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20.12.03 / 27.12.03 / Eine Epoche zwischen den Stürmen / Nach den Befreiungskriegen und vor der 48er Revolution bildet der Vormärz eine Zeit der Restauration

© Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung / Landsmannschaft Ostpreußen e.V. / 20. u. 27. Dezember 2003


Eine Epoche zwischen den Stürmen
Nach den Befreiungskriegen und vor der 48er Revolution bildet der Vormärz eine Zeit der Restauration

Nach den langen, entbehrungsreichen napoleonischen Kriegen sollten eigentlich Zeiten des Glückes und der Ehre folgen. Die erwachten Freiheitsgedanken vertrugen sich aber nicht mit der auf dem Wiener Kongreß beschlossenen Neuordnung der Dinge. Eine allgemeine Unzufriedenheit breitete sich aus. Das Bewußtsein ihrer staatsbürgerlichen Unbedeutendheit verdroß die Menschen, intellektuelle Oppositionsbewegungen formierten sich. Die gemäßigten wie auch die radikal-demokratischen Strömungen verlangten nach Aufhebung der Pressezensur, nach Abschaffung der Geburts-privilegien, sie setzten auf Redefreiheit, Unabhängigkeit der Rechtsprechung und auf eine freie wirtschaftliche Betätigung. Das gehobene Bürgertum wünschte sich eine konstitutionelle Monarchie.

Aber war das noch zu vereinbaren mit den Gedanken eines Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), des gebürtigen Stuttgarters, der in Berlin zum preußischen Staatsphilosophen herangewachsen war? Für Hegel war das Wesen der Welt die absolute Vernunft. Wer aber das Gleichheitsprinzip auf den politischen Bereich auszudehnen wagte, handelte unvernünftig, der wurde als "Jakobiner" und "Demagoge" verdammt. Hatte doch schon Immanuel Kant (1724-1804) gelehrt, daß die traditionellen Staatsformen nicht durch politische Aktivitäten von unten verändert werden durften. Demagogen galten als revolutionäre Gegner der bestehenden Ordnung, sie wurden ihrer beruflichen Existenz beraubt, eingesperrt oder des Landes verwiesen. Der Freiburger Professor Karl von Rotteck schreibt in seiner "Allgemeinen Weltgeschichte" (Stuttgart 1861), daß die Benennung "Demokrat" ein Schimpfwort, gleichbedeutend mit "Revolutionär" war.

Weder Preußen noch Österreich waren bereit, eine Vorherrschaft des jeweils anderen zu dulden. Die erneuerte "Heilige Allianz" der Herrscher von Rußland, Österreich und Preußen diente in der Praxis zur Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung, an den Verfassungsstrukturen änderte sich nichts, sofern es überhaupt eine Verfassung gab. Durch die Bundesakte vom 8. Juni 1815 kam es lediglich zu einem losen Bund der deutschen Einzelstaaten, dem Deutschen Bund, ohne Staatsoberhaupt. Das einzige gesamtdeutsche Organ war ein "Gesandtenkongreß" der deutschen Fürsten und der Freien Städte in Frankfurt am Main, während eine gemeinsame Volksvertretung fehlte. In der Führung der Bundespolitik gewann der 1773 in Koblenz geborene und 1859 in Wien gestorbene österreichische Staatskanzler Klemens von Metternich entscheidenden Einfluß. Mittels strenger Polizeimaßnahmen gegen alle nationalen und liberalen Bestrebungen versuchte er, die Staatsgewalt zu festigen.

Unter den zahlreichen Reformbewegungen gegen das auf Restauration beruhende Metternich'sche System trat in den Zeiten des Vor- märzes die deutsche Studentenschaft besonders hervor. Mächtiger als in anderen Schichten des Volkes hatte die studierende Jugend die Schmach der Fremdherrschaft empfunden. Aus den Befreiungskriegen in die Hörsäle zurückge- kehrt, glaubte sie sich berufen, an der politischen Einheit der Nation mitzuwirken. Das Vaterland war ihr wichtigster Gedanke. Um die deutsche Einheit wenigstens an den Universitäten vorzubereiten, gründeten die Studenten eine einheitliche deutsche Burschenschaft. In Jena entstand die erste Burschenschaft mit dem Wahlspruch "Ehre, Freiheit, Vaterland". Die Farben Schwarz-Rot-Gold, von den Uniformen des Lützowschen Freikorps übernommen, galten als Farben des Heiligen Reiches und wurden zum allgemeinen Symbol der nationalen und republikanischen Bewegung. Trinkgelage und Spielgewohnheiten lehnte man ab, dafür traf man sich auf den Turnplätzen des Turnvaters Jahn, um Körper und Geist zu stählen. Die Studenten strebten den Altvorderen in Sittenreinheit und Bescheidenheit nach, alles soll- te einfach und deutsch sein: Sprache, Kleidung, Speise und Trank.

