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Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Januar 2004
Die Erinnerung an den Holocaust und das Gedenken an die Opfer wachzuhalten ist Teil unserer nationalen Identität. Dies ist eine Passage in einer am 12. Dezember 2003 einstimmig verabschiedeten Resolution des Bundestages, mit welcher zum Widerstand gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung aufgerufen wurde. Joseph Fischer, der derzeitige deutsche Außenminister, geht deutlich weiter: "Auschwitz", antwortet er auf die Frage nach der Grundlage der deutschen Identität. Beide Aussagen dürfen nicht unwidersprochen im Raum stehenbleiben. Der Holocaust und Auschwitz sind - Gott sei es geklagt - Teil der deutschen Geschichte; sie sind nicht Merkmale für deutsche Identität. Die deutsche Geschichte umfaßt rund 1.200 Jahre, wenn ihr Beginn bei Karl dem Großen angesetzt wird. Es gibt Aspekte, die geeignet sind, den Beginn der deutschen Geschichte schon vor 800 n. Chr. festzulegen. Die zwölfjährige NS-Zeit beträgt höchstens ein Prozent unserer überlieferten Geschichte; was auch immer an Schrecklichkeiten in einem Dutzend Jahre der deutschen Geschichte geschehen ist - daraus die wesentlichen Grundlagen für die deutsche Identität abzuleiten, ist absurd. Unsere nationale Identität ist geprägt durch das Spannungsverhältnis zwischen dem einzelnen und der Gemeinschaft. Hier, ich und Deutscher, dort, wir deutsches Volk. Als bedeutsamstes Mittel für die Heranbildung einer nationalen Identität erweist sich die Muttersprache. Sprachen sind bei weitem das wichtigste Vehikel kultureller Entfaltung und zugleich das wichtigste Element nationaler - übrigens auch persönlicher - Identität, stellte schon Helmut Schmidt fest. Friedrich Schiller schrieb: "Die Sprache ist der Spiegel einer Nation. Wenn wir in diesen Spiegel schauen, dann kommt uns ein treffliches Bild von uns selbst daraus entgegen."1 Eine seit Jahren feststellbare Verhunzung der deutschen Sprache wird von vielen beklagt. Anders als zum Beispiel in Frankreich sind Abwehrmaßnahmen dagegen bisher nicht erfolgt. Englisch hat Deutsch als Wissenschaftssprache verdrängt. Immer weniger Fachausdrücke werden ins Deutsche übersetzt. Der zunehmende Gebrauch von Anglizismen in der deutschen Umgangssprache führt zu einer Verarmung des deutschen Wortschatzes. Marcel Stiennon, der Vizepräsident des belgischen Deutschlehrerverbandes, stellt fest, daß die Nachkriegszweifel der Deutschen an ihrer nationalen Identität, die fortdauernde Bewältigung der Vergangenheit, die nicht endende Selbstzerfleischung weit mehr als zwei verlorene Kriege dazu beigetragen haben, die deutsche Sprache zu marginalisieren.2 Die Verlotterung der deutschen Sprache weist auf ein gestörtes Selbstwertgefühl der Deutschen hin. Die uns immer wieder vorgehaltenen bösen zwölf Jahre sind dafür wohl der entscheidende Grund. Deshalb haben sich auch die meisten Meinungsmacher in den politischen Parteien, im Bildungswesen und bei den Medienschaffenden aufgrund der Schande, die eine Horde gewissenloser Ideologen, Mitläufer und verhetzter Kleingeister in der Zeit von 1933 bis 1945 über Deutschland gebracht hat, verwirren lassen. Dies hat dazu geführt, daß seit dem Zweiten Weltkrieg Schuld und Verbrechen immer nur bei den Deutschen gesucht werden. Da man das Kind mit dem Bade auszuschütten pflegt, wurden im Zuge der Vergangenheitsbewältigung große Teile der deutschen Geschichte kriminalisiert oder negiert. Unter diesen Bedingungen konnte sich kein unverkrampftes Verhältnis zur eigenen nationalen Identität entwickeln. Das nationale Selbstwertgefühl wurde beseitigt, zumindest schwer destabilisiert. Erika Steinbach, Bundestagsabgeordnete und Präsidentin des BdV, hat in einem Leserbrief in der FAZ am 5. April 1994 diese Misere mit bemerkenswerter Klarheit definiert: "Ein Mensch mit einem so zerstörten Selbstwertgefühl wie wir als Nation wäre ein schwerer Fall für den Psychiater. Der Ruf nach Verfassungspatriotismus ist eines der sichtbarsten Symptome unseres nationalen Selbstwertdefektes." Eine spezifische Identität werden Menschen im deutschen Sprachraum bejahen und für sich reklamieren, wenn sie sich mit der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte sowie deren wahrlich nicht geringen positiven Wirkungen auf Europa und die Welt identifizieren können. Identität erwächst aus sinnstiftenden Ereignissen und besonders dann, wenn daraus segensreiche Nachwirkungen erwachsen. Die deutsche Geschichte hat Europas Entwicklung viele positive Impulse gegeben. Einige Beispiele seien angeführt. Karl der Große, den wir an den Beginn der überlieferten deutschen Geschichte setzen wollen, gilt