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01.11.03 / Ohne Gnade gegen "das Böse" / Rechtfertigung zur Kriegsführung im Wandel der Jahrhunderte aus Sicht einzelner Nationen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 01. November 2003


Ohne Gnade gegen "das Böse"
Rechtfertigung zur Kriegsführung im Wandel der Jahrhunderte aus Sicht einzelner Nationen

Dies ist ein außergewöhnliches Buch! Ein hoher Militär (Dr. Franz Uhle-Wettler war immerhin Generalmajor der Bundeswehr) nimmt sich der Problematik des Krieges an. Der heute 76jährige gelernte Historiker, der vor seiner Pensionierung Kommandeur der Nato-Verteidigungsakademie in Rom war, erweist sich als ein profunder Wissenschaftler, der über die Grenzen seines Faches hinausschaut und über unseren Kulturkreis hinaus geistesgeschichtliche Zusammenhänge der Entwicklung deutlich macht.

Franz Uhle-Wettler geht der Frage nach, wie im Laufe der Geschichte Kriege gerechtfertigt und verurteilt wurden. Sein Buch erreicht den Höhepunkt, wenn er vor dem Hintergrund der philosophischen Lehren der Jahrhunderte zu aktuellen Fragen unserer Politik und ihrer Begründung der Kriegsführung vorstößt.

Jeder aufgeklärte Mitteleuropäer hat wohl in dem vergangenen Jahrzehnt staunend, zweifelnd und nicht wissend, ob er solche Bekenntnisse ernst nehmen kann, beobachtet, wie die US-Amerikaner, und nicht erst seit dem jetzigen Präsidenten, in aller Unbefangenheit erklärten und erklären, sie würden "das Gute" vertreten und hätten daher jede Berechtigung, gegen "das Böse" zu Felde zu ziehen. In Uhle-Wettlers Buch "Der Krieg - gestern, heute und morgen" erfährt man, daß die Idee vom "gerechten Krieg" in der Geschichte immer wieder einmal aufgeschienen ist, daß ihr aber auch von klugen Denkern vehement widersprochen wurde. Die Folgen des Krieges, bei dem die eine Seite meint, sie vertrete "das Gute", sind keineswegs "gut". Denn wer in seinem schlichten Weltbild meint, er habe von einer höheren Macht den Auftrag, die "Schurkenstaaten" auszu- schalten, der fühlt sich auch berechtigt, jedes Mittel gegen den Gegner anzuwenden, ohne sich an Regeln der Menschlichkeit oder des Völkerrechts zu binden. Sein Ziel ist, um mit Winston Churchill zu reden, der "Sieg um jeden Preis".

Uhle-Wettler schildert, wie zu Beginn unserer Zeitrechnung Kriege ohne Regeln und ohne Gnade geführt wurden, und kann dabei auf die Schilderungen im alten Testament verweisen. Als Staaten entstanden, wurde der Stand des Soldaten ins Leben gerufen, der das Volksaufgebot ablöste. An der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert formulierte der englische Politiker und Philosoph Thomas Morus mit seiner Schrift "Utopia" die Grundlagen für die "Herrschaft der Vernunft". "Vernünftige und Tugendhafte" sollten den Staat führen und prägen. Wer sich aber gegen den "Tugend-Staat" wandte, war, was amerikanische Präsidenten gern "Schurkenstaaten" nennen. Sie zu bekämpfen sei "gerecht".

Machiavelli, zu Unrecht meist negativ apostrophiert, glaubte nicht an den Sieg von Vernunft und Tugend. Für ihn waren Kriege, wenn sie denn "notwendig" sind, fern von Ideologie und Glaube zu führen. Sie hatten lediglich die Aufgabe, ein politisches Ziel durchzusetzen. Er verurteilt willkürliche Kriege, lehnt aber ebenso die Moralisierung der bewaffneten Auseinandersetzung ab. Die Folge: Er billigt dem Gegner im Krieg dieselbe Berechtigung zu, Krieg zu führen. Auf diese Weise wird der Krieg vermenschlicht; Brutalität und Zerstörungswut haben keine Rechtfertigung. Hat in einem Krieg eine der beiden Seiten das Übergewicht errungen, verhandeln beide Parteien wie unter Gleichen. Keine wird diskriminiert.

