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08.11.03 / Bei den letzten Deutschen in der Gottschee

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. November 2003


Slowenien: Hoffnung stirbt nicht
Bei den letzten Deutschen in der Gottschee 
von Gudrun Schmidt

Sie liegt im Süden Sloweniens und gehört zu den ältesten deutschen Sprachinseln in Ostmitteleuropa. Doch kaum einer kennt sie: die Gottschee. Klein und fast unauffindbar ist sie eingebettet in schier undurchdringliche Wälder, in denen heute noch Bären beheimatet sind - und einige wenige Deutsche.

Die winzigen Dörfer mit ihren meist verfallenen Häusern und Kirchen und die weiten Felder zeugen von einer Vergangenheit, in der fleißige Siedler dem Boden hartnäckig jeden Zentimeter Ackerland abtrotzten und in der es an Leidvollem nicht fehlte.

Doch was heißt hier Vergangenheit? "Die Gottschee hat Zukunft!" prophezeit August Grill, der Vorsitzende des Altsiedlervereins, zu dem sich jene Handvoll Gottscheer zusammengeschlossen hat, die Krieg, Umsiedlung und Verfolgung überlebte. Die Gottscheer glauben fest daran, daß ihre alte deutsche Sprachinsel zu neuem Leben erwachen wird. Als Touristenattraktion im wirtschaftlich prosperierenden Slowenien oder als Erholungsgebiet für Individualisten. Oder als Eldorado für Sprachwissenschaftler auf der Suche nach reinem Mittelhochdeutsch.

"Denn nur noch bei uns und in der Zimbrischen Sprachinsel in Oberitalien spricht man solch ein reines Mittelhochdeutsch", sagt August Grill.

Den Grund für seine Zuversicht lieferte nicht zuletzt der deutsche Bundespräsident. Gern erzählt Grill, wie Johannes Rau während seines Besuches in Slowenien ihn, den echten Gottscheer, zu einem privaten kleinen Plausch gebeten hatte. "Er wollte unbedingt hören, wie Gottscheerisch klingt."

Der damalige slowenische Präsident Kucan und sein Dolmetscher hätten kein Wort verstanden - im Gegensatz zum Bundespräsidenten. Der sei so begeistert gewesen, daß er seinen slowenischen Amtskollegen gebeten hätte, die Gottscheer zu unterstützen und den Erhalt ihrer Sprache zu fördern.

Der Weg führt über gut ausgebaute Straßen, vorbei an Feldern und Wäldern. Nur hier und da ein Haus. Und viel Einsamkeit. "Stara Zaga" lesen wir auf einem Ortsschild. "Das war früher Altlag, ein großes Straßendorf mit 17 Sägewerken und Mühlen", erklärt August Grill.

Wir biegen in einen Feldweg ab und halten vor einer Idylle: ein Haus, in dem es noch eine der Mühlen gibt, die einmal Wasser für eines der inzwischen nicht mehr vorhandenen Sägewerke lieferte. Heinrich Dralka wohnt hier mit seiner Familie. Die Romantik des Platzes mit seinen üppigen Blumen und dem Wein, der fast bis ins Haus hineinwächst, tröstet über Unzulänglichkeiten hinweg: Es gibt weder fließendes Wasser noch eine Kanalisation. Wenn Urlauber kommen sollen, müßte die gesamte Gegend erst einmal gründlich erschlossen werden.

Wie attraktiv die Gottschee dennoch ist, weiß man in der Hauptstadt Laibach (Ljubljana) durchaus. Dort bieten die Touristenbüros Ausflüge über die "Hausiererstraße" an, die durch die Gottschee

führt. Sie trägt diesen Namen, weil die Gottscheer einst von ihrem Privileg Gebrauch machten, über genau diese Route als Hausierer durch die Lande zu ziehen. Dieses Vorrecht erhielten sie, weil ihre Gegend überbevölkert war.

Bisher jedoch zieht es vor allem ehemalige Bewohner oder ihre Nachfahren in diese entlegene Region. Manche kommen sogar aus Amerika. In New York zum Beispiel gibt es einen äußerst lebendigen Verein der Gottscheer.

