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Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Januar 2004
Die wenigsten aktuellen Veröffentlichungen zum Thema Nationalsozialismus betrachten den ersten deutschen Totalitarismus aus einer wirklich neuen Perspektive. Alle Fragen scheinen hierzu gestellt, alle Antworten diskutiert worden zu sein. Eine Neuerscheinung des Oldenbourg-Verlages beleuchtet das Thema Nationalsozialismus nun aber tatsächlich aus neuer Sicht: Der junge Bonner Historiker Riccardo Bavaj hat unter wissenschaftlicher Leitung des konservativen ‚Historikerstreiters' Klaus Hildebrand "Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus" untersucht. Schon der Titel stellt einen Tabubruch dar: Darf man das auf den ersten Blick Unvereinbare überhaupt in eine Beziehung miteinander setzen? Das Moderne an sich wird mit den Begriffen Aufklärung, Liberalismus und Emanzipation sowie dem Ereignis der Französischen Revolution, kurz dem Rationalismus, assoziiert. Hitlers Diktatur verbinden wir dagegen mit irrationaler Kriegslüsternheit sowie Mord und Totschlag. Gelöst von allen moralischen Bedenken lassen sich zumindest im Wohnungsbau, im Militärischen und im Technologischen sowie hinsichtlich der Emanzipation der Frau durchaus moderne Seiten am Nationalsozialismus feststellen. Insbesondere die sich im Autobahnbau manifestierende Technikeuphorie der Nationalsozialisten ist heute noch im Bewußtsein der Öffentlichkeit. Angesichts der Leistungen von Persönlichkeiten wie Leni Riefenstahl ist dem Nationalsozialismus auch im kulturellen Bereich eine gewisse Modernität nicht abzusprechen. Die Verhöhnung abstrakter Kunst, des Jazz und der atonalen Musik darf gleichwohl nicht ignoriert werden. Bavaj zieht folgendes Fazit: "Wenngleich im musischen, vor allem aber im architektonischen und produktgestalterischen Bereich innovatives Potential unter dem ‚eingeschränkten Pluralismus' der NS-Herrschaft durchaus noch seinen Ausdruck fand, läßt sich insgesamt eher von einer künstlerischen und kulturellen Stagnation in der NS-Zeit sprechen." In seinem Vorwort weist Klaus Hildebrand auf die Notwendigkeit hin, die antimodernen und die modernen Elemente der NS-Diktatur differenziert zu betrachten. Gerade angesichts der Erfahrungen mit der totalitären Diktatur des Dritten Reiches sei der Moderne mit Skepsis zu begegnen. Der Nationalsozialismus sei nicht "als Einbruch atavistischer Barbarei in eine moderne, humane Zivilisation ..., sondern als eine mögliche Konsequenz der durch die Modernisierung hervorgebrachten Widersprüche und Gefährdungen" zu sehen. Das Dritte Reich stelle einen deutlichen Gegensatz zu jenem Fortschrittsoptimismus dar, der dem Modernisierungsprojekt ursprünglich zu eigen war, so Hildebrand. Wie dem Kommunismus war dem Nationalsozialismus eine rationalistische Dreistigkeit des Besserwissens zu eigen, die die irrationale Wirklichkeit der Welt ignoriert. Eben diese Ignoranz ist der Boden, auf dem die dunklen Kräfte einer irrationalen Wildheit, die es im Lichte einer rationalistisch verkargten Aufklärung eigentlich gar nicht geben dürfte, haben wachsen können. Vor diesem Hintergrund betrachtet, sind Kommunismus und Nationalsozialismus, Modernitätshörigkeit und Diktatur Seiten der gleichen Medaillen. C. Klein Riccardo Bavaj: "Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus", Oldenbourg Verlag, München 2003, broschiert, 275 Seiten, 39,80 Euro |