Zur Feier des Jubiläums 300 Jahre Reformation und der Wiederkehr des Tages der Völkerschlacht von Leipzig rief die Jenenser Burschenschaft die Studierenden Deutschlands zum Fest auf die Wartburg. Mehr als 500 Studenten zogen am 18. Oktober 1817 mit schwarz-rotgoldenen Fahnen auf die Burg Luthers. Sie forderten dort die Einheit des Vaterlandes und die versprochenen Verfassungen. Bei der allzu begeisterten Nachfeier am Abend erklangen feurige Lieder, dann folgte ein Ketzergericht über Bücher, die man für undeutsch oder knechtisch hielt. Symbolische Werke der Reaktion wie Kotzebues "Die deutschen Kleinstädter" oder Hallers "Restauration der Staatswissenschaften" gingen in Flammen auf. Dieser zweite Teil des Wartburgfestes diente den etablierten Kräften als Beweis einer gegen die Regierung gerichteten Verschwörung. Auf beiden Seiten heizte sich die Stimmung derart auf, daß der Student Karl Sand den russischen Staatsrat und Lustspieldichter Kotzebue in Mannheim ermordete. Sand glaubte, mit dem Tod des im ausländischen Dienst stehenden Kotzebue ein Signal zum allgemeinen Aufstand zu geben und das Land von einer großen Gefahr zu befreien. Er wurde 1820 hingerichtet.

Die Aristokratie aber jubilierte, denn nun schien ihre Furcht vor einem Aufruhr gerechtfertigt. Man beschwor das Schreckbild eines revolutionären Geistes im deutschen Volk, mit der Folge, daß die Gesandten in Karlsbad in aller Eile die denkwürdigen Karlsbader Beschlüsse faßten und Metternich die Möglichkeit erhielt, die politisch gefährlichen Burschenschaften zu verbieten. Es begann die Verfolgung aller jener Männer, die für den Gedanken der deutschen Einheit eingetreten waren. Friedrich Ludwig Jahn, Begründer der Turnvereine, wurde gefangengehalten. Ernst Moritz Arndt, dessen Schriften und Lieder das Volk zur Erhebung begeistert hatten, verlor seine Professur an der Universität Bonn. Die Universitäten stellte man unter Polizeiaufsicht, Hunderte von Studenten wurden relegiert oder verhaftet, die Zeitungen einer strengen Zensur unterworfen. Den Karlsbader Beratungen folgten bald die Wiener Ministerialkonferenzen zum Zweck der "Ausbildung und Befestigung des teutschen Bundes". Ihr Ergebnis, zusammengefaßt in der Schlußakte, bestimmte unter anderem, daß die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben müsse. Wiederum ein Schlag für die Hoffnungen der Republikaner. Wenn auch die Studenten wenig politischen Einfluß besaßen, so konnten sie doch einen äußeren Erfolg verbuchen, nämlich die Bestimmung der Burschenschaftsfarben Schwarz-Rot-Gold zu den deutschen Bundesfarben, wie sie noch heute gültig sind.

Die beiden grundlegenden Ideen im Zeitalter des Vormärzes waren der Konstitutionalismus und das Nationalitätsprinzip. Wenn auch auf politischem Gebiete die erwünschten Erfolge ausblieben, so bot doch die wirtschaftliche Entwicklung die Aussicht, wenigstens auf diesem Sektor die Einheit Deutschlands voranzutreiben. Die entscheidende Bedeutung der Wirtschaftseinheit als Vorstufe zur staatlichen Einheit erkannte ein Mann, dessen kühne Zukunftspläne von den mißtrauischen Bürokraten der deutschen Länder immer wieder blockiert wurden: Friedrich List (1789-1846) erblickte in der schwäbischen Stadt Reutlingen das Licht der Welt. Leidenschaftlich setzte er sich für die Zolleinigung des Deutschen Bundes ein. In seiner Eingabe an die Bundesversammlung vom April 1819 heißt es: "38 Zoll- und Mautlinien lähmen den Handelsverkehr im Innern Deutschlands. Um von Hamburg nach Österreich, von Berlin in die Schweiz zu handeln, hat man zehn Staaten zu durchschneiden, Zoll- und Mautordnungen zu studieren und zehnmal Durchgangszoll zu bezahlen. Die selben Deutschen, die zur Zeit der Hanse unter dem Schutze eigener Kriegsschiffe Welthandel trieben, gehen durch das gegenwärtige Zollsystem zugrunde."

