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15.11.03 / Jugend auf der Suche nach Europa / Gymnasiasten aus Bad Iburg besuchten Ostpreußen und diskutierten mit dortigen Altersgenossen

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 15. November 2003


Jugend auf der Suche nach Europa
Gymnasiasten aus Bad Iburg besuchten Ostpreußen und diskutierten mit dortigen Altersgenossen

Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Europa? Und was bedeutet es für ein Land wie Polen und seine Menschen, der EU beizutreten? Um auf diese und viele andere Fragen eine Antwort zu finden, machten sich vom 2. bis zum 13. Ok- tober Jugendliche des Gymnasiums Bad Iburg auf den Weg nach Allenstein.

Im Rahmen eines Jugendkongresses besuchten die 23 jungen Europäer verschiedene Orte im südlichen Ostpreußen. Organisiert und begleitet wurde dieser Kongreß durch den Landkreis Osnabrück, den Landkreis Allenstein sowie den Initiator der Initiative "Courage zeigen - Fremdsein überwinden", Helmut Spiering. Gemeinsam mit polnischen Jugendlichen ging es auf die Suche nach gemeinsamen europäischen Spuren. Doch gemeinsame Wurzeln zu finden bedeutet gleichzeitig auch, in die Vergangenheit zu blicken. "Schließlich gibt es keine Gegenwart und Zukunft ohne Vergangenheit", sagte Karl-Heinz Finkemeyer, Partnerschaftsbeauftragter des Landkreises Osnabrück. Unterstützt durch die Landräte Manfred Hugo, Landkreis Osnabrück, und Adam Sierzputowski, Landkreis Allenstein, sowie durch Fördermittel der Europäischen Kommission und der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung konnte die Expedition in ein gemeinsames Europa beginnen.

Bereits während der Anreise gab es die ersten Begegnungen mit der allgegenwärtigen Vergangenheit: Beeindruckend sind der Anblick der mächtigen Marienburg, deren Mauern über vier Zeit-Epochen berichten können, aber auch die verschiedenen mehr oder weniger erhaltenen oder liebevoll restaurierten Dörfer und Städte sowie der Besuch des Oberländischen Kanals mit seinen geneigten Ebenen. Dieses technische Wunderwerk eines niederländischen Ingenieurs im deutschen Ostpreußen dient auch heute noch den Schiffen zur Überfahrt und Überbrückung der Berge sowie stattlicher 99 Höhenmeter. Von einem polnischen Maschinisten liebevoll gewartet, betrieben und gerne den vorbeikommenden Menschen vorgeführt, symbolisiert die gigantische Maschine aus vergangenen Tagen europäische Geschichte zum Sehen, Verstehen und Anfassen. Auch weitere Schritte und Berührungen mit dem Vergangenen, wie die Wolfsschanze, die Kirche Heiligelinde oder das malerische Städtchen Rößel, ließen die Jugendlichen über die damalige Baukunst staunen.

Doch nicht nur die Bauwerke, sondern auch die Kontakte zur Natur lösten bei manchen Städtern unter den jungen Entdeckern neue Impulse aus. So wurden beim Besuch der wirtschaftlich geführten PGR (landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) in Arns- dorf polnische Landwirtschaft und deren Erzeugnisse plötzlich zum Greifen nah. Eben noch über den Schmutz an der Kleidung geschimpft, wurde spontan ein saftiger, rot gefärbter Apfel vom Baum gepflückt und gegessen. Natur pur! Die Ursprünglichkeit der Natur war es dann auch, welche die Jugendlichen in den elf Tagen Aufenthalt immer intensiver wahrnahmen. War ihr Blick noch zu Beginn der Reise für die Landschaft eher wenig sensibilisiert, so beeindruckte sie mit jedem weiteren Tag die von Seen und Wäldern geprägte Umgebung.

