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13.12.03 / Er war ein Bund von Sternen / vor 200 Jahren starb Johann Gottfried Herder in Weimar

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Dezember 2003


Er war ein Bund von Sternen
vor 200 Jahren starb Johann Gottfried Herder in Weimar

In Mohrungen, Riga, Bückeburg und Weimar gedenkt man dieser Tage eines Mannes, der mit seinen Schriften noch heute die Gelehrten beschäftigt und von dem Jean Paul einmal sagte: "Der edle Geist wurde von entgegengesetzten Zeiten und Parteien verkannt; doch nicht ganz ohne seine Schuld; er hatte den Fehler, daß er kein Stern erster oder sonstiger Größe war, sondern ein Bund von Sternen, aus welchem sich dann jeder ein beliebiges Sternbild buchstabiert ..."

Johann Gottfried Herder, geboren am 25. August 1744 im ostpreußischen Mohrungen, wo der Vater als Glöckner, Küster und Schulmeister seinen Dienst versah, wußte um das Dunkle und Zwiespältige in seinem Wesen und deutete es damit, daß er in der letzten Stunde des Tages das Licht dieser Welt erblickte. Empfindlich und reizbar soll er gewesen sein, und doch ein liebenswerter Familienvater, der von den Seinen überaus geschätzt wurde. Mit seiner Frau Caroline, geborene Flachsland, hatte er sieben Söhne und eine Tochter. "Beide Eltern", so Maria von Herder 1978 im Ostpreußenblatt über ihren Urururgroßvater, "besaßen die große Gabe, auf die Wesensarten der Kinder einzugehen und sie liebevoll zu leiten. Wie sehr Herder von den Seinen geliebt und geschätzt wurde, zeigt ein reger Briefwechsel aus der Zeit, da er ein knappes Jahr in Italien weilte ..." Nachzulesen in den Brief- und Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1788-1789, die jetzt bei dtv wieder unter dem Titel Italienische Reise zu haben sind (752 Seiten, brosch., 15 Euro).

Bevor der schwerblütige Ostpreuße sich jedoch auf Drängen seines Freundes Goethe in den Süden aufmacht, hat er bereits ein bewegtes Leben voller Höhen und Tiefen hinter sich gebracht. In der Bibliothek des Stadtpfarrers Trescho, der den Siebzehnjährigen mit Schreibarbeiten beschäftigt, erschließen sich ihm ungeheure Schätze. In Königsberg soll er sich durch Vermittlung eines russischen Regimentsarztes baltischer Herkunft zum Chirurgen ausbilden lassen. Das Medizinstudium läßt sich allerdings nicht verwirklichen - Herder fällt in Ohnmacht, als es ans Sezieren geht. Und so läßt er sich als Theologe an der Albertina immatrikulieren. Er hört Vorlesungen bei dem großen Kant, freundet sich mit dem 14 Jahre älteren Hamann an. Beim Buchhändler Kanter darf er die neuesten Schriften lesen, auch veröffentlicht er erste kleine Beiträge in der Königsberger Zeitung. Als Inspizient und Lehrer am Friedrichskolleg verdient er sich seinen Lebensunterhalt.

1764 wird Herder auf Empfehlung seines Freundes Hamann Lehrer an der Domschule in Riga und Hilfsgeistlicher. Fünf Jahre lang wirkt er dort, veröffentlicht erste Schriften, so 1766 seine "Fragmente über die neuere deutsche Dichtung" und anonym die "Kritischen Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend". Schließlich jedoch zieht es den unruhigen Geist fort von Riga. Über Kopenhagen und Nantes gelangt er nach Paris, wo ihn das Angebot des Fürstbischofs von Lübeck erreicht, in Eutin Erzieher seines Sohnes zu werden. Auf der Reise zu seinem neuen Wirkungsort trifft er in Hamburg auf Lessing und Claudius, mit denen er einen lebhaften Gedankenaustausch vornimmt. Herder begeleitet den jungen Prinzen auf einer Kavaliersreise Richtung Italien. In deren Verlauf lernt er in Darmstadt seine spätere Frau Caroline kennen. Da Herder unzufrieden ist mit seiner adligen Reisegesellschaft und er darüber hinaus ein Angebot als Geistlicher und erster Konsistorialrat nach Bückeburg hat, bricht er die Reise ab und geht nach Straßburg, um dort eine Augenfistel operieren zu lassen. In Straßburg dann die folgenreiche Begegnung mit dem jüngeren Goethe.

Auch seine Stellung in Bückeburg bereitet Herder nicht die gewünschte Erfüllung, wenn er auch in den fünf Jahren dort eine Fülle von Schriften veröffentlicht, so das Oratorium "Die Kindheit Jesu" oder die "Älteste Urkunde des Menschengeschlechts". Herder, der inzwischen Caroline Flachsland geheiratet hat und Vater zweier Söhne geworden ist, geht 1776 auf Empfehlung Goethes nach Weimar. Dort lebt und arbeitet er 27 Jahre lang, bis er am 18. Dezember 1803 stirbt. (Leben und Wirken Herders schildert Jenny Radeck in einem Arbeitsbrief der LO-Kulturabteilung; 1,75 Euro.)

Seine letzte Ruhestätte fand Herder in der Stadtkirche St. Peter und Paul zu Weimar, dort wo er die Menschen mit seinen Predigten gefangennahm. Eine in den Boden eingelassene Bronzeplatte ziert sein Lebensmotto "Licht. Liebe. Leben" und ist mit der Lebensschlange geschmückt. Sie markiert die Stelle seines Grabes. Im Volksmund heißt die Stadtkirche nur noch "Herderkirche", ein Zeichen, wie fest verankert sein Name im Bewußtsein der Menschen ist, wenn auch die meisten seine Schriften kaum gelesen haben dürften. Neben Herders philosophischen Abhandlungen wie etwa die "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" oder die "Briefe zur Beförderung der Humanität" hat vor allem seine Volksliedsammlung "Stimmen der Völker in Liedern" ihm seinen herausragenden Ruf verschafft. Herder war es schließlich, der den Begriff Volkslied prägte und so nicht zuletzt auch den Anstoß zur deutschen und internationalen Volkskunde gab, "zur Erforschung der mündlich tradierten Volksüberlieferung", wie Andreas F. Kelletat in seiner Schrift "Herder und die Weltliteratur" 1984 betonte. Herder war aber auch der Schulreformer seiner Zeit. Er erwarb sich Verdienste um die Lehrer- und Seminaristenausbildung, arbeitete ein Unterrichtsprogramm aus, das noch heute modern anmutet, gab ein ABC-Buch heraus. Einer seiner Aussprüche, "Der Staat habe keine Sache, die ihm näher am Herzen liegen soll als die Bildung der Jugend", hat gerade heute seine ganz besondere Bedeutung. - Herder, der Theologe und Prediger, der Pädagoge und Philosoph, der Ethnologe und Mythologe, Übersetzer, Sammler und Autor, ist, auch wenn er vielen Menschen von heute ein Buch mit sieben Siegeln sein mag, ein Anreger, dessen Schaffen bis in unsere Tage nachwirkt. Silke Osman

Herder-Denkmal in Weimar Foto: Archiv

... darf ich Sie bitten, daß Sie mich aus der Zahl der Dichter weglassen? Ich gehöre wirklich mit meinen Armseligkeiten nicht hinein ... Bei Balde bin ich bloß Übersetzer, nicht Dichter ... Herder an Schiller 1795