13.12.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
03.01.04 / Die Heimkehr der "Gorch Fock"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Januar 2004

Die Heimkehr der "Gorch Fock"
Das Schiff hat wieder seinen alten Namen und einen Heimathafen in Deutschland
von Peer Schmidt-Walther

Bis Ende April 1945 war sie in Stralsund beim 1. Schiffsstammregiment als Kadetten-Schulschiff zu Hause. An der Ballastkiste fristete die Bark "Gorch Fock" in den letzten Kriegswochen ihr Dasein als Verwaltungsschiff. Zwar weitgehend abgetakelt, aber dennoch fahrbereit. Sie überstand alle Bombenangriffe unbeschadet - bis sie in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai 1945 von einem Sprengkommando westlich der Rügenschen Halbinsel Drigge vor der Hansestadt versenkt wurde. Weil sie nicht den sowjetischen Truppen in die Hände fallen sollte. Vorausgegangen war ein Beschuß durch Panzer der Roten Armee von einer Anhöhe bei Devin, südlich von Stralsund.

Bis Mitte 1947 rostete das Wrack etwa 150 Meter südwestlich von Drigge vor sich hin. Nur das Vorschiff und die drei rund 42 Meter hohen Masten ragten aus dem Wasser. Auf Befehl der sowjetischen Militäradministration wurde in Stralsund eine deutsche Bergungsfirma gegründet. Im Juni gelang nach drei Anläufen das schwierige Unterfangen. "Gorch Fock" schwamm wieder. Im Oktober 1947 konnte sie nach Rostock geschleppt und auf der Neptun-Werft eingedockt werden. Vollständig wiederhergestellt wurde sie bei MTW in Wismar. Am 15. Juni 1951 wurde sie unter sowjetischer Flagge als "Tovarishch" (Genosse) erneut in Dienst gestellt. Mit Heimathafen Cherson am Dnjepr. Fortan büffelten auf ihr Nautik-Studenten der Seefahrtsschule Odessa für das Steuermannspatent. Sie nahm an vielen internationalen Regatten teil.

Nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 fiel "Tovarishch" als Schulschiff in die Zuständigkeit des ukrainischen Bildungsministeriums. An den Törns, die überwiegend in europäische Häfen führten, konnten Windjammer-Fans aus aller Welt teilnehmen. Allein in den Jahren 1992 und 1993 segelten Schiffsfreunde aus 14 Nationen auf der alten "Gorch Fock". Vermittelt und betreut wurden diese Reisen durch den deutschen Verein "Tall-Ship Friends".

Eine der ersten Fahrten unter ukrainischer Flagge aber ging über den großen Teich: Im Rahmen der Columbus-Regatta 1992 segelte die "Tovarishch" mit einer Flotte großer Windjammer nach Amerika. Insgesamt legte die bei Blohm & Voss in Hamburg gebaute und nach dem Pseudonym des niederdeutschen Dichters Johann Kinau benannte Bark seit ihrer Indienststellung am 27. Juni 1933 rund 400.000 Seemeilen zurück - fast 19mal um die Erde. Angelaufen wurden auch ostpreußische Häfen.

1993 lief sie erstmals wieder einen Hafen in Mecklenburg-Vorpommern an - als Gast der Rostocker Hanse-Sail und pünktlich zu ihrem 60. Geburtstag. Sie wurde damals begeistert empfangen.

