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01.11.03 / Liebespaare der Kulturgeschichte: Karl Marx und Jenny v. Westphalen 

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. November 2003


Zuneigung mit Prüfungen
Liebespaare der Kulturgeschichte: Karl Marx und Jenny v. Westphalen 
von Esther Knorr-Anders

Daß Jenny ihren Karl geradezu ekstatisch liebte, beweisen ihre Briefe aus der Brautzeit: "Karl, Du schreibst mir ja so lieb, so gut, ach Karl, wie hab ich die Briefe zerküßt. Ich trage sie immer auf meinem Herzen ..." Auch Marx liebte, sofern er - außer seiner selbst - überhaupt jemanden zu lieben vermochte, Jenny von Westphalen.

Zum Schicksalsverlauf: Karl Marx, gemeinsam mit Friedrich Engels Schöpfer einer Gesellschafts-, Wirtschafts- und Staatstheorie, die unter dem späteren Begriff "Marxismus" weltweiter Exportartikel Deutschlands werden sollte, zitierte gern einen Ausspruch seiner wirtschaftspraktischen Mutter Henriette: "Wenn der Karl viel Kapital gemacht hätte, statt über ‚Kapital' zu schreiben, wäre es viel besser gewesen." Was die finanziellen Verhältnisse im Leben von Karl Marx und seiner Frau Jenny anbetraf, behielt sie recht. Recht behielt aber auch der Vater, der dem 19jährigen Studenten schrieb: "Du weißt es, Du mußt es wissen, mit welcher Liebe ich Dich umfasse, aber ich kann mich des Gedankens nicht entschlagen, daß Du nicht frei von Egoismus bist, etwas mehr als zur Selbsterhaltung nötig."

Karl wurde im katholischen Trier am 5. Mai 1818 in der Brükkenstraße 10 (jetziges Karl-Marx-Museum) geboren. Die Eltern stammten beiderseits aus Rabbiner-Familien, pflegten aber in ihrem Haus eine aufgeklärte und weltbürgerliche Kultur - und blieben dennoch im seelischen Bereich traditionellen jüdischen Werten verbunden. Daran änderte auch nichts der 1824 erfolgte Übertritt der gesamten Familie zum Protestantismus, weil dieser geistige Freiheit gewährte. Dar-über hinaus war der Taufschein "Entreebillett" zum beruflichen Aufstieg innerhalb der nichtjüdischen Gesellschaft. Viele Juden nahmen diese Möglichkeit wahr.

Vater Heinrich las die bereits zahlreichen schriftstellerischen Ergüsse (Gedichte, Balladen) Karls mit Skepsis. Unumwunden erklärte er ihm, daß er weder Inhalt noch Tendenz verstände. Er war froh, daß Karl Jura, Philosophie und Geschichte in Bonn und Berlin studierte. Das war handfest und zukunftsbildend. Zum ernsten Zerwürfnis kam es 1836, als Student Karl mitteilte, daß er sich heimlich mit der vier Jahre älteren Jenny von Westphalen verlobt habe. Vater Marx und der Vater Jennys, jüdischer Regierungsrat in Trier, waren befreundet. Gerade dieser Umstand beschwor die Sorge herauf. Jüdischem Familienverständnis entsprechend hatte der Mann der auserwählten Frau ein gesichertes Zuhause zu bieten, das heißt, er mußte Beruf und Auskommen vorweisen können.

Karl und Jenny schoben die Mahnungen zur Seite. Beide hatten als Kinder miteinander herumgetollt. Nun, da sie sich als junge Erwachsene begegneten, fühlten sie sich durch Wesensgleichheit angezogen. Und eigen war ihnen auch der Glaube an eine Utopie, an die "klassenlose Gesellschaft", an den Sieg des Pro- letariats über die bourgeoise Gesellschaft, deren haarsträubender Fehler, Ausbeutung der Arbeiter, in aller Welt als gang und gäbe zutage trat. Das im Februar 1848 von Marx proklamierte "Manifest der Kommunistischen Partei" mit dem weltbekannten Schlußsatz "Proletarier aller Länder vereinigt Euch" erreichte den Rang einer Prophetie, wurde zum unsterblichen Mythos, der immer wieder Nahrung finden wird, wo es in Armut und Elend hadernde Menschen gibt. Und wo gibt es sie nicht?

Zurück zu den Jungvermählten. Nach sieben Jahren Verlobung hatte die Hochzeit im Juni 1843 stattgefunden. Ein ruheloses, ständiges Emigrantendasein begann. Seines radikalen, politischen Schrifttums wegen war Marx mit Jenny nirgends willkommen. Paris, Brüssel und als Endstation London waren ihre wechselnden Bleiben. Keine andere als Jenny hätte es an der Seite von Marx ausgehalten. Seine schriftstellerischen Einnahmen reichten für den alltäglichen Lebensbedarf nicht aus, zumal Jenny sechs Kinder gebar. Trotz einzelner Zuwendungen und Erbschaften aus dem Familienkreis - das Geld versickerte wie Wasser im Abflußrohr. Sie lebten vornehmlich von Unterstützungsgeldern vieler Gesinnungsgenossen. An erster Stelle ist Friedrich Engels zu nennen, wie Marx politischer Publizist, Mitverfasser des "Manifests". Er stammte aus Barmen, war Teilhaber einer väterlichen Fabrik in Manchester und als solcher reich genug, um Marx 1869 eine Jahresrente von 7.000 Mark zufließen zu lassen, die oft erhöht werden mußte, denn Marx liebte, wenn er Geld hatte, ein luxuriöses Leben, auch dann, wenn Jenny sehr oft das Pfandhaus bemühen mußte.

Um diese Misere zu komplettieren, wurde Jennys Liebe in die Krise geführt. Marx hatte mit der jungen Hausgehilfin Helene Demuth einen Sohn gezeugt. Engels erwies den größten Freundschaftsdienst: Er gab sich als Vater Fredericks aus, um zu verhüten, daß der Ruf von Marx als inzwischen anerkannter Führer der Arbeiterbewegung geschädigt wurde. Frederick erfuhr nie, wer sein leiblicher Vater war.

Nicht zuletzt dieser Treuebruch, aber auch das nicht endende aufreibende Leben zerrütteten Jennys Gesundheit, Nervenzusammenbrüche folgten. Als hätte sie es vorausgeahnt, hatte sie an Marx 1841 geschrieben: "Das Ende Deiner Liebe und das Ende meines Daseins fallen in einem Moment zusammen. Und nach dem Tod gibt es keine Auferstehung - denn nur in der Liebe liegt der Glaube an Fortdauer." Sie starb am 2. Dezember 1881.

Marx folgte ihr zwei Jahr später. Schon lange litt er an einem Leber- und Gallenleiden; "Kachexie infolge Schwindsucht" beendete sein Leben. Am 14. März 1883 trat der Tod zu Marx ins Zimmer. Noch immer ging er in Schwarz; er hatte keine Mode mitgemacht. Er erfüllte Aufträge. Monarchen, Demokraten, Funktionäre - niemand beeindruckte ihn. So auch jetzt nicht. In blendender Manier, wie sie Marx zeitlebens gepflogen hatte, beugte er sich zu ihm: "Ich werde Ihnen den Weg weisen. Folgen Sie mir ..." Eine Grabplatte auf dem Londoner Friedhof Highgate weist vier Namen auf: Jenny von Westphalen, Karl Marx, Enkelsohn Harry Longuet und - Helene Demuth.

Im Gespräch: Der Dichter Heinrich Heine mit Jenny und Karl Marx