in der Geschichtsschreibung als der Begründer des christlichen Abendlandes. Er wurde im Aachener Münster beigesetzt. Die Ostkolonisation in der Frühphase unter dem Askanier Albrecht dem Bären und Otto dem Großen und fortgesetzt unter dem Stauffer Friedrich II. und dem Habsburger Rudolf I. bleibt ein Ruhmesblatt in der deutschen und europäischen Siedlungsgeschichte. Gutenbergs Buchdruck und der Handel der Hanse wirken - zeitgemäß modifiziert - bis heute. Luthers deutsche Bibelübersetzung im Rahmen der Reformation schuf die einheitliche deutsche Schriftsprache, und sein Man- nesmut vor Königsthronen wurde sprichwörtlich. Seine Liebeserklärung an Deutschland ("Ich kann es ja nicht lassen, ich muß mich sorgen um mein armes Teutschland, dem ich ja kein Arges, sondern alles Gute gönne, als ich schuldig bin meinem armen Vaterland") belegt, daß es entgegen der Meinung heutiger Historiker sehr wohl eine deutsche Geschichte und gesamtdeutsches Empfinden am Ausgang des Mittelalters gegeben hat. Leibniz als Vordenker der Aufklärung, Thomasius, Lessing und vor allem Kant als Aufklärer sind unsterbliche Lichtgestalten der deutschen Geschichte, wie es die Klassiker speziell für die Literaturgeschichte sind. Preußische Toleranz wurde erstmalig europaweit bekannt durch das Edikt von Potsdam des Großen Kurfürsten 1685. Sein "Bedenke, daß du ein Deutscher bist" steht noch heute unter seinem Standbild in Minden/Weser. Die Leistungen der preußischen Reformer, die in großer Zahl von ihrer landsmannschaftlichen Zugehörigkeit keine Preußen waren, die deutsche Einigung im 19. Jahrhundert als Vorbild für die Wiederherstellung der Einheit 1990, die Umsetzung des Humboldtschen Bildungsideals in den konkreten Schulalltag mit dem Ergebnis, daß eine große Anzahl der Nobelpreisträger aus Deutschland kam, sowie Bismarcks Sozialgesetzgebung sind wahrlich Ereignisse, die ein gesundes nationales Selbstwertgefühl der Deutschen begründen. Als vorläufiger Schlußpunkt einer positiven deutschen Entwicklung nach dem Tiefpunkt von 1945 sei die einmalige Wiederaufbauleistung der Kriegs- und Nachkriegsgeneration genannt. Die Leistungen der Trümmerfrauen können nicht hoch genug bewertet werden. Was heute problemorientiert diskutiert wird, nämlich Beruf, Küche und Kinder unter einen Hut zu bringen, haben die Trümmerfrauen klaglos bewältigt. Schließlich sei auch noch die einmalige Leistung der Deutschen bei der Wiedergutmachung der NS-Verbrechen gewürdigt. Eine Wiedergutmachung von Verbrechen ist immer nur ansatzweise möglich. Gleichwohl, getragen vom ernsten Willen zur Wiedergutmachung, haben die Deutschen materielle Opfer in gigantischer Höhe erbracht. Darauf können die Nachgeborenen ein wenig stolz sein. Die NS-Zeit war zerstörerisch und destruktiv, der Holocaust schrecklich, ja diabolisch. Die Jahre zwischen 1933 und 1945 waren der bisherige Tiefpunkt in der deutschen Geschichte. Aus dieser Zeit Merkmale für die deutsche Identität abzuleiten, ist ignorant, weil rund 1.200 Jahre deutscher Geschichte negiert werden, und ebenso unsinnig, wie beispielsweise der katholischen Kirche eine spezifische Identität aufgrund der Inquisition zuzuweisen. Richtig ist, daß die Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit eine Verpflichtung bleibt, die aus der christlichen Tradition Deutschlands und Europas erwächst. Hier besteht zur Zeit kein Nachholbedarf, da zahlreiche Erinnerungsstätten im In- und Ausland, die Dauerberichterstattung in den Medien und die Schulbücher in der ganzen Republik davon künden. Ob zur bleibenden Erinnerung an die Millionen jüdischen Opfer des Holocaust auch noch die derzeit in Bau befindliche Gedächtnisstätte - das Stelenfeld - am Brandenburger Tor erforderlich ist, bleibt offen. Zahlreiche Persönlichkeiten des In- und Auslandes stehen dem Vorhaben eher skeptisch gegenüber. Allerdings noch unterentwickelt ist die Erinnerungskultur an die deutschen Opfer am Ende des Zweiten Weltkrieges und in den Jahren danach. Abgesehen vom Freistaat Bayern hat die öffentliche Hand auf diesem Sektor bisher wenig getan. Die beabsichtigte Errichtung des Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin soll dieses Defizit beseitigen. Die Einlassungen aus Polen und Tschechien zu diesem Vorhaben sind ein Ärgernis und darüber hinaus eine Einmischung in innere Angelegenheiten des deutschen Staates. Die deutsche Bundesregierung müßte diese Einmischung energisch zurückweisen. Das geböte uns unsere Würde und trüge zur Rückgewinnung einer nationalen Identität bei. Wir sind inzwischen gleichberechtigte Partner in der europäischen Völkerfamilie. 1 Zitiert nach "Sprache und Identität" von Thomas Paulwitz, Deutschland Journal, SWG 2003 ebenda |