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03.01.04 / "Die meisten Fusionen sind Unfug" / Rosemarie Fiedler-Winter im Gespräch mit dem Managementspezialisten Fredmund Malik über Fehler in den Vorstandsetagen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Januar 2004

"Die meisten Fusionen sind Unfug"
Rosemarie Fiedler-Winter im Gespräch mit dem Managementspezialisten Fredmund Malik über Fehler in den Vorstandsetagen

Nach Aussagen führender Wirtschaftsvertreter mangelt es heute in vielen Unternehmungen an Führungskompetenz. Wie und wo zeigt sich das nach Ihren Erfahrungen besonders deutlich?

Malik: Nach meinen Erfahrungen macht sich derzeit in den oberen Führungsetagen eine ganz große Unsicherheit bemerkbar. Orientierungslosigkeit und Ratlosigkeit breiten sich aus. Man stellt fest, daß das, was ab Mitte der 90er Jahre als ultimative Weisheit galt, nämlich Wertsteigerung nach Shareholder-Value-Gesichtspunkten, nicht mehr funktioniert; aber kaum jemand hat bisher eine Alternative gefunden. Es fehlt an gedanklichem Durchdringen der Lage. Eine Zeitlang hat es ja tatsächlich so ausgesehen, als wäre das Börsengeschehen auch in Sachen Unternehmensführung der Weisheit letzter Schluß. Das hing auch mit der erheblichen Überschätzung der amerikanischen Wirtschaft zusammen. Nur wenige erkannten, in welch desolatem Zustand sich die US-Ökonomie schon geraume Zeit befunden hat. Fast keine der veröffentlichten amerikanischen Wachstumsziffern konnte einer kritischen Überprüfung standhalten. Ich sage nicht, daß sie gefälscht sind, denn ich bin kein Anhänger primitiver Verschwörungstheorien, ich sage nur, sie sind falsch.

Was betrachten Sie dann als Ursache dieser Fehlsteuerung?

Malik: Ich kritisiere nicht die Amerikaner. Ich kritisiere die Naivität mancher europäischer Führungskräfte und Politiker. Die Fehlschlüsse resultieren aus der Naivität, mit der wir vermeintlich positive Dinge von Amerika übernehmen und sie in unsere durchaus andere Kultur einbringen. Das scheint mir der Kern der Sache zu sein. Die Börse läuft nicht so, wie sie laufen sollte. Die Shareholder haben riesige Verluste und sind davongelaufen, und wir haben zu viele Manager an der Spitze, die offenkundig zu diesem Geschehen keine alternativen Vorstellungen entwickeln können. Wir haben kaum je eine derartige Irreführung von Wirtschafts- und Führungs-Vorstellungen gehabt wie jene, die in den 90er Jahren entstanden. Meine These lautet: Wir haben keine wirtschaftspolitisch verursachte Krise. Wir haben eine Management-Krise.

Worin und wodurch zeigt sich nach Ihren Beobachtungen dabei Führungskompetenz am deutlichsten?

Malik: Diese Kompetenz zeigt sich unter anderem darin, daß man gerade im oberen Management eine sehr kritische Haltung gegen-über auftauchenden Modewellen hat, die ja regelmäßig wie nach der Uhr und praktisch ausschließlich aus den USA auftauchen. Es kommt aber nicht darauf an, zu fragen, was ist modern, was wollen die Medien, was wollen die Analysten hören oder wie mache ich mich beliebt und fördere meine Karriere. Es kommt darauf an, zu fragen, was das Beste für das Unternehmen wäre.

Welche Bedeutung schreiben Sie in diesem Zusammenhang der politischen Situation zu?

Malik: Ich will die politische Situation nicht verniedlichen. Gerade in Deutschland gibt es viel zu tun, und das auch nicht erst jetzt. Die Gewerkschaften müssen sich von Grund auf renovieren. Sie kämpfen heute eine verzweifelte letzte Abwehrschlacht. Aber das wird nichts mehr; sie sind auf dem falschen Pfad und werden bedeutungslos, wenn sie sich nicht ändern. Die Industrie schenkt ihnen viel zu viel Beachtung.

Gut geführte Unternehmen haben heute oftmals bereits einen Lohnkostenanteil von weniger als 15 Prozent, und selbst wenn die Entgelte sogar um fünf Prozent erhöht würden, belastete das die Gesamtkosten kaum um ein Prozent. Die wirklich relevanten Kosten, die stecken an ganz anderer Stelle: in den Management-Etagen, im Marketing, in Forschung und Entwicklung, bei der Logistik. Alles Dinge, zu denen die Gewerkschaften gar keinen Zugriff haben.

Wie beurteilen Sie dann das Fehlen von Führungskompetenz bei den großen Pleiten?