Treffen mit den Pfadfindern aus Schönbrück, Landwirtschaftsschülern aus Schmolainen, Vertretern des Jugendvereins "Ulica", Schülern des Marion-Dönhoff-Lyceums sowie den Schülern und Studenten des Lyceums V in Allenstein und der Studiengänge Politologie und Germanistik der Universität Ermland-Masu-

ren ermöglichten Gespräche zwischen den Jugendlichen. Die Mitglieder des polnischen Kulturvereins "Borussia" und der Jugend-

gruppe der Deutschen Minderheit, die "Ermis", setzten weitere Akzente für den Gedankenaustausch. Sie zeigten, wie ähnlich die Probleme, aber auch die Wünsche und Ziele der heranwachsenden Generation aus zwei verschiedenen Staaten sind. Silke Lilienbecker, eine der Schülerinnen aus Bad Iburg, formulierte es in einer Diskussionsrunde bezeichnend: "Die haben super viel mit uns gemeinsam, das hab' ich gar nicht gewußt."

In der Tat, was wissen wir Deutschen über die Polen? Und was wissen sie von uns? Wie sehen sie uns überhaupt? Auf all diese Fragen versuchten die Jugendlichen gemeinsam - in Diskussionsrunden sowie Gesprächen beim gemütlichen Lagerfeuer - Antworten zu finden. Was sie aufspürten, stimmte sie nachdenklich: "Wir haben die gleichen Alltagsprobleme, unterscheiden uns allerdings durch unsere Geschichte", fand Eileen Becker gemeinsam mit dem 16jährigen David Kuczman, einem Schüler der landwirtschaftlichen Schule in Schmolainen, heraus. David, der selbst elf Jahre in der Bundesrepublik Deutschland gelebt hat und vor drei Jahren in die Republik Polen zurückkehrte, wußte einiges aus seinem polnischen Geschichtsunterricht zu erzählen: Geschichten, die so in den bundesdeutschen Schulbüchern nicht zu finden sind. Doch welche Erzählvariante entspricht dem tatsächlich Geschehenen?

Daß es zwei verschiedene Sichtweisen gibt, wissen die Jugendlichen aus Bad Iburg und dem Partnerkreis Allenstein mittlerweile. Daß Kommunikation wichtig ist, in der Bundesrepublik Deutschland wie in der Republik Polen, erfuhren die Schüler am Beispiel des Ortes Krossen: Gleich neben der "kleinen Schwester" der wunderschönen Kirche Heiligelinde befindet sich eine ehemalige PGR, mit 700 Hektar Ackerfläche ebenso groß wie die PGR in Arnsdorf. Aber hier werden keine 15 Arbeiter mehr beschäftigt, sondern nur noch einer, der das Gelände beaufsichtigt. Die übrigen 59 Mitarbeiter mußten entlassen werden, da die Pächter nicht in der Lage waren, Arbeitsabläufe genau abzusprechen und damit existenzfähig zu bleiben wie die PGR in Arnsdorf.

Wie leben die Polen eigentlich? Warum sollte ich in die Republik Polen fahren? Was gibt es da schon zu erleben? Eine ganze Menge! Das wissen die Jugendlichen seit ihrer Begegnung. Sie werden ih-ren Urlaub im nächsten Jahr vielleicht nicht im sonnigen Süden, sondern im Nachbarstaat Republik Polen verbringen. Einige von ihnen waren so begeistert, daß sie spontan beschlossen, im kommenden Jahr eine Freizeit von Jugendlichen für Jugendliche im südlichen Ostpreußen zu organisieren. Denn daß es in der Republik Polen sehr viel zu erleben und zu entdecken gibt, haben sie während ihrer Expedition selbst erfahren. Gerd Braksiek / Daniela Sarrazin

"Die haben super viel mit uns gemeinsam"

"Wir unterscheiden uns durch unsere Geschichte"

Äußerst intensive Diskussionen über Europa:

Jugendliche aus der Bundesrepublik Deutschland und der

Republik Polen diskutieren im historischen Keller des

Schlosses von Hohenstein Foto: Sarrazin