Wir treffen zwei Gäste aus Deutschland: Anni Petschauer, deren Mann aus Mitterdorf in der Gottschee stammt, und Maria Schager, die hier geboren wurde. Heute wohnt sie in Düsseldorf, wo sie die Landesgruppe Nordwest der Gottscheer Landsmannschaft leitet.

Bei einem guten Gottscheer Wein kommen die Erinnerungen: "Als Kinder mußten wir im Weinberg helfen, Reben schneiden und Fässer säubern. Die Isabella-Traube aus der Gottschee war einmal sehr berühmt. Ebenso der köstliche Waldhonig und das Siebenschläfer-Gulasch. Zubereitet aus dem Fleisch von Siebenschläfern, von denen es in den Wäldern sehr viele gab, war dieses einst das Hauptnahrungsmittel in der Gottschee."

Die Sonne steht im Zenit und taucht die Landschaft in gleißendes Licht. Unser Auto bleibt das einzige weit und breit. Wir erreichen das Dorf Obcice, früher Krapflern.

Das einsame Haus auf der rechten Seite ist nicht zu übersehen - mit seinem blauen Anstrich und den weißen Fensterrahmen, davor die Europafahne. "Kulturzentrum der Gottscheer" lesen wir und klettern über eine steile Stiege auf den Dachboden, wo Schätze aus der "guten alten Zeit" zusammengetragen sind: Holzwerkzeuge, eine Kinderwiege und die typischen Bienenstöcke: bunt bemalt mit Szenen aus dem Alltagsleben. Auch ausgestopfte Siebenschläfer fehlen nicht. Und das Modell eines Gottscheer Dorfes. Typisch: die Häuser haben alle außen einen Treppenaufgang, denn die Wohnung befand sich immer im ersten Stock, während die Ställe für das Vieh zu ebener Erde untergebracht waren.

Die ersten Siedler kamen im zwölften, die meisten jedoch im 14. Jahrhundert vor allem aus Thüringen und aus Südtirol in die Gottschee. Diese war eigentlich so etwas wie ein Paradies auf Erden: mit einem gesunden Mikroklima, genügend Wasser und guter Luft. Wenn nur die vielen Brände und Seuchen nicht gewesen wären - und die Ängste wegen der Überfälle der Türken, die die Dörfer verwüsteten. Aber die Siedler ließen sich nicht entmutigen und bauten immer wieder neu auf: Grafenfeld, Hasenfeld, Schwarzenbach, Hornberg, Annaberg, Katzendorf, Windischdorf usw. Und sie waren selbstbewußt. Ja, sie entsandten 1848 sogar einen Vertreter in die Frankfurter Paulskirche und 1907 in den österreichischen Reichsrat.

Doch das alles ist Geschichte. 1941 wurde der nördliche Teil Sloweniens dem Großdeutschen Reich angegliedert, der Rest - die Provinz Laibach - gehörte fortan für wenige Jahre zu Italien. Die meisten Gottscheer wurden auf Befehl Hitlers - gegen ihren Willen - umgesiedelt. Jene, die sich widersetzten und in der Heimat blieben, gingen (ähnlich wie viele Slowenen) in ihrer Verzweiflung zu den Partisanen.

Auch heute noch sind überall die Spuren von Krieg und kommunistischer Gewaltherrschaft zu spüren. Viele Dörfer verfallen. 82 Kirchen wurden hauptsächlich von Slowenen und Italienern zerstört. Nur zwölf sind erhalten.

Wie viele Gottscheer es noch gibt, weiß wohl niemand genau. Von den einst rund 14 000 im "Gerichtsbezirk Gottschee", die im Jahre 1910 gezählt wurden, sind heute noch etwa 300 in ihrer Heimat übriggeblieben. Von Österreich bekommen sie viel Ermutigung und auch eine kleine Unterstützung, von der Bundesrepublik Deutschland nichts. Sie seien zu wenige, heißt es. (DOD)

Eldorado für Sprachwissenschaftler / Besiedlung im 14. Jahrhundert: Vor allem Thüringer und Südtiroler kamen