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Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Januar 2004
Dschingis-Khan ist überall. Der beste Wodka, die breiteste Straße, das schönste Hotel ist in der Hauptstadt Ulan Bator ("Roter Held") nach dem mongolischen Nationalhelden benannt, der vor 800 Jahren die zerstrittenen Stämme vereinte, um Schrecken und Zerstörung zu verbreiten. Bis 1990 mußte man sich bei seiner Verehrung noch zurückhalten, um den großen Bruder in Moskau nicht zu reizen, der die Mongolei seit dem Einmarsch der Roten Armee 1921 als ersten Satellitenstaat an der kurzen Leine hielt. Seit 1990 ist dies anders. Die Mongolei war die einzige kommunistische Diktatur Asiens, in der eine echte Wende einsetzte. Die alte Garde der Mongolischen Volksrevolutionären Partei (MPRP), die sich um Langzeitparteichef Tsedenbal (1952-1984), einen Dauergast auf osteuropäischen Paradebühnen, scharte, wurde nach Intellektuellenprotesten gestürzt. Die jungen MPRP-Reformer riefen eine demokratische Verfassung und die Marktwirtschaft aus. Kurzzeitig (1996- 2000) kam wie in Rumänien die recht zerstrittene bürgerliche Opposition an die Regierung, doch die neue Koalition hatte die Wirtschaftskrise der Wendezeit in ihrer vollen Entfaltung geerbt und zerstritt sich bald heillos. In vier Jahren verschliß sie vier Premierminister. Zwar gelang es ihr, die Inflation auf zehn Prozent (2000) zu drücken, die Klein- und Mittelbetriebe zu priva-tisieren, die Bankenkrise mit den vielen faulen Krediten der Staatsbetriebe zu entschärfen und ein bescheidenes Wirtschaftswachstum von vier Prozent anzukurbeln, dennoch lasteten ihr die Wähler die allgemeine Verarmung, den Verfall der öffentlichen Infrastruktur und der staatlichen Dienste sowie die Hungerkrise in der Viehwirtschaft an. So gewannen die Ex-Kommunisten der MPRP im Juli 2000 mit 51 Prozent der Stimmen erdrutschartig 72 von 76 Parlamentssitzen. Der blutige Terror der stalinistischen 30er Jahre, dem neben Hunderttausenden von Mönchen (Lamas), Stammesfürsten und Offizieren auch der damalige Regierungschef und sein Verteidigungsminister zum Opfer fielen, wurde dabei weitgehend verdrängt. Der 43jährige Regierungschef Ekhbayar von der MPRP, der in Lemberg, als es noch sowjetisch war, Journalismus studierte, gibt sich als aufgeklärter Modernisierer: "Wir Mongolen müssen aufhören, Nomaden zu sein." Sein derzeit erst zu 50 Prozent verstädtertes Volk müsse in 20 Jahren zu 90 Prozent in Städten leben und die Abhängigkeit von der Vieh- und Weidewirtschaft aufgeben. In der Tat ist die Bevölkerung Ulan Bators schon auf eine Million (2000) angeschwollen, als nach zwei anhaltenden Trockenperioden im Sommer und ungewöhnlich harten Wintern, die in der Mongolei sechs Monate dauern, ein Zehntel der 25 Millionen Weidetiere starb und es die verzweifelten Hirten in die einzige Großstadt drängte, wo ihre von Bretterzäunen gegen den Wind geschützten Jurtensiedlungen einen skurrilen Kontrast zu den vernachlässigten Plattenbauten des "modernen" Ulan Bator darstellen. Noch leben rund 40 bis 50 Prozent der 2,5 Millionen Mongolen von der nomadischen Viehzucht, doch die Preise ihrer tierischen Produkte sind weiter starken saisonalen Schwankungen unterworfen, während der allgemeine Preisauftrieb mit einer Inflation von bis zu 320 Prozent (1992) stetig zunahm. Realtausch ersetzte die Geldwirtschaft. Als Ergebnis fiel ein Viertel der Bevölkerung unter die Armutsschwelle, die bei einem Durchschnittseinkommen von 500 US-Dollar im Jahr ohnehin schon niedrig genug angesetzt war. Unter den ausländischen Investoren tun sich vor allem Japaner und Koreaner hervor. Japan ist mit 55 Millionen US-Dollar im Jahr auch der größte Entwicklungshilfegeber. Dabei sind die Beziehungen zu Japan zeitgeschichtlich nicht ganz unbelastet. Mit seinen zwei übermächtigen Nachbarn sucht das 2,5-Millionen-Volk im Lichte der geopolitischen Realitäten ein gutes Auskommen. Dabei sind die Beziehungen zu Rußland sicher besser. Gegenüber China jedoch mit seinem Wirtschaftsboom, Bevölkerungsdruck und seiner wachsenden Aufrüstung besteht dagegen großes Mißtrauen: Es herrscht die Furcht, China könne eines Tages wie im Fall von Tibet und Taiwan auch der Mongolei gegenüber die Außengrenzen des Qing-Reiches (das 1911 unterging) beanspruchen und dann die Äußere Mongolei ebenso wie schon die Innere Mongolei als Lebensraum der Han-Chinesen kolonisieren und sinisieren. Chinesen werden deshalb bei Privatisierungen tunlichst kein Land und keine Unternehmen verkauft. Zum Mißfallen der Pekinger Führung werden erste militärische Kontakte mit der Nato und den USA gepflegt. Im August 2001 besuchte auch der Dalai- Lama die Mongolei, wo er seit der Bekehrung der ursprünglich schamaistischen Mongolen im 17. Jahrhundert als lebende Gottheit des lamaistischen Buddhismus ebenso verehrt wird wie in Tibet. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg waren chinesische Siedler, Händler, Arbeiter und Militärs in großer Zahl in die Innere Mongolei geströmt. Heute machen die 4,8 Millionen Mongolen der Inneren Mongolei gerade einmal 17 Prozent der dortigen Bevölkerung aus. Ihre Weidegebiete liegen in unwirtlichen Steppen am Rande der Wüste Gobi. Nach den blutigen Verfolgungen zur Zeit der Kulturrevolution (1966-1976), bei denen nach offiziellen Angaben 50.000 Mongolen ermordet - wahrscheinlich trifft ein Vielfaches zu - und die verbliebenen Lamaklöster als Zentren der mongolischen Kultur zerstört wurden, wird heute das Mongolische in China toleriert. Wer jedoch eine Laufbahn außerhalb des ländlichen Nomadenlebens anstrebt, muß in der Inneren Mongolei mit ihren ausschließlich chinesisch sprechenden Städten eine chinesische Ausbildung durchlaufen. Viele städtische Mongolen verstehen daher ihre eigene Sprache nicht mehr. Über den Verlust ihrer nationalen Identität tröstet sie der im Vergleich zur Äußeren Mongolei deutlich höhere Lebensstan-dard Nordchinas hinweg. Für die Äußeren Mongolen allerdings ähnelt ihr Schicksal erschreckend dem eines wohlhabenden Indianerreservats, dessen Insassen zu Fremden im eigenen Lande wurden. Um diesem Schicksal zu entgehen, ist Ulan Bator zu jedem Opfer bereit. |