29.03.2024

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08.11.03 / Ein Mensch verabschiedet sich

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 08. November 2003


Ein Mensch verabschiedet sich
von Eva Pultke-Sradnick

Es hatte dreimal geklopft. Friederieke war so müde, daß sie meinte, es gehörte zu ihrem Traum. Sie war ja erst kurz vor dem Einschlafen, stundenlang hatte sie vorher wieder wach gelegen. Es war schon immer ein kleines Kunststück, ihrem Nicht-einschlafenKönnen ein Schnippchen zu schlagen.

Endlich schien es soweit zu sein. Sie spürte, wie Morpheus Arme sie umschlangen und ihre Gedanken Wege gingen, die gar nicht mehr zu ihrem Leben gehörten. Doch dann war da etwas gewesen - sie hatte es deutlich gehört ... Es hatte geklopft, dreimal. Es war nicht wie sonst in unmittelbarer Nähe, es war leiser, kam von weiter her. Eigentlich wollte sie es gar nicht wahrnehmen. Sie kannte es, wußte. Aber vielleicht gehörte es doch zu ihrem Traum? Wie war das denn nur gewesen? Sie erinnerte sich schwach, dann jedoch stärker hervorhebend, an ein großes Zimmer. Hell, sogar freundlich war es gewesen, und doch lag eine gewisse Unordnung in der Ordnung. Auch ein Vierkantholz, ein langer Balken, schräg nach oben ragend, hatte den Raum in zwei Teile geteilt. In einen großen, seitlich zurückliegenden und einen sehr schmalen hier vorne am Rand.

Immer noch war Friederieke todmüde, und doch begann ihr Kopf zu arbeiten. Sie kannte das klopfende Geräusch. Es war ein dreimaliges Aufstoßen auf dem Boden wie mit einen Stab. Fest und bestimmt, es lag etwas Endgültiges darin. Ach was, dachte sie müde, es hat nichts zu bedeuten. Trotzdem stand sie auf, nahm Zettel und Bleistift und kritzelte ein paar Worte darauf. Sie wußte nämlich, daß sie meistens den Traum am nächsten Tag vergessen hatte.

Friederieke war absolut keine spinnige Person, sie hörte vor lauter Neugier auch nicht das Gras wachsen oder bespitzelte ihre Nachbarn. Sie war so wie du und ich. Und doch hatte sie Empfindungen, über die sie kaum sprach, denn sie waren in Ostpreußen nichts Ungewöhnliches.

Wieder im Bett liegend, bemühte sie sich weiterzuschlafen, aber es wollte nicht so recht gelingen. Ihre Gedanken waren noch bei dem Gehörten. Wollte sich da jemand verabschieden, wollte jemand die Welt verlassen? War es jemand, den sie gut kannte? Es gab so viele Menschen, mit denen sie, oft auch nur geistig, in Verbindung stand. Nein, es würde niemand aus ihrer Familie sein, dessen war sie gewiß. Vielleicht war wirklich auch alles nur ein wirrer Traum ... Aber der feste Klang und das Bestimmende des Klopfens waren ihr vertraut. Hier war jemand dabei, sich auf den großen Weg zu machen. Sie hatte es ja eigentlich von Anfang an gewußt.

Ihre Eltern und Großeltern, sehr viele, vielleicht sogar alle Ostpreußen hatten die Verbindung zwischen den Toten und den Lebenden gekannt. Viele hatten nur das Hören verlernt. Und wenn es dann wieder mal so weit war, dann wurde leise darüber gesprochen. War jemand todkrank oder seine Zeit gekommen, hieß es meistens: "Weetst all, hiede nacht hefft he söck affgemeldt." Der- oder diejenige hatte sich verabschiedet, hatte allen mitgeteilt, daß er oder sie die Erdenwelt verläßt. Auch Friederieke hatte dieses Fortgehen und Abmelden schon oft erlebt, und sie empfand es als etwas Natürliches. Es war nicht so, daß sich jeder Mensch verabschieden kam - er mußte ja auch einen Empfänger finden. Auch Friederieke wunderte sich oft, warum dieser oder jener nicht gekommen war. Aber es gab auch noch andere Zeichen. Sie hatte sie nur nicht vernommen.

Am nächsten Tag sah sie sich ihre krakelige Notiz an und verfolgte die Nacht zurück. Immer mehr kam sie zu der Annahme, daß ein ihr gut gesonnener Mensch die Erde verließ. Sie war sehr nachdenklich, aber es beunruhigte sie nicht. Es gab ihr auch kein Grauen oder gar eine Angst ein, das Sterben gehörte zum Leben.

In den nächsten drei Tagen dachte sie immer wieder mal daran und vergegenwärtigte sich das Endgültige des Klopfens. Sie wußte, daß sie es erfahren würde. Es stand dann in der Zeitung. Eine sehr alte liebe Ostpreußin hatte sich für immer auf den Weg gemacht. Sie hatte ihr Haus bestellt und hatte es denen, die ihr nahe waren, mitgeteilt. Die beiden Frauen hatten sich erst spät kennengelernt. Sie hatten sich gemocht und geachtet. Später waren ihre Wege wieder auseinandergegangen, wie das im Leben und im Alter so ist. Friederieke war wieder einmal erstaunt, welche Kraft und welche Geheimnisse in der Natur zu finden waren.

Frühlingslied im Herbst
von Christel Poepke

Neulich hat der gute Sommer seinen bunten Rock zerfetzt,

die lauen Nächte ausgeblasen

und sich an den Herd gesetzt.

Werd ich jemals wieder singen,

werd ich über Wiesen geh'n?

Wird der Klang der Mandolinen

süß vom Wald herüberweh'n?

Wird das Kräutlein Pimpinelle

wieder blühn am Gartenzaun,

werd ich aus der wilden Malve

mir noch mal

ein Tränklein brau'n?

Sollt' vor meinen

nassen Scheiben

jemals wieder Frühling sein,

dann setz ich mich

zum Salamander

auf den sonnenwarmen Stein.