Der Frankfurter Bundestag sah in dieser Eingabe den Versuch, die Ordnung des Deutschen Bundes umzustürzen. Fried-

rich List verlor seine Professur in Tübingen. Die württembergische Regierung verurteilte ihn wegen "staatsfeindlicher Aufreizung" zur Festungshaft. Nur gegen das Versprechen, nach Amerika auszuwandern, ließ man ihn frei. List brachte es zu Ansehen und Wohlstand, 1832 kehrte er als US-Konsul nach Deutschland zurück und wirkte als "unbesoldeter Anwalt des deutschen Volkes" weiter für die Zolleinigung. Daneben trat er mit großer Energie für den Ausbau des Eisenbahnwesens ein. In Preußen hatte es die aufstrebende Wirtschaft inzwischen erreicht, daß alle Provinzial-zölle innerhalb des eigenen Staatsgebietes wegfielen. Auch in den übrigen Bundesstaaten setzte sich immer mehr die Einsicht durch, wie hinderlich alle Zollschranken einem Handelsaufschwung im Wege standen. Starker wirtschaftlicher Druck Preußens führte schließlich zum Anschluß an das preußische Zollsystem. Im Jahre 1834 trat der Deutsche Zollverein in Kraft, der dem größten Teil Deutschlands die wirtschaftliche Einheit gab. Von nun an wurden Zölle nur noch an den Grenzen des vereinigten Zollgebietes erhoben. Zum ersten Male hatten die eigensüchtigen Oberhäupter der deutschen Staaten freiwillig auf einen Teil ihrer Souveränität verzichtet, allerdings ohne Österreich, das außerhalb der Zollunion blieb. Noch kurz vor seinem Freitod schrieb Friedrich List: "Mein Streben war die nationale Einheit Deutschlands, sie scheiterte an dem kleinstaatlichen Denken der allzu vielen deutschen Fürsten."

Trotz Karlsbader Beschlüssen, Pressenzesur und Demagogenverfolgung wollten die Rufe nach einer verfassungsrechtlichen Liberalisierung in den Staaten des Deutschen Bundes nicht verstummen. Die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft sollten nach schriftlich fixierten Grundsätzen geregelt werden, die den Bürgern Rechte und Pflichten auferlegten, gleichzeitig aber der staatlichen Machtfülle ihre Grenzen aufwiesen. In den vierziger Jahren des Vormärzes entwickelte sich die politische Lage immer prekärer. Voller Hoffnung hatten sich die Blicke des Volkes auf den neuen preußischen Monarchen Friedrich Wilhelm IV. gerichtet, der 1840 seinem Vater auf den Thron gefolgt war. Der neue König, 45 Jahre alt, von seiner göttlichen Berufung fest überzeugt, galt als genialische Künstlernatur. Er ließ die im Gefängnis einsitzenden "Demagogen" frei, gab auch einigen der entlassenen Göttinger Professoren ein neues Amt, aber das Verfassungsversprechen seines Vorgängers löste auch er nicht ein. So wundert es nicht, daß Friedrich Wilhelm IV., der bei seiner Huldigung in Königsberg noch begeisterte Zustimmung fand, die Schaffung einer Landespräsentation für die Landtage der Provinzen Preußen und Posen ablehnte.

Zu einem Höhepunkt republikanischer Gesinnung Ostpreußens gestaltete sich das machtvolle Treffen in Pillau am 8. Juni 1845. Dort trafen sich Gesinnungsfreunde aus Elbing, Braunsberg, Fischhausen und Heiligenbeil mit den per Schiff aus Königsberg angereisten Demokraten, um über einen Antrag für eine reichsständische Verfassung abzustimmen. Einen Erfolg erreichten auch sie nicht. Endlich bewegte der zunehmende Druck den Monarchen, einen Vereinigten Landtag nach Berlin einzuberufen. Anlaß war die Forderung des Königs an die Stände, einer Staatsanleihe zum Bau der Eisenbahn von Berlin nach Königsberg zuzustimmen. Dieser Landtag setzte sich aus Vertretern der Provinziallandtage zusammen, die seit 1823 in den acht preußischen Provinzen bestanden. Eine Mehrheit des Vereinigten Landtags forderte dessen regelmäßige Einberufung sowie das Recht der Gesetzgebung. Wiederum war das Ergebnis gleich null. Friedrich Wilhelm IV. zeigte sich nicht bereit, seinen Anspruch auf Alleinherrschaft aufzugeben.

Sollten alle Bemühungen der Reformer um eine Demokratisierung und Neugestaltung Deutschlands vergeblich gewesen sein? Da wirkte die Nachricht von der französischen Februarrevolution wie ein Fanal zum Aufstand gegen die Reaktion; in Paris hatte sich die Arbeiterschaft gegen die Monarchie erhoben. In Preußen benötigte die lange aufgestaute Wut des Vormärzes nur einen Funken zur Entladung. Zwei Schüsse vor dem Berliner Schloß, abgefeuert aus einer Menschenmenge am 18. März 1848, lösten das Signal zur Erhebung aus.

Die Deutschen in einer Zeit nationaler Schwäche und obrigkeitlicher Bevormundung: Zu sehen ist hier ein Michel, der wie ein unmündiges Kind in einen Kinderstuhl gepfercht ist. Die deutschen Streitkräfte verteidigen ihn nicht, da sie fremden Interessen dienen. Staatskanzler Fürst Metternich steht für die Obrigkeit, die den Bürger schröpft und mundtot hält. Die englische Bulldogge mit dem Geldsack aus Michels Jackentasche im Maul symbolisiert die weltgrößte Wirtschaftsmacht, die das von ihr selber postulierte Ideal des Freihandels mißachtet, wenn es ihren Interessen dient.