Am 16. August machte das weiße 82-Meter-Schiff (zwölf Meter breit; 4,80 Meter Tiefgang, 1.797 Quadratmeter Segelfläche, 1.330 Bruttoraumzahl) an der Warnow die Leinen los. Unter Vollzeug rundete die schnelle Bark die Insel Rügen. Ziel sollte Stralsund, der Heimathafen des Schiffes ab 1942 bis zur Selbstversenkung 1945, sein. Der Anker rasselte am 17. August vor Stahlbrode in den Sund. Eine Delegation der Stralsunder Bürgerschaft hieß die Besatzung des Seglers unter Kapitän Oleg Vandenko sowie als Gäste ehemalige "Gorch Fock"-Fahrer willkommen. Am 18. August wurde an Bord der Stralsunder Hafenkapitäns-Barkasse "Strela" über der Versenkungspostion (54 Grad 17 Minuten 28 Sekunden Nord, 13 Grad acht Minuten 22 Sekunden Ost) eine Feier abgehalten zur Erinnerung an den Untergang der "Gorch Fock".

1995 stellten englische Schiffbauingenieure, die den Segler in seinem Heimathafen inspiziert hatten, den ersten Rettungsplan auf. Hier sollte das dritte Leben der "Gorch Fock" (I) ermöglicht werden. Kurz bevor im Mai 1995 die Klassifikation ablief, brachte Kapitän Vandenko das Schiff mit finanzieller Unterstützung von Tall-Ship Friends vom Dnjepr an die Tyne-Mündung bei Newcastle. Mit an Bord hatte er die Zusage über die nötigen Mittel zur Reparatur und die Bestätigung einer englischen Werft, die "Tovarishch" instand zu setzen.

Der Schock im Trockendock folgte auf dem Fuße. Untersuchungen zeigten, daß die zugesagten Mittel bei weitem nicht ausreichen würden. Daraufhin wurden die Arbeiten eingestellt. Der Verein Tall-Ship Friends und seine englische Tochter jedoch unterstützten weiterhin die Restmannschaft. Aber auch die Bevölkerung von Newcastle und Umgebung half mit Sach- und Geldspenden. 1997 wurde der Segler in den Hafen von Middlesborough verlegt. Die britische Aufsichtsbehörde Marine Safety Agency erklärte die "Tovarishch" für nicht seetüchtig und versperrte dem Schiff somit den Rückweg in den Heimathafen.

Die vollständigen Reparaturkosten werden heute auf eine Summe von 15 bis 20 Millionen Euro veranschlagt. So viel würde auch ein Neubau kosten. Ohne die Hilfe vieler Windjammer-Freunde aus aller Welt und ohne viele kleine und manch größere Spenden wäre das Schicksal des historischen Groß- seglers allerdings schon längst endgültig besiegelt gewesen.

Im September 1999 wurde Wilhelmshaven zur nächsten Station der "Tovarishch". Der Verein Tall-Ship Friends hatte es erreicht, daß der Segler mit einer Sondergenehmigung nach Deutschland geschleppt werden konnte. Die Zusage der Stadt, dem Schiff im Rahmen der "Expo 2000 am Meer" für zwei Jahre einen kostenlosen Liegeplatz zur Verfügung zu stellen und Interessenten gegen Gebühr die Besichtigung zu ermöglichen, war ein erster Lichtblick. Unternehmen halfen mit Sach- und Geldspenden, die Deutsche Marine mit Rettungsinseln. Der Freundeskreis um Karl-Heinz Schulze kümmerte sich aufopfernd um die Besatzung.

Das Konzept von Tall-Ship Friends für die Instandsetzung der "Tovarishch" überzeugte letztlich sogar die Regierung der Ukraine, die lange gezögert hatte, die Restaurierung einer Gruppe von deutschen Windjammer-Enthusiasten anzuvertrauen. Aber es fehlt(e) noch eine Menge Geld, um dieses attraktive Denkmal der Seefahrt zu retten - weltweit einer der schönsten und geschichtsträchtigsten Großsegler.

