19.04.2024

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22.11.03 / Ein Lebensabend in Würde

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. November 2003


Ein Lebensabend in Würde
Gedanken über Jung und Alt machte sich Christel Bethke

Die Preußin - respektvoll hinter vorgehaltener Hand von ihren Bekannten so genannt - geriet dieser Tage mittags in den Trubel der Schüler, die aus der Schule strömten. Zwei kamen direkt auf sie zu und erst im letzten Moment trennten sie sich, gingen rechts und links an ihr vorüber, und der eine rief dem andern zu: "Darf man überhaupt so alt werden?" Das saß. Zunächst hatte sie gar nicht begriffen, daß sie gemeint war, und sich erst suchend umgeblickt. Aber da war niemand, den sie ins Visier genommen hatten. "Es war, als ob ich einen Schlag erhielt", berichtet sie der Freundin und wirkt gleich nicht mehr so aufrecht wie sonst.

Halt dich gerade, hieß es in ihrer Kindheit, wenn sie mit dem Vater spazierenging. Marineoffizier. Lebensmotto: "Üb immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab ..." So wurde sie erzogen und so verhielt sie sich ihr Leben lang; ein Leben mit nicht wenigen Katastrophen. Warum die wieder aufzählen, die alten Kamellen. Aber vielleicht wäre einiges davon für die Rüpel ganz interessant zu hören: zweimal ausgebombt, im Krieg für Heinkel dienstverpflichtet. Flugzeuge unterirdisch im Berg montiert, Flucht, Vertreibung. Und immer versucht zu helfen. Die Freundin weiß davon, erinnert sich, daß sie nach einem Bombenangriff plötzlich in der offenen Bunkertür stand. Die Preußin hatte einen Soldaten bewogen, mit ihr zu fahren, um nach ihr und den Kindern zu sehen. "Mit Schokolade", erinnert sich die Freundin. Sie überlegen zusammen, woher nur diese Ungezogenheiten kommen können, denn mehr will die Freundin nicht daraus machen und - sie will abschwächen - erzählt von einem Vorfall, der ihr jüngst passierte.

Sie machte wie gewöhnlich ihren Besuch im Altenheim, das neben einem Kindergarten liegt. Hinter einem hohen Maschendrahtzaun spielten kleine Kinder Ball, und der flog über den Zaun, landete neben ihr. Die kleinen Steppkes, vielleicht fünf Jahre alt, standen hinter dem Zaun. Einer machte sich zum Wortführer und fragte, ob sie den Ball rüberwerfen könne. Klar konnte sie das. Sie bückte sich, hob ihn auf, und da sagte das Gnos zu ihr: "Du stirbst bald." ??? "Jaaa, du hast da oben solche Striche." Das Nebengnos sagte zu ihm: "Das sind Falten." - "Und da oben bist du so weiß auf dem Kopf. Ja, du stirbst bald."

Na prima! Wenn ich so elend schein, weiß ich nicht, ob ich den Ball rüberschaffe, dachte sie noch. Aber es klappte. Der Ball saß. Die Pappenheimer hatten ihre Schwachstellen getroffen. "Hast mir ja gar nicht erzählt", meint die Preußin. Wozu? Wozu das alles so überbewerten? Da gab es in ihrer Kindheit doch zum Beispiel einen Lehrer, der entsetzlich hinkte. Wie oft hatten sie ihm das Hinken nachgemacht. Allerdings mit schlechtem Gewissen. Und auch an den blöden Spruch erinnern sie sich, den sie losließen, wenn eine alte Frau von hinten noch jugendlich wirkte. "Von hinten Lyzeum, von vorne Museum."

"Trotzdem besteht ein Unterschied zu früher. Wir dachten niemals, daß die Alten den Jungen irgend etwas schuldig waren. Heute wird das geschürt", da sind sich beide einig. "Man muß doch nur mal in den Nachrichten, wenn von den Renten die Rede ist, die Bilder sehen, die dazu gezeigt werden: ewig die Alten, die auf Bänken sitzen oder sich sonst dem Müßiggang ergeben. Natürlich stimmt es, Statistiken beweisen es, daß wir überaltert sind. Ausgerechnet diese Generation wird so alt, die eigentlich viel durchgemacht hat. Also, was mich nicht umbringt, macht mich nur älter? Viel tragen die Medien dazu bei, daß wir Alten so negativ gesehen werden", meint die Preußin.

Und sie erinnern sich an die alte Katja. "Schlagt mich doch tot. Schlagt uns Alte doch einfach tot", hatte sie geraten, als sie noch zuletzt ins Krankenhaus mußte und den vielsagenden Blick des Chefarztes bei der Visite richtig zu deuten wußte, als er in ihrem Krankenblatt Jahrgang 04 las. Sie selbst hatte schon lange das Bedürfnis, einschlafen zu dürfen. "Das Leben wird im Alter schwer. Die Länge trägt auch hier die Last", meinte sie oft, wenn sie Besuch erhielt.

"Aber es stirbt sich nicht so leicht. Wir wollen ja gar nicht ewig leben und wünschen uns ein Ende in Würde", sinniert die Preußin. "Nun aber Schluß mit diesen Betrachtungen. Riefen sich diese coolen Burschen die Bemerkung eigentlich mit dem Handy zu?" fragt die Freundin. Die Preußin muß lachen. Allmählich kommt wieder Freude auf. Was soll's? Sterben müssen alle, das wenigstens ist gewiß. Ob cool oder nicht ...

Heimkehr

Von Norbert Ernst Dolezich

Als ich jung war, stieß ich

trotzig alle Türen auf.

Vaters Haus verließ ich,

weltwärts riß mich

schneller Lauf.

Jetzt nach dunklen Jahren

finde ich zur alten Tür,

stehe still im Monde,

stumm von den Gefahren

dieser späten Erde,

taste nach altem Span,

zünde auf dem Herde

einmal noch mein Feuer an.