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15.11.03 / Thorsten Hinz über Möglichkeiten zur späteren Nutzung des Berliner Stadtschlosses

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. November 2003


"Bitte nicht nur eine gefällige Hülle"
Thorsten Hinz über Möglichkeiten zur späteren Nutzung des Berliner Stadtschlosses

Im Juli 2002 hat der Bundestag die Entscheidung über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses getroffen. In der vergangenen Woche haben der Haushalts- und der Kulturausschuß des Parlaments auch dem Abriß des Palastes der Republik zugestimmt, der einen Teil des historischen Schloß-areals besetzt hält. Der Baubeginn ist wegen der finanziellen Schwierigkeiten ungewiß. Man will auf eine bessere Haushaltslage warten. Im Jahr 2004 soll die Palast-Ruine für eine kulturelle Zwischennutzung zur Verfügung stehen. Danach könnte auf dem Schloßplatz zunächst eine Grünanlage, eine Art "Central Park", entstehen.

Dieses Moratorium kann eine Chance sein, genauer darüber nachzudenken, welchem Zweck der Bau eigentlich dienen soll. Das Parlament hatte im Sommer 2002 lediglich eine Feststellung über das Außenvolumen und die Fassade des Baukörpers getroffen, aber noch nichts Konkretes über die Innengestaltung und den Genius loci, der von hier ausstrahlen soll, gesagt. Beim Nachdenken dar-über sollte man auch die Argumente der Schloßgegner ernst nehmen.

Einige ihrer Argumente haben sich von allein erledigt: Niemand redet mehr davon, daß mit dem preußischen Barockbau ein obrigkeitsstaatlicher Geist zurückkehren würde, dem man die Transparenz der "demokratischen Bauweise" entgegenstellen müßte. Dazu sind die Erfahrungen mit den neuen Parlaments- und Regierungsbauten zwischen Reichstag und Kanzleramt zu ernüchternd. Die Gebäude sind unterirdisch miteinander verbunden, der Verweis auf ein Parlament der kurzen Wege ist für die Politiker ein bequemer Vorwand, um unter sich zu bleiben. Man kann die Gebäude dank der Glaswände zwar einsehen, trotzdem fallen die politischen Entscheidungen unsichtbar.

Beim Nachdenken darüber, wie das Innere des Schloßbaus aussehen soll, empfiehlt sich ein Besuch der noch vorhandenen preußischen Schlösser. Zunächst kann man feststellen, wie viele den Krieg überstanden haben beziehungsweise danach wiederaufgebaut worden sind, wieviel Sorgfalt, Pflege und Aufwands jedes von ihnen bedarf. Parallelen zum Schloß Charlottenburg, das im November 1943 von Bomben zerstört wurde, bieten sich an. Der heutige Bau ist weitgehend die Kopie des zerstörten Originals. Auch im Innern findet man nicht durchweg Originalbestände vor, viele der Möbel und Bilder stammen aus den zerstörten Stadtschlössern in Berlin und Potsdam. Diese Art der Rekonstruktion ist nicht zuletzt dadurch gerechtfertigt, daß die Fürsten ebenfalls ihr Mobiliar zwischen den verschiedenen Residenzen hin- und hertransportierten. Manches wurde auch nachempfunden. Das lange als zerstört geltende Porzellankabinett (inzwischen wird es in Rußland vermutet) wurde durch weltweite Ankäufe wiederhergestellt. Auf diese Weise ist ein Schloßmuseum entstanden, wo die Frage nach der materiellen Identität zweitrangig ist. Es läßt sich hier ablesen, wie die preußischen Könige zu verschiedenen Zeiten gelebt haben und wie ihre Staatsideen sich ästhetisch manifestierten. Historische und kulturgeschichtliche Zusammenhänge werden sinnlich erfaßbar, die Besucher fühlen eine gleichsam kathartische Wirkung. Das ist möglich, weil Inneres und Äußeres miteinander korrespondieren, der Baukörper nicht nur eine Attrappe ist.

Was bedeutet das für das Berliner Schloß? Sein Wiederaufbau wäre städtebaulich ein Wert an sich, weil - Wolf Jobst Siedler hat darauf immer wieder hingewiesen - der Bau die natürliche Stadtmitte war und die umliegenden Gebäude - Museumsinsel, Zeughaus, Oper - sowie die Straße Unter den Linden auf ihn bezogen waren. Trotzdem ist eine Neuschwansteiner Kulisse als Mitte der Hauptstadt abzulehnen, weil sie kaum mehr wäre als eine umbaute ideelle Leere. Ein großes, neues Schloßmuseum braucht man ebensowenig. Die bisherigen Vorschläge für Bibliotheken, gehobene Restaurants, Tagungszentren, Hotels oder Hörsäle sind sympathisch, würden aber - wenn man sie wörtlich nimmt - den Schlüterbau ebenfalls zur gefälligen Hülle degradieren. Ähnliches gilt für den Vorschlag, das Museum für Außereuropäische Kunst hier unterzubringen.