Bei seinem Besuch in Stralsund hat auch der ukrainische Botschafter in Berlin, Dr. Anatoli Ponomarenko, den Liegeplatz am Sund klar favorisiert. Die in Stralsund schon lange gärende Idee, die "Gorch Fock" (I) zurückzuholen, begann sich allmählich zu einem konkreten Projekt zu entwickeln. Die Medien berichteten immer häufiger dar-über. Das Interesse war und ist bundesweit. Bis der Verein Tall-Ship Friends, vertreten durch seinen Ersten Vorsitzenden Wulf Marquard, den Dreimaster im Sep- tember 2003 für 120.000 Euro erwarb. Nach vierjährigem Tauziehen, am 23. September letzten Jahres, war es endlich soweit: "Gorch Fock" wurde per Dockschiff "Condock V" in Wilhelmshaven verladen und Huckepack via Nord-Ostsee-Kanal nach Stralsund in die Volkswerft transportiert - empfangen von einer begeisterten Menschenmenge.

Die Vorteile für die Stadt am Sund, so erkannte Marquard bald, liegen auf der Hand. Auch das öffentliche und touristische Interesse ist groß. Der Standort Stralsund bietet, abgesehen von der historischen Verwurzelung, eine Menge anderer Vorzüge, zum Beispiel passende nautische Verhältnisse, die Nähe zur Volkswerft und zum zukünftigen Ozeaneum, dem größten Meeresaquarium Europas, eine günstige Ausgangslage zum baltischen Raum sowie nicht zuletzt eine dem maritimen Gedanken gegenüber aufgeschlossene Bevölkerung, die sich mit Spenden und Hilfsleistungen aller Art an dem Projekt beteiligt. Azubis und ABM-Kräften aus holz- und metallverarbeitenden Berufen bietet sich ein breites Spektrum von schiffserhaltenden Arbeiten.

Die Liegeplatzkosten (sowie die Kosten für Strom, Wasser, Müll- und Abwasserentsorgung) werden von der Stralsunder Hafen- und Lagerhausgesellschaft (SHL) übernommen. Obendrein entwickelt sich das Schiff nach Werftaufenthalt und (Rück-)Taufe in "Gorch Fock" vor rund 10.000 Zuschauern Ende 2003 durch Rosemarie Schmidt-Walther unter deutscher Flagge zu einem prägnanten Symbol und Glanzlicht für die "Meerstadt Stralsund" - und dies an der Wiege der deutschen Marinen auf dem Dänholm. Mit einem attraktiven Liegeplatz an der historischen Ballastkiste vor der Speicher- und Backsteinkulisse auf der Hafeninsel. Dort lag der Dreimaster auch bis 1945.

Nutzungskonzepte sind in Arbeit. Angedacht sind unter anderem Gastronomie-, Übernachtungs- und Tagungsmöglichkeiten, für die sich schon eine Reihe von Interessenten gemeldet haben, darunter auch Jugendgruppen. Sie möchten nicht nur auf dem "historischen Teil" übernachten, sondern es auch für eine Kurzausbildung nutzen - ohne Angst vor Seekrankheit. Ehemalige Mariner werden sie in Spleißen und Knoten sowie bei Kletterübungen im Rigg unterweisen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Studenten der Stralsunder Fachhochschule erarbeiten touristische und Marketing-Konzepte. Die Marinetechnik-Schule (MTS) der Deutschen Marine hat beispielsweise Takelarbeiten angeboten im Gegenzug zu seemännischen Ausbildungs- abschnitten von Marine-Soldaten an Bord.

Erklärtes Ziel des gemeinnützigen Stralsunder "Fördervereins Gorch Fock I" e. V. ist es, das Schiff langfristig zu erhalten und der Unesco-Welterbe- und Hafen-Stadt zu einem attraktiven maritimen Symbol zu verhelfen. Vielleicht kommt es eines Tages sogar wieder unter Segeln in Fahrt und trägt den Namen der Hansestadt über die Meere.

Nach der (Rück-)Taufe in Stralsund: Unser Autor, der Sprecher des Fördervereins Gorch Fock I, mit der "Gorch Fock" sowie deren (Rück-)Taufpatin und seiner Ehefrau Rosemarie Schmidt-Walther. Foto: Schmidt-Walther