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15.11.03 / Hilfe erfleht

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. November 2003


Hilfe erfleht
von Margot Kohlhepp

Da steht sie auf dem Friedhof am offenen Grab ihres Mannes. Die schwarze Kleidung unterstreicht ihre fahle Blässe, und die dunklen Ränder unter den Augen zeugen von dem tagelangen Wachen am Krankenbett des Sterbenden. Eiskalt ist es, und der Wind treibt vereinzelte Schneeflocken über den aufgebauten Sarg, die sich zum Teil in dem Liliengesteck verfangen und die weißen Blüten noch kühler wirken lassen.

Der Pfarrer spricht über das Leben des Verstorbenen, über seinen Werdegang, seine Fürsorge den Angestellten gegenüber und seine große Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern. An der Witwe rauschen die Worte vorbei. Sie hört nur "seine, seine, seine", und das Atmen wird ihr schwer. Jahrelang hatte sie das besitzanmeldende "Mein" zur Genüge gehört. Alles war sein gewesen, sie selber war weniger als ein Nichts. Schließlich war sie doch nur das arme Flüchtlingskind, von dem ständige Dankbarkeit erwartet wurde. Selbst die Kinder betrachtete er als sein Eigentum. Als diese sich schutzsuchend mehr der Mutter anschlossen, bekamen sie es bitter zu spüren.

Jetzt folgten die Reden der Vereinsvertreter und der sogenannten Freunde. Die Hinterbliebene meinte fast, sie stünde am Sarg eines Fremden, eines guten und treusorgenden Menschen. Die Sprecher boten der Witwe ihre Hilfe an, da sie nun ohne den liebevollen Schutz ihres Mannes dastünde. Hilfe, dachte sie, warum hat denn keiner von euch mir jemals Hilfe gegeben, als ich sie so dringend brauchte - ich, vor allem die geschlagenen Kinder? Ganz fest hält sie die Händchen ihrer beiden Töchter. Die Kleinen können das Geschehen noch nicht begreifen. Sie stehen still da in ihren Kapuzenmäntelchen und sehen mit großen Augen auf die Kränze.

Langsam gleitet der Sarg in die Grube. Die Frau läßt die Kinderhände los und legt ihre eigenen betend ineinander, wobei sie tief den Kopf neigt. Da tritt ihre Mutter einen Schritt vor, umfaßt den Arm ihrer Tochter und sieht sie mit einem Blick an, der sagen soll: Wie sehr verstehe ich dich, mein Kind. Wie unendlich traurig bist du, weil du deinen geliebten Mann verloren hast.

Etwas erschreckt blickt die Witwe hoch, als käme sie aus weiter Ferne. Wie ist es nur möglich, daß eine Mutter so wenig von ihrem Kind weiß? Es wäre tröstend für mich, wenn sie als einzige mein Gebet eben verstanden hätte: "Lieber Gott, ich danke Dir, daß Du uns geholfen hast. Ich danke Dir aus tiefstem Herzen dafür, daß Du diesen Weg fandest. Du weißt, daß nicht meinetwegen, aber um meine Kinder zu schützen, ich ihn hätte umbringen müssen."