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03.01.04 / Brötchen mit Fremden

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Januar 2004

Brötchen mit Fremden
Beim Frühstückstreff begegnet man Menschen mit gemeinsamen Interessen

Anna (56) ist seit zwei Jahren allein. Ihr Mann hat es vorgezogen, mit einer Jüngeren das Leben zu genießen. Anna ist immer noch wütend, wenn sie daran denkt, daß Hannes sie "Knall auf Fall" verlassen hat. Monatelang hat sie sich verkrochen, wollte keinen sehen, keinen sprechen. Eines Tages aber hat sie es satt, ihr Leben zu vergeuden. Sie will wieder unter Menschen, will Anerkennung, will neue Freunde finden. Die aus alter Zeit haben sich zurückgezogen, sie waren sowieso mehr Hannes' Freunde gewesen. Eines Tages nun ergreift sie die Initiative und verändert ihr Leben ...

Thorsten (34) ist ein bewußter Single. Warum sich fest binden, wenn man sieht, wie die Freunde reihum nach nur wenigen Jahren schon wieder das Handtuch werfen? Familie kommt für Thorsten ohnehin nicht in Frage. Er hat sich gegen Kinder entschieden, da sollen die anderen doch reden, was sie wollen. Sein Job ist ihm alles. Bei den Kollegen hat er eine Art Familie gefunden. Das reicht ihm. Eines Tages aber verspürt er ein seltsames Gefühl: Thorsten ist einsam. Die Freunde, die Kollegen sind mit sich selbst beschäftigt, haben ihre Familien, kümmern sich um die Sorgen der Kinder. Thorsten merkt, wie öde es ist, jeden Morgen allein am Frühstückstisch zu sitzen, vor allem am Sonntag, wenn er sich nicht in Arbeit flüchten kann. Da hat er eine Idee, es müßte doch Menschen geben, die ähnlich denken wie er ...

Louisa (78) gehört zu den Menschen, die Frühstück mit einem genüßlichen "Sch" buchstabieren, da für sie Frühstück die schönste Mahlzeit des Tages ist. Den Tag gemütlich beginnen, krosse Brötchen mit Marmelade oder auch mit Schinken und Käse, herrlich duftender Kaffee, am Sonntag auch mal ein gekochtes Ei (ach was, Cholesterin!), das alles gehört für Louisa zu einem richtigen Frühstück. Solange ihr Mann noch lebte, war das auch kein Problem. Sie hatte ein vertrautes Gegenüber, konnte plaudern über dies und das, wenn auch ihr Mann ein kleiner Morgenmuffel war. Von ihm stammte übrigens auch die Bemerkung, sie würde Frühstück mit "sch" schreiben. Oskar ist nun nicht mehr, und Louisa sitzt Tag für Tag allein vor ihren krossen Brötchen, doch Stimmung will nicht aufkommen. Da entdeckt sie in ihrer Tageszeitung einen kleinen Artikel: Frühstückstreff mit fremden Menschen. Ein Artikel, der ihr Leben verändern sollte ...

Anna, Thorsten und Louisa, drei Menschen aus unterschiedlichen Generationen und Lebenskreisen, und doch haben sie eine Gemeinsamkeit gefunden. Sie finden sich seit einigen Wochen regelmäßig am Sonntag zu einem Frühstückstreff in dem Café an der Ecke zusammen. Andere, die ebenfalls nicht allein vor dem gekochten Ei sitzen wollten, die mit netten Menschen ausgiebig frühstücken und plaudern wollten, hatten diese Idee in die Tat umgesetzt. Inzwischen gibt es mehr als 40 Frühstückstreffs in ganz Deutschland und sogar einen auf der Mittelmeerinsel Ibiza. Doch nicht nur Singles sind willkommen, "die Treffs sind offen für alle netten Menschen jeden Alters", so die Veranstalter.

Oft finden im Anschluß an das ausgiebige Mahl weitere Aktivitäten statt: man radelt gemeinsam oder unternimmt einen ausgedehnten Spaziergang. Andere wieder legen Wert auf eine besonders gepflegte Unterhaltung und treffen sich zu philosophischen Debatten für jedermann. Auch trifft man sich zu gemeinsamen Theaterbesuchen, geht ins Kino oder ins Museum.

Mittlerweile haben die einzelnen Frühstückstreffs auch Kontakt untereinander; man besucht sich, tauscht Erfahrungen aus. Die Teilnahme an den Treffs kostet nichts, jeder Gast zahlt seine Getränke und den Verzehr selbst. Nähere Informationen über den Frühstückstreff in der Nähe findet der Interessierte unter www.fruehstueckstreff.de  - Thorsten übrigens hat seine Meinung über das Single-Dasein geändert, seit er Inga in seinem Café getroffen hat ... Silke Osman