Im 18. Jahrhundert kommt die Frage auf, ob es "gerechte Kriege" gibt und woran die "gerechte" Sache zu erkennen ist. In der Zeit der Aufklärung nimmt man Abschied von der Lehre vom "gerechten" und "ungerechten" Krieg. Der alt gewordene Friedrich II., nun Friedrich der Große, wendet sich von seiner jugendlichen antimachiavellistischen Einstellung ab und sorgt dafür, daß allein Soldaten Krieg führen. Während die Bevölkerung ungeschoren bleibt.

Der große preußische Militär und Philosoph Clausewitz wertet die Kriegsführung als ein Instrument der Politik. Er kennt nicht den Haß gegen den Feind; ihm ist der politische Zweck eines Krieges allein wichtig. Ist der erreicht, hat man unter Gleichwertigen zu verhandeln mit dem Ziel, den nächsten Krieg zu vermeiden. Das wird in erster Linie erreicht, wenn der Friede "gerecht" ist.

Clausewitz gab die Antwort auf die Barbarisierung, die der Krieg durch die Französische Revolution angenommen hatte. Die Parteigänger der Revolution fühlten sich als die Krieger der Tugend, denen jedes Mittel recht ist, den Sieg ihrer guten Sache zu erringen. In dieser sich über Europa ausbreitenden Anschauung entstand der Partisanenkrieg, der bis in unsere Tage herübergewuchert ist und, wie der englische Feldherr Wellington bereits sagte, "die Tore zur Hölle öffnet". Nun gibt es keine Regeln mehr. So ist die Rebarbarisierung des Krieges indirekte Folge der Demokratie, zu der auch die allgemeine Wehrpflicht gehört.

"Im Namen Christi" zu kämpfen, zu einem "Kreuzzug" aufzubrechen - all diese hehr klingenden Argumente, die vor allem in den angelsächsischen Ländern im Schwange waren und immer noch sind, führen zur Unfähigkeit, gerechte Friedensschlüsse herbeizuführen. Haß- und Rachefrieden legen aber die Basis zum nächsten Krieg.

Uhle-Wettler macht deutlich, welche vergiftende Rolle die psychologische Kriegsführung spielt; in der modernen Demokratie aber muß das Volk für die Kriegsführung gewonnen werden, was am leichtesten dadurch erreicht wird, daß man ihm mit Hilfe eben der psychologischen Kriegsführung weismacht, der Gegner sei die Verkörperung alles "Bösen". Die zahlreichen Beispiele, die der Autor aufführt, lassen einen schaudern.

Der Blick in die Gegenwart belehrt, daß auch der Versuch, die Uno oder besser: den Sicherheitsrat entscheiden zu lassen, welcher Krieg berechtigt ist oder nicht, gescheitert ist.

Und die Zukunft?

Uhle-Wettler begründet seine Ansicht, daß die Angst vor den Folgen den großen Krieg verhindert, daß aber die Überzeugung, eine Partei vertrete das "Gute" und demzufolge eine andere das "Böse", die Tore öffnet für begrenzte Kriege, für Bürgerkriege und den Partisanenkrieg, und das um so leichter, desto schwächer der Staat ist, der zur Verkörperung des "Bösen" auserwählt wird. Und das, obgleich nach Uhle-Wettlers Überzeugung jeder Krieg den Eigeninteressen eines jeden Staates, auch denen des Siegers entgegensteht.

Ein kluges Buch, ein Buch, das die Beurteilung der Gegenwart wie der Zukunft erleichtert, und das daher in die Hand eines jeden politischen Entscheidungsträgers gehört - wenn die denn lesen würden. Hans-Joachim von Leesen

Franz Uhle-Wettler: "Der Krieg - gestern, heute - morgen?", Verlag E. S. Mittler & Sohn, Hamburg, geb. mit Abbildungen, 208 Seiten, Euro 19,90