine Vertrauenskrise des Systems - und das sollte nachdenklich stimmen.

Berlin und Paris sind für Moskau nicht auf gleicher Ebene Russland sieht sich als Partner der Supermacht USA

Tête-à-tête: Was mögen Schröder und Putin sich beim "deutsch-russischen Kaffekränzchen" wohl zugeraunt haben? Foto: dpa