Ein anderer Vorschlag lautet, im Schloß das "Zentrum gegen Vertreibungen" einzurichten, das sich damit in unmittelbarer Nähe zum Museum für Deutsche Geschichte im Zeughaus befände. Das wäre ebenfalls der Rückzug in eine illusorische Harmonie. Bei der Gestaltung des Zentrums sollte man sich eher an Daniel Liebeskinds Jüdischem Museum orientieren, das bereits äußerlich die Schreckenserfahrungen des 20. Jahrhunderts aufnimmt.

Die bisherigen Nutzungsvorschläge für das Schloß sind wenig vertrauenerwekkend. Es geht darum, den Bau durch moderne Innengestaltung zu einem kommerziellen Erfolg zu machen. War zunächst von einem paritätischen Anteil zwischen öffentlicher und privater Nutzung die Rede, geht es neuerdings schon um einen 80prozentigen Privatanteil. Um die Nutzfläche zu erhöhen, sollen die Ecken der Innenhöfe abgerundet werden, was ihnen das Aussehen einer überdimensionierten Kloschüssel verleiht. Durch Glasdächer würde dieser Eindruck sich noch verstärken. Hinzukommen würden wohl gläserne Galerien und Atrien, wie sie sich heute jede mittlere Bank als Kulisse für Cocktailempfänge, Pressekonferenzen und andere Medieninszenierungen leistet. Die Höfe wären also - anders als in der Vergangenheit - nicht mehr begehbar, die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Hinter der Fassadenarchitektur würde eine selbsternannte Elite sich selber feiern. Zu denken geben sollte auch die 1945 zerstörte und seit 2001 wieder aufgebaute ehemalige Kommandantur nahe am Schloßplatz, die jetzt als Bertelsmann-Repräsentanz eröffnet wurde. Hier wurde die Neorenaissance-Fassade von 1873 sorgfältig rekonstruiert, doch sobald es dunkel und das Gebäude von innen erleuchtet wird, stellt sich heraus, daß die historische Außen- und die modernen Innenstrukturen in keinerlei Zusammenhang stehen. Das Gebäude wirkt als austauschbare Kulisse.

Vielleicht sollte man doch lieber eine möglichst genaue Rekonstruktion des alten Zustandes anstreben. Dabei kann es nur um die dokumentierten und kulturhistorisch bedeutsamen In-nenräume gehen, zwei Drittel des Schlosses waren ohnehin profaner Natur. Zu denken wäre an Schlüters Treppenhäuser, an den Weißen Saal, wo der Kaiser den Reichstag empfing, und zwar nicht in der wilhelminischen Fassung, sondern in der von August Stühler aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, oder an den Rittersaal, wo wieder das Silberbuffet untergebracht werden könnte, das heute in einem lieblosen Raum des Kunstgewerbemuseums am Kulturforum abgestellt ist. Diese Säle könnten für Staatsbankette und internationale Konferenzen dienen. Die Tagungen in schäbigen Berliner Hotels hätten dann ein Ende.

Aber auch das würde nicht reichen, um das Schloß als Bezugspunkt ins allgemeine Bewußtsein zu rücken. Man müßte hier die mit dem Palast der Republik gemachten Erfahrungen aufnehmen. Der Palast befand sich mitten in der Machtzentrale des SED-Staates, hier wurden Parteitage und die Sitzungen des Scheinparlaments, der Volkskammer, zelebriert. Im Alltag aber wurde dieser zentrale Stadtraum von ganz normalen Bürgern besetzt, die in den Cafés, den Bowlingbars und Veranstaltungssälen ein bißchen Eleganz und gesteigertes Lebensgefühl suchten. Über die Art und Weise, in der das stattfand, mag man lächeln. Fest steht aber auch, daß die Anwesenheit der Durchschnittsbürger eine gesellschaftspolitische Dimension hatte, die sich am 7. Ok- tober 1989 dramatisch zeigen sollte. Drinnen lud eine nicht legitimierte Führung zum letzten Staatsbankett, draußen verlangten die Demonstranten namens des ausgeschlossenen und entmündigten Demos Einlaß.

An diese freiheitliche Tradition anknüpfend, müßte sich hier eine reformierte Staatsidee manifestieren. Einerseits könnten Nutzungskonzepte des Palastes beibehalten werden, andererseits wäre hier der richtige Platz für einen per Direktwahl bestimmten, konstitutionell gestärkten Bürgerpräsidenten, der ein Gegengewicht zur Parteienoligarchie darstellte. Das Präsidialamt könnte in die wiedererbaute Schinkelsche Bauakademie oder in den Marstall ziehen. Der Präsident würde hier angemessen wohnen, arbeiten, repräsentieren - und müßte sich zugleich gefallen lassen, daß weite Teile des Hauses nicht ihm, sondern der Öffentlichkeit gehören. Das wäre dann die Durchmischung von Demos und Politik, die im Parlamentsviertel nur vorgetäuscht wird, im Zeichen einer staatlichen, geschichtlichen und kulturellen Dignität.

Der Baubeginn ist wegen finanzieller Schwierigkeiten ungewiss. Die bisherigen Nutzungsvorschläge sind mässig