Malik: Der Mangel an Führungskompetenz war auch bei den großen Pleiten gewaltig. Aber zunächst einmal andersherum: Mir scheint es, daß man zum Beispiel in der deutschen Automobilindustrie gute Arbeit geleistet hat; daraus hat sich ergeben, daß das, was man in den letzten zehn Jahren tatsächlich als eine Art Wirtschaftswunder bezeichnen kann, nicht in Amerika, sondern in der deutschen Auto-Industrie stattgefunden hat. Dort waren die großen Firmen - mit Ausnahme von BMW - vor zehn Jahren so gut wie pleite. Die Japaner waren rund um die Welt in der Offensive, und die deutschen Manager sind in Jumbo-Ladungen nach Japan gewallfahrt, um sich japanisieren zu lassen.

Sind die Großen trotz ihres geringeren Beschäftigungsanteils am Arbeitsmarkt also wichtiger als die Kleinen?

Malik: Großkonzerne erscheinen mir in erster Linie nicht um ihrer wirtschaftlichen Macht willen wichtig, sondern weil sie das Verständnis der Gesellschaft für Wirtschaft prägen; sie sind im Gegensatz zu kleineren und mittleren Unternehmen allgemein sichtbar. Deshalb wirkt es sich auch so negativ aus, wenn gerade dort die gesellschaftliche Glaubwürdigkeit verspielt wird. Wenn Vorstandsbezüge erhöht werden, wenn man gleichzeitig Mitarbeiter entlassen muß. Das bedarf keines Kommentars.

Manche Manager haben den Gewerkschaftsführern so viele Argumente in die Hand gespielt, daß man es ihnen kaum leichter machen kann. Auch in der Schweiz ist ja ein Teil unserer besten Firmen innerhalb der letzten drei bis fünf Jahre von inkompetenten Leuten zugrunde gerichtet beziehungsweise beschädigt worden. Dazu gehören vor allem Firmen aus dem Bereich Assekuranz und Banken wie die CS Group, die Winterthur-Versicherung, die Rentenanstalt, der Zürich-Konzern. Dort sind diese Shareholder-Value-Prozesse besonders stark betrieben worden. In der Realwirtschaft - Automobil, Pharma -, wo wirklich reale Wertschöpfung stattfindet, ist diese Haltung nicht so verbreitet, denn man kann ein Unternehmen eben nicht allein nach Shareholder-Gesichtspunkten führen.

Was halten sie vor diesem Hintergrund jetzt von Fusionen?

Malik: Die meisten Fusionen sind Unfug. Es werden Strukturen geschaffen, die eine erfolgreiche Führung unmöglich machen. Inzwischen werden weltweit 80 Prozent davon wieder auseinandergenommen. Es bleiben nur einige übrig, die Sinn hatten. Zum Vergleich: Zur selben Zeit, als Reuter Mercedes übernahm, hat bei uns in der Schweiz Maucher Nestlé übernommen, und wenn man zehn Jahre später anschaut, was auf der einen Seite Reuter und auf der anderen Maucher erreichte, dann hat man eine perfekte Fallstudie in dem einen Fall dafür, was man nicht tun darf, und im anderen Fall, was man tun muß.

Wie läßt sich nach Ihren großen Erfahrungen dann Führungskompetenz am besten erwerben?

Malik: Ich habe jetzt seit 30 Jahren mit Führungskräften zu tun, und dabei konnte ich immer wieder feststellen: Eine besonders gute Ausgangs-position hat jeder, dem das Glück zuteil wurde, selbst einen beispielhaften Chef zu haben. Das ist das beste und schnellste Mittel, um Führungskompetenz zu erwerben. Ich spreche von einem kompetenten Chef und nicht von einem angenehmen. Das ist das Lernen des Lehrlings vom Meister. Wer jedoch glaubt, mit dem Hochschulstudium und einem Diplom sei der Manager fertig, der irrt. In Wirklichkeit beginnt dann die Entwicklung erst, und eine Weiterbildung, die nicht nur aufgabengerecht ist, sondern auch tiefer geht, wird unerläßlich.

Unter Management-Weiterbildung verstehe ich außerdem mehr als eine Aneinanderreihung interessanter Management-Themen. Meinerseits fühle ich mich den Grundsätzen von Relevanz, Ganzheitlichkeit, Qualität und Konti- nuität verpflichtet, um Führungskräften eine wirklich nützliche Basis zu bieten.

Was sind für Sie die entscheidenden Voraussetzungen für effiziente Management-Weiterbildung?

Malik: Im Management kommt es darauf an, überzeugende Resultate vorweisen zu können. Mir erscheint das vor allem für Männer und Frauen in den Dreißigern relevant zu sein. Dabei bin ich ein Gegner von rascher Job-Rotation, wo man den Leuten die Möglichkeit beschneidet, Ergebnisse zu zeigen. Dadurch wird der einzelne ebenso geschädigt wie das Unternehmen. In den vielen Personalakten, die ich erhalte, ist vorwiegend von Positionen die Rede. Aber ich lade die Gesprächspartner stets zuerst ein, mir ein ins Gewicht fallendes Resultat zu schildern, das sie ausführen konnten. Ein erfolgversprechender Manager muß mindestens zwei- bis dreimal bewiesen haben, daß er echte operative Ergebnisse erreichen konnte. Das heißt, man muß eben auch mal in Gummistiefeln auf der Baustelle gewesen sein. Dazu gehören natürlich auch schwierige Personalentscheidungen. Das darf nicht allein von der Personalabteilung erledigt werden. Die richtige Lösung bleibt dafür unausweichlich nur ein persönliches Gespräch.

