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Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Januar 2004
Die Puppe, das Miniaturbild des Menschen, hat ein ewiges Gesicht. Und das Spielen mit der Puppe gehört zu den ureigensten Gewohnheiten des Menschen. Die Puppe ist im Lauf der Zeit vielen Wandlungen unterworfen gewesen - so zeigt die älteste deutsche Puppe aus der Zeit Karls des Großen nur ein Vogelgesicht -, aber bei den vielen Völkern der Erde gehört sie nun einmal zur Kinderstube. Wenn man vom Alter der Puppe sprechen will, so sind 4.000 Jahre eher zu wenig als zu viel gerechnet. Auf der Insel Kreta waren um 2000 v. Chr. Puppen aus Wachs bereits in den Händen reicher Familien. Ebenso solche aus Metall und Gold. - Im alten Griechenland existierte eine Puppenindustrie, und die ältesten griechischen Tonpuppen, etwa um 500 v. Chr., besaßen schon bewegliche Arme, die mit Bindfäden am Puppenkörper befestigt waren. Im alten Ägypten kolorierte man um 1000 v. Chr. hölzerne Gelenkpuppen mit den grellen Farben des Nildeltas. Die Königsgräber von Theben enthielten Puppen als Beigaben. Ihnen kam aber eine ganz besondere Bedeutung zu: Sie sollten für die Verstorbenen im Jenseits arbeiten, waren also keine Spielpuppen. Es war ihnen auferlegt, Verstorbenen durch Handreichungen das Los zu erleichtern. In dem althergebrachten Totenbuch von Theben heißt es wörtlich: "O du Puppe, wenn ich gerufen werde, um allerlei Arbeiten zu verrichten, die in der Unterwelt verrichtet werden, so sage ich dann: ‚Hier bin ich!'" Die japanischen Mädchen ehren ihre Puppen wie keine anderen Kinder auf der Erde. Am 3. März eines jeden Jahres kleiden sie ihre Püppchen in Festgewänder, setzen sie an gedeckte und mit Chrysanthemen geschmückte Tische, um gemeinsam "Das Fest der Puppe" zu feiern. Interessant ist es noch, daß die alten Ägypter vollständige Lebensgemeinschaften von Puppen herstellten: Im Metropolitan Museum of Art in New York sind solche ausgestellt, darunter "Arbeit in einem Schlachthof" (sehr realistisch), ferner "Das Reiseschiff eines vornehmen Ägypters zur Zeit Kleopatras" sowie die Herstellung von Brot und Backwaren in einer Großbäckerei, in den Dimensionen von heute kaum zu unterscheiden. Jede dieser einzelnen Puppenmitarbeiter war genau nach der Umgebung und Funktion gekleidet bzw. ihr angepaßt. Die ersten deutschen Puppenmacher kamen aus der alten Reichsstadt Nürnberg. Ihr bekanntester Meister war der "Docken- oder Tockenmacher" Otto. Später lief Thüringen den Nürnbergern den Rang ab. Im "Grünen Herzen Deutschlands" waren es Sonneberg und Bad Kösen bei Naumburg, woher die schönsten und beliebtesten Puppenkleinkinder kamen. In der "Puppenwiege Bad Kösen" entstanden unter den künstlerischen Händen von Käthe Kruse die berühmtesten Puppen der Welt, unter ihnen "Schlenkerchen", "Träumerchen", "Mimerle" und nicht zuletzt auch der von den Engländern über alles geliebte "Friedebald", den die Vettern jenseits des Kanals auch "the faithful child" (das treuherzige Kind) nannten. Ausgezeichnet vom spanischen und belgischen König, bedacht mit dem Grand Prix und vielen Goldmedaillen sowie dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse hatte die 1968 verstorbene Puppenkünstlerin Käthe Kruse endlich eine Puppe geschaffen mit Kugelgelenken, echtem Haar, Schlafaugen, leicht umfaßbar von den Kindern. Eine Reihe von ihnen sind heute bereits kleine Kostbarkeiten. Blickt man auf die Geschichte von Puppen zurück - man denke dabei an die Puppenstadt Bodman am Bodensee oder Arn- stadt -, so ward dennoch keiner dieser Puppen eine so hohe Ehre zuteil wie dem "Gulliver", einer Traumfigur. Die alte Königinmutter von England, Anna, besaß eine unerhört reichhaltige Puppensammlung. Für sie bereiste ein Aristokrat den ganzen Erdball, Puppen aufzutreiben. Er war es dann auch, der aus Thüringen als Krone ihrer Sammlung den "Gulliver", eine naturgetreue Nach- bildung des Originals, aus- findig machte und für die Herrscherin erwarb. Man ließ diese endlich aufgetriebene Puppe dann nach England überführen. Als das Schiff mit dem "Gulliver" auf der Themse vor London ankerte, war der Kai von Tausenden, ja Abertausenden von Kindern und Puppenliebhabern belagert. Alle im Hafen liegenden Schiffe der Flotte des Britischen Empires salutierten der Puppe mit zwanzig Kanonenschüssen, wohl einma- lig in der Welt des kindlichen Spielzeugs. Danach überbrachten Lords des Hohen Hauses persönlich der Königinmutter Anna in einer feierlichen Zeremonie den thüringischen Gulliver. Selbst in unseren Tagen, die gewiß überreich sind an Spielzeug jeglicher Art, das hat nicht zuletzt das Weihnachtsfest wieder gezeigt, sind Puppen nicht wegzudenken: Sie umfassen eine Welt der Mütterlichkeit und des Friedens - ein besonders sinnbildliches Geschenk ... |