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06.12.03 / Warum Brasiliens Linksregierung auf Elektrifizierung setzt

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. Dezember 2003


Höchstes Ziel: Fernsehen für alle
Warum Brasiliens Linksregierung auf Elektrifizierung setzt 
von Michael Ludwig

Wenn Roberto Sousa (9) nach Sonnenuntergang vom Ziegenhüten nach Hause kommt, flackern in der mit Palmzweigen gedeckten Hütte drei Petroleumfunzeln. Sie dienen seiner Mutter als provisorischer Herd, um das Essen für die siebenköpfige Familie warm zu machen, und sind die einzige Lichtquelle, um die pechschwarze Dschungelnacht wenigstens etwas aufzuhellen. Doch Robertos strenger Vater erlaubt das nur eine Stunde, denn es gilt, mit dem teuren Petroleum genau hauszuhalten. Roberto und seine Familie wohnen in der Nähe der kleinen Provinzstadt Tapurucuara, rund 500 Kilometer von Manaus entfernt, mitten im brasilianischen Urwald.

Einmal in seinem jungen Leben hat Roberto bislang ferngesehen - im Haus des Großgrundbesitzers, für den er tagsüber die Ziegen hütet. Dort konnte er beim Gang zur Vorratskammer einen Blick auf das Fernsehgerät werfen, in dem gerade ein Film über ein Autorennen gezeigt wurde. "Das war unglaublich - am liebsten wäre ich den ganzen Tag vor diesem viereckigen Kasten stehengeblieben, um zu sehen, wie es in anderen Teilen der Welt zugeht", erzählt Roberto mit leuchtenden Augen.

Keiner in dem kleinen Dorf, in dem er wohnt, besitzt ein Fernsehgerät. Die Anschaffung eines solchen scheitert schon deshalb, weil es keinen Strom gibt. "Aber unsere Regierung", so verkündet der Neunjährige stolz, "will uns jetzt Elektrizität verschaffen, das habe ich im Transistorradio gehört. Und vielleicht kann ich dann schon Weih-nachten wie der Patron in der Stadt mir die tollsten Filme ansehen."

So schnell wird es allerdings nicht gehen. Wahr ist aber, daß die brasi-lianische Regierung die Elektrifizierung des Landes mit einer gewaltigen Kraftanstrengung vorantreiben will. Im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung, die dieser Tage in der Hauptstadt Brasilia stattfand und an der fast alle Kabinettsmitglieder teilnahmen, erklärte Präsident Lula da Silva, daß bis 2008 jede brasilianische Familie elektrisches Licht erhalten solle. "Damit wollen wir vor allem den Ärmsten der Armen helfen, daß sie die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufgeben und Anschluß an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung des Landes finden", betonte der Präsident.

Insgesamt zwölf Millionen Brasi-lianer werden Nutznießer der Kampagne sein, vor allem im Norden des riesigen südamerikanischen Landes, wo die Armut am größten ist. Dort beträgt das Pro-Kopf-Einkommen knapp 200 Euro pro Jahr. Viele Familien überleben nur deshalb, weil alle Mitglieder zum Lebensunterhalt beitragen, der oft unter den schwierigsten Bedingen erwirtschaftet werden muß. Und so nimmt es nicht Wunder, daß in dieser Region 62 Prozent der Landbevölkerung (2,6 Millionen Menschen) ohne Elektrizität leben. In den dichter besiedelten Nordost-Provinzen sind es noch 39,3 Prozent (5,8 Millionen) und im Süden, der als der wirtschaftlich am meisten entwickelte und reichste Landesteil gilt, immerhin noch 8,2 Prozent, die ohne Strom-anschluß auskommen müssen.

Die brasilianische Linksregierung hat ihr Vorhaben generalstabsmäßig geplant - so sollen bis Ende 2004 rund 400.000 Familien an das Stromnetz angeschlossen werden, bis Ende 2005 rund 500.000 und bis Ende 2006 noch einmal 500.000. In den letzten beiden Jahren folgen 300.000 Familien (2007) und weitere 300.000 bis Ende 2008. Die Kosten für dieses gigantische Projekt werden auf rund zwei Milliarden Euro beziffert. Zwei Drittel davon wird die Zentralregierung in Brasilia übernehmen, den Rest teilen sich die Energieunternehmen des Landes und die Provinzen.

Natürlich sind sich die Verantwortlichen darüber im klaren, daß es mit der kostenlosen Stromanbindung allein nicht getan ist - auch die Energiepreise müssen erschwinglich sein. Deshalb sollen erhebliche Preisnachlässe gewährt werden, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß der Verbrauch pro Familie 80 Kilowatt pro Stunde nicht übersteigt.

Begleitet wird "Luz para todos" (Licht für alle) von einer Reihe von Sozialprogrammen. Es ist eingebettet in die Aktion "Hambre cero" (Null Hunger), mit der die Regierung von Präsident Lula die ärgste Armut im Land bekämpfen will.

Außerdem sollen Hand in Hand mit der Elektrifizierung Gesundheitszentren, Erziehungsstellen für Kinder und Jugendliche eingerichtet sowie die Versorgung mit Trinkwasser verbessert werden. "Licht für alle" ist aber auch ein enormes Beschäftigungsprogramm, das die Arbeitslosigkeit im Lande nach unten drücken wird - 300.000 Arbeitsplätze werden nach Berechnungen von Experten so auf direkte oder indirekte Weise neu geschaffen.

Slum im Norden Brasiliens: In diesem ärmsten Teil des Staates leben 62 Prozent der Landbevölkerung ohne Elektrizität. Im reicheren Süden müssen immerhin noch 8,2 Prozent ohne Stromanschluß auskommen. Foto: dpa