Bleibt das Prinzip kompetenter Führung eigentlich auch in Zeiten der Veränderungen wie den unseren gültig?

Malik: Ich meine, daß die Prinzipien guter Führung unverändert bleiben. Was sich mit der Situation verändert, das ist die Virtuosität, mit der man diese Dinge beherrschen muß. In der "rush hour" ist der Verkehr dichter als am Sonntagmorgen, aber der Vorgang des Autofahrens bleibt der gleiche, nur die Anforderungen an die Virtuosität sind gestiegen. Vor allem aber, man sollte sich im Management nicht so leicht mit eigenen Leistungen zufriedengeben.

Wie weit wirken nationale oder internationale Voraussetzungen auf die Führungskompetenz eines Managers ein?

Malik: Ich unterscheide hier zwischen dem "Was" und dem "Wie" der Führung. Die Anforderungen an die Führungskraft scheinen mir rund um die Welt sehr ähnlich zu sein. In den äußeren Erscheinungsformen unterscheiden sich natürlich Italiener und Deutsche oder Chinesen und Mexikaner. Diese äußeren Erscheinungsformen nenne ich das "Wie" einer Führung. Das bleibt unterschiedlich, aber im "Was" hat jedes gut geführte Unternehmen in Italien, Deutschland, Mexiko oder China bemerkenswerte Ähnlichkeiten.

Mit Basisanforderungen beginnend, kann man sagen, man legt Wert auf effiziente Sitzungen, eine gute Personalausbildung und ähnliches. Das heißt, positive Einflüsse lassen sich im Management auch international verbreiten.

Nestlé ist zum Beispiel in der Nachfolgeregelung seines langjährigen ersten Mannes Hellmuth Maucher hervorragend gewesen. Dort wurde das Gegenteil vom Zirkus vieler anderer, vom Sesselrükken in den Etagen, geboten. Dort werden die Anwärter auf alle führenden Positionen innerhalb des Unternehmens aufgebaut. Die Hereinnahme fremder Kräfte von außen, zum Teil sogar aus nicht übereinstimmenden Kulturen, vergrößert naturgemäß die Chance von Fehlern.

Wirkt sich der hier angesprochene Mangel an kompetenter Führung nach Ihren Erfahrungen eigentlich stärker bei großen oder bei kleinen Unternehmungen aus?

Malik: Mangel an kompetenter Führung wirkt sich überall katastrophal aus, nur auf unterschiedliche Weise. Auch bei kleineren, lokal tätigen Firmen kann es zu einem De-saster für die betroffene Region kommen. Bei den großen sind die ökonomischen Schäden natürlich umfangreicher. Aber dazu kommt die Prägung des Bildes von der Wirtschaft in der Öffentlichkeit. Es ist desaströs, wenn es zu Grabenkämpfen zwischen der Bevölkerung und den Eliten einer Unternehmens-Gesellschaft kommt. Das heißt, wir müssen kompromißlose und perfekte Vorbildwirkung bei den Vorständen der Großkonzerne erwarten. Jeder Verstoß sollte massiv durch die Aufsichtsorgane geahndet werden, denn Führungskräfte dieser Art sind immer öffentlich und nie privat. Es ist wichtig, Glaubwürdigkeit für die Menschen ringsum und nicht nur für die eigene Belegschaft zu erzielen. Wenn die Menschen in Deutschland zum Beispiel den Eindruck haben, wir können der Führung der Wirtschaft nicht mehr vertrauen, wir müssen Zweifel an ihrer Kompetenz haben, dann verursacht das größere Schäden als ausschließlich wirtschaftliche Fehlentscheidungen.

 

Geschäftsführer Malik: Das Management-Zentrum St. Gallen gehört zu den führenden Anbietern für Managementfragen in Europa. Im Unternehmen arbeiten Pioniere und Experten für Managementtheorien und ihre praktische Anwendung zusammen. Foto: privat

Vita Prof. Fredmund Malik Fredmund Malik gilt als einer der bedeutendsten Wirtschaftswissenschaftler im deutschen Sprachraum. Er gehörte zur Schule von Prof. Dr. Hans Ulrich, BWL-Lehrstuhlinhaber an der Hochschule St. Gallen, der in den 70er Jahren mit dem "St. Galler Modell", dem Auftakt eines systemorientierten Managements, von sich reden machte. Malik ist heute Präsident des Verwaltungsrates des Management-Zentrums St. Gallen, Titularprofessor der Universität St. Gallen sowie Autor zahlreicher Bücher, zuletzt "Führen, Leisten, Leben: Wirksames Management für eine neue Zeit", 2003 im DVA-Verlag, München undStuttgart, erschienen. Er ist in Unternehmungen aller Größenordnungen als Berater vor allem in den Aufgabenbereichen General-Management, Strategie- und Struktur- sowie Personalentwicklung und Ausbildung tätig. Sein besonderes Interesse gilt den Grundsatzfragen des Managements, seiner Aufgabenstellung und Verantwortung.