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06.12.03 / Warnung für das obsternatsche Jungche

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 06. Dezember 2003


Warnung für das obsternatsche Jungche
von Eva Pultke-Sradnick

Bei Lina Lenzke fehlte der Mann im Haus, aber mehr noch ein Vater für ihre Kinder Willi und Anni. Wer die Väter waren, wollte Lina nicht preisgeben, und so wurde sie im Dorf von vielen Frauen angeprangert. Die Männer verhielten sich da loyaler, man konnte auch fragen warum. Gemunkelt wurde viel.

Lina wohnte in dem kleinen Anwesen, welches sie von ihren Eltern geerbt hatte. Vierzehn Hühner und zwei Ziegen waren ihre ganze Landwirtschaft. Katze Mita hielt die Verbindung. Feste Arbeitsmöglichkeiten gab es kaum, und so half Lina im Sommer und bei festlichen Gelegenheiten in der Gastwirtschaft beim Löwen aus. Zwischendurch wurde sie auch beim Bauern Runge in der Küche und auf dem Feld gebraucht, sie ließ sich nichts zuschulden kommen. Nur ihre Kinder verwöhnte sie etwas zu sehr, und so kam es, wie es kommen mußte.

Willi war klug, aber auch etwas schwierig, und er fing an, ein kleiner Lauks zu werden. Er widersetzte sich den Anordnungen seiner Mutter, schlug und trat nach Anni, wenn sie nicht so tat, wie er es wollte. Lina gab meistens klein bei, und das luchtre Kerlchen begriff schnell und dachte, das müsse so sein. Anni war anders, sie war weich und nachgiebig, sehr liebebedürftig und begann unter ihrem Bruder zu leiden. Gleich duckte sie sich, wenn nur einer die Hand beim Reden erhob, und weinte bei jeder Gelegenheit.

Aussprechen über all dies konnte sich Lina mit niemandem so recht. Da konnte es passieren, daß ihr höhnisch ins Gesicht gesagt wurde: "Dat hadst joa nich hewwe brukt, böst doch sölwst schuld. Diene Briedgams lache söck enne Fust, on du moddst die awrackre. Wenn du so damlich böst, most sehne, wie du torecht kömmst."

Gleich hinterm Korbacher Knick wohnten im alten Haus von den verstorbenen Medreits die alte Luise Peters und der Landarbeiter Seelmann. Nicht etwa zusammen, nein, i bewahre, jeder auf einer Seite. Es war ihnen, die sie beide keine Angehörigen hatten, von der Gemeinde als Alterssitz überlassen worden. Luise bekam nur ein paar Mark Rente, denn sie hatte ja kaum für die Versicherung geklebt, hatte immer nur bei den Bauern gearbeitet. Der Seelmann, der wurde immer noch mal im Dorf gebraucht, hatte immer ein paar Dittchen in der Fupp. Manchmal hatte er ein Buddelchen Bier mitgebracht, und dann saßen die beiden Altchen in Eintracht vor der Tür. Hatte Seelmann nichts zu tun, dann murkste er am Haus rum, denn es war eine alte Kalupp, in der bereits die Eltern der alten Medreits gelebt hatten und auch gestorben waren.

Lina hatte schon allerlei ausprobiert, um ihren kleinen Lümmel zu bändigen, vor allem sollte er ja mal ein anständiger Mensch werden, und kein Schläger. Allerlei Strafen hatte sie auch schon verhängt, mit dem Stock gedroht, ihn aber noch nie geschlagen, das brachte sie nicht übers Herz. Allerdings ab und zu mal einen Mutzkopp oder einen Backenstreich wegen frecher Antworten oder Rüpeleien gegen Anni bekam er schon. All das störte ihn aber nicht, er machte hinter Linas Rücken lange Nasen, streckte die Zunge heraus oder schnitt Grimassen.

Bei den beiden Alten hatte sich Lina mal wieder ihre Not vom Herzen geredet. "Öck weet nicht, wat öck mött dem Lorbaß noch moake sull, wat ward ut dem bloß moal ware? He hoarcht nich - ös frech on obsternatsch on fangt nu ok noch an, fuul to ware. Dabie ös he e kloket Menschke. Er hat ja auch gute Seiten. Jetzt ist er bald acht Jahre und glaubt insgeheim doch noch an den Weihnachtsmann. Wenn he ok grootfrätsch dräwer lacht. Wenn öck bloß e Möddel wußd, war em Angst enjoagt."

"Wir sollten dem kleinen Krät mal innem Sackche stoppen und e Weil inne Rejentonn halten", meinte Seelmann ganz ruhig. Aber davon wollte Lina nichts wissen. "Aber so e kleine Tracht Prügel, wo nich so doll weh tun tut, könnt ihm nichts schaden." Aber das lehnte Seelmann nun wieder ab: "Ich vergreif mich doch nich an kleine Kinder!"

Jetzt mischte sich Luise ein. "Ich würd sagen, der Weih-nachtsmann soll ihm dies Jahr ieberhaupt nuscht bringen, rein nuscht, bloßig e bißche was aufem bunten Teller."

"Aber wo er doch so verrückt auf Bleisoldaten is", warf Lina ein. "Ebendche", sagte Luise, "vielleicht fällt ihm was auf dabei." Seelmann saß nachdenklich und simulierte, um dann damit herauszurücken, daß der Weihnachtsmann ja nicht immer was bringen muß, sondern wegen Unart auch was zurück-nehmen könnte, so zum Beispiel seine ganzen Bleisoldaten. "Und er kriegt sie erst wieder, wenn er seine Schwester nicht mehr piesackt, in der Schule fleißig ist und seiner Mutter Freude macht. Und keine weiteren Geschenke, kein Bißchen weich werden, auch wenn es weh tut", meinte die alte Luise Peters bestimmt.

"Meine größte Angst als Kind war immer, in den Sack gesteckt und mitgenommen zu werden", erzählte Seelmann schmunzelnd. "Ich war ja auch kein Engel. Was wird aus mir werden, dacht ich immer, vielleicht krichst noch orndlich was mit der Rut' und vielleicht schüttet er dich über de Höll aus und denn mußt schmoren. Erst wenn ich mein Gedicht aufgesagt hatte und der Weih-nachtsmann, das war mein Onkel Max, was in seinen Bart gebrummelt hatte und er seinen Sack aufmachte, fiel mir ein Zentnerstein vom noch recht kleinen Herzen."

"Die Idee mit seinen Bleisoldaten ist nicht schlecht, wo sie doch sein ein und alles sind", stimmte Lina bei, "aber vielleicht wird er auch noch schlimmer?" Seelmann lachte, "loat mi man moake, öck wär joa ok moal e Jung, de ward söck heede! De wöll doch sien Spältiech wedder hebbe. Du darfst bloß nich to freh noagäwe, sonst häst fär ömmer verloare. Dann ward he di ewig oppem Puckel römdanze."

Dieses Experiment gelang tatsächlich, und aus Willi wurde ein strammer Soldat und Feldwebel, aufrichtig und gerecht. Anni heiratete den Sohn vom Bauern Runge, und Lina wurde die beste Oma ihrer sieben Enkelkinder.