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13.12.03 / Geister in der Heiligen Nacht

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 13. Dezember 2003


Geister in der Heiligen Nacht
von Waltraud Fabisch-Rynek

In meiner Erinnerung verbinde ich Weihnachten stets mit verschneitem Wald. Die Tannen und Kiefern konnten die Schneelast kaum tragen. Inmitten des tief verschneiten Waldes lag einsam - wie gefangen - das kleine Dorf in winterlicher Stille. Am Abend wurde diese Stille fast greifbar. Aus den Fenstern der Häuser fiel das sanfte rötliche Licht der Petroleumlampen. An Heiligabend erstrahlte in jedem Haus das Licht der Kerzen auf den geschmückten Tannenbäumen. Still und starr lag auch der See. - Das Weihnachtslied "Leise rieselt der Schnee" traf genau die Stimmung, die ich um die Weihnachtszeit in Masuren empfand. Das ganze Dorf wirkte friedlich, es war "Frieden auf Erden". Nur ab und zu durchbrach der helle Klang eines Schlittenglöckchens die Stille des Abends, oder ein frierender Hofhund beklagte sein Schicksal und bellte den Mond an.

Als ich fünf Jahre alt war, wartete ich abends auf den Weihnachtsmann. Meine Großmutter und ich saßen in der geräumigen Küche, während meine Eltern im Wohnraum den Tannenbaum schmück-ten. Das Ticken der Wanduhr unterstrich die Stille im Raum.

Die Fenster waren durch das Schneegestöber fast zugeweht. Ab und zu ächzte die schwere hölzerne Haustür, wenn sich der Sturm gegen sie warf. Gleichzeitig heulte es unheimlich im Schornstein, an dem der große Kachelherd angeschlossen war. Das Feuer darin bullerte und schlug gegen die schmiedeeiserne schwarze Ofentür.

Eine Petroleumlampe stand auf dem weißgescheuerten Eichentisch und streute ihr spärliches Licht nur in einem kleinen Kreis, so daß mich die dunklen unbeleuchteten Ecken des Raumes verunsicherten und ich froh über die Gegenwart meiner Großmutter war, die eifrig an langen schwarzen Wollstrümpfen strickte. Sie waren mir zugedacht. Ohrenschützer hatte sie mir bereits gestrickt, denn bei den hohen Frosttemperaturen von 30 Grad und mehr waren sie notwendig. Schon manch Unvorsichtiger mußte seine Sorglosigkeit mit erfrorenen Ohren büßen.

Auf dem mit honiggelben Kacheln gemauerten Herd summte das Wasser in einem blanken Kupferkessel. Wir hörten ein Schlittenglöckchen klingeln, das ein herannahendes Schlittenfuhrwerk ankündigte. Ich rief: "Das ist vielleicht der Weihnachtsmann!" Mich überkam dabei bange Erwartung, denn ich war im vergangenen Jahr nicht besonders artig gewesen.

"Das könnte auch der Geisterschlitten sein, der stets an Heiligabend bei schlechtem Wetter durch das Dorf fährt", murmelte meine Großmutter.

"Geisterschlitten?" wiederholte ich, und ein wohliges Frösteln überlief mich. Zu gerne hörte ich Gespenstergeschichten, die meine Großmutter spannend zu erzählen verstand. "Bitte, erzähle!" bat ich, und sie begann: "Es war vor vielen Jahren, auch an einem Heiligabend, als hier auf dem Abbau des Dorfes bei einem Bauern ein Kind geboren werden sollte. Leider war das Wetter so schlecht wie heute abend. Der Schnee lag meterhoch, und es schneite immer stärker. Es war ein so schlimmes Schneetreiben, daß man die Hand nicht vor Augen sehen konnte. Zum großen Unglück wohnte die Hebamme im Nachbardorf, und es schien, daß sie beim besten Willen nicht kommen konnte.

Es war das erste Kind der Bauersleute, und die junge Frau lag bereits seit vielen Stunden in den Wehen. Schließlich ertrug der junge Mann die Schmerzensschreie seiner Frau nicht mehr und beschloß, sie zur Hebamme in das Nachbardorf zu fahren. Er spannte zwei starke Pferde vor das Schlittenfuhrwerk, und während er die junge Frau auf seinen Armen zum Schlitten trug, mußte er unwillkürlich an den Fluch der Zigeunerin denken, die vor ein paar Wochen auf den Hof gekommen war und sich mit einer fetten Weihnachtsgans davonmachen wollte. Es gelang ihm, ihr in letzter Minute die Gans wieder zu entreißen.

Die Zigeunerin hatte sich breitbeinig vor ihn hingestellt, die rechte Hand erhoben und geschrien: ‚Ich verfluche dich! Dich und deine Brut!' Dabei hatte sie auf den gewölbten Leib der schwangeren Bäuerin gesehen und hinzugefügt: ‚Weihnachten kommt nicht der Weihnachtsmann, da holt euch der Teufel!' Sie hatte noch dreimal ausgespuckt und war davongeeilt.

Der Bauer setzte nun seine stöhnende Frau in den Schlitten und deckte sie sorgsam zu. Er vergaß auch nicht, ein paar heiße Ziegelsteine, die immer im Ofenrohr warm gehalten wurden, unter die Füße zu legen, und los ging die Schlittenfahrt. In dem Schneetreiben konnte man das Licht der Petroleumlaterne an der Vorderseite des Schlittens kaum erkennen. Auch der Klang des Schlittenglöckchens wurde vom Schnee fast verschluckt. Die Pferde mühten sich nach Kräften, aber sie kamen in dem hohen Schnee kaum voran.

An der Straße zum Nachbardorf lag ein tiefer See, der verschneit und leicht zugefroren war. Bei der schlechten Sicht kam der Schlitten von der Straße ab und fuhr geradewegs auf das dünne Eis. Eine Weile hörte man noch das Glöckchen, aber dann war Stille. - Was glaubst du, was passiert ist?" fragte meine Großmutter. Mich schauderte: "Sie sind ertrunken!"

Sie nickte. "Ja, sie sind im See ertrunken, und niemand hat sie oder den Schlitten im See gefunden, man hat lange nach ihnen gesucht. Doch an jedem Heiligabend fährt immer ein Schlitten durch das Dorf, den niemand sehen kann, man hört nur das Glöckchen. In der Nähe des Sees ist es dann wieder still."

In diesem Augenblick hörte ich ein Schlittenglöckchen! Entsetzt versteckte ich mich hinter meiner Großmutter. Ein lautes Klopfen an der Tür ließ mich zusammenzucken. Herein kam - der Weihnachtsmann.

Endlose Weite: Schnee bedeckt das Land, soweit das Auge reicht Foto: Archiv