28.03.2024

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22.11.03 / Gedanken über den Schmerz 

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 22. November 2003


Wenn es zieht, hämmert oder pocht ...
Gedanken über den Schmerz 
von Silke Osman

Es ist kaum vorstellbar: rund zehn Millionen Deutsche leiden an chronischen Schmerzen. An erster Stelle steht der Rückenschmerz, gefolgt von Kopf- und schließlich von Nerven- und Tumorschmerzen. Kaum vorstellbar ist allerdings auch, jeden Morgen mit Schmerzen zu erwachen und jeden Abend mit Schmerzen zur Ruhe zu gehen. Von Ruhe kann dann meist natürlich keine Rede sein. Chronische Schmerzen bedeuten die Hölle, und Forscher suchen nach Mitteln, die diese Pein gezielt bekämpfen. Morphium ist oft die letzte Hilfe. Und viele Patienten sind schon dankbar, wenn der Schmerz gemildert wird. Bohrend und stechend, pochend und ziehend, der Schmerz taucht in den vielfältigsten Variationen auf. Ebenso vielfältig sind auch die Ursachen für Schmerz. Liebeskummer kann Schmerzen verursachen, eine Verletzung, eine unheilbare Krankheit. Manche billigen dem Schmerz auch eine heilsame Wirkung zu. "Der Schmerz ist der große Lehrer der Menschen", erkannte die Dichterin Marie v. Ebner-Eschenbach. "Unter seinem Hauche entfalten sich die Seelen."

Den Schmerz in Worte zu fassen, in dichterische Worte allzumal, ist schwierig. "Jedes Schulmädchen kann Shakespeare oder Keats für sich sprechen lassen, wenn es sich verliebt, doch wenn ein Kranker einem Arzt die Schmerzen im Kopf beschreiben will, läßt ihn die Sprache im Stich", stellte Virginia Woolf fest. Vergleiche helfen ein wenig, auch die Erfahrungen anderer. "Erst wenn du Zahnschmerzen hast, weißt du, wie andere an Zahnschmerzen leiden", sagt ein chinesisches Sprichwort.

Bildende Künstler haben es da leichter, dem Schmerz ein Gesicht zu geben. Wie beeindruckend sind die Bildnisse des gekreuzigten Jesus, der durch seinen Schmerz die Menschen erlöste. Lovis Corinth gelang mit seinem geblendeten Simson 1912 ein wahres Meisterwerk. Schmerz, der herausschreit, der aufbegehren läßt. Anders die Granit-Skulpturen der trauernden Eltern, die Käthe Kollwitz im Andenken an ihren im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohn schuf. Still ist dieser Schmerz, er hat die Menschen erstarren lassen. - Schmerz in den vielfältigsten Erscheinungsformen prägt den Alltag vieler Menschen. Und doch wird mancher es mit Georg Christoph Lichtenberg halten, der einmal erkannte: "Man klagt so sehr bei jedem Schmerz und freut sich so selten, wenn man keinen fühlt."

Lovis Corinth: Der geblendete Simson (Öl, 1912)