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03.01.04 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Januar 2004

Wahre Macht ... und echte Freunde
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Die Zeit zwischen den Jahren, das sind die Nächte tiefer Nachdenklichkeit und der Suche. Der Fromme sucht seinen Glauben, der Philosoph seine Wahrheit und der Politiker seinen Sündenbock. Es war ja einiges in die Hose gegangen im vorweihnachtlichen Europa. Die Verfassung ist gescheitert, man zankt ums Geld und kann sich kaum noch leiden. Wer hat das angerichtet, fragten sich die verdatterten Gemüter von Polen bis Portugal.

Der überhebliche Spanier war's, einigten sich schnell die meisten Kommentatoren. Das konnten die stolzen Iberer nicht auf sich sitzen lassen und schoben den schwarzen Peter sofort weiter. Die Madrider Wochenzeitung La Estrella (vergleichbar mit der deutschen Zeit, nur dünner) titelte zu Weih-nachten: "Polens Unbeweglichkeit ließ den EU-Verfassungsgipfel scheitern!" Ja, ja, die Polen. "Das hätten wir euch gleich sagen können!" zischte es da durch Berlin, aber nicht laut, nur ganz leise, schließlich ist man ja keine ... nicht war?

Polen ist schuld, das sieht selbst der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk so und schreibt in der Süddeutschen Zeitung: "Unser Premierminister sagte vor der Abreise nach Brüssel: Die Polen sind ein stolzes Volk. Ganz so, als würde er in den Krieg ziehen." Den hat Polen wohl verloren, weshalb sich an der Weichsel ziemlicher Katzenjammer breitmachte und man alles mögliche sein wollte - nur nicht schuld an dem Fiasko.

Also gab Warschau die Losung aus, die Deutschen und Franzosen hätten "ihre Macht ausgespielt" und damit "alte Ängste ausgelöst". Paris ließ das recht kalt. Die Franzosen empfinden es als durchaus angenehm, gefürchtet statt verachtet zu werden. In Berlin ist das umgekehrt, weshalb Außenminister Fischer wie gestochen von seinem Stuhl auffuhr und die endgültige Lösung der Schuldfrage für die Geschichtsbücher kommender Generationen präsentierte: Nicht das innereuropäische Zerwürfnis über den Irak-Krieg hat die Atmosphäre vergiftet, nicht Chiracs Hinweis letzten Sommer an die Polen, sie sollten gefälligst den Schnabel halten, wenn sich Erwachsene über Krieg und Frieden unterhielten, nicht die endlosen Quälereien um Geld und Macht in der EU haben die Beziehungen gefrieren lassen, sondern - der Bund der Vertriebenen! Dieser Bund hat die deutsch-polnische Romanze beeinträchtigt, indem er elfjährige Nazi-Chargen, die 1945 den Befreiern ins Netz gingen und zur gerechten Strafe liquidiert oder deportiert wurden, zu "Opfern" umgelogen hat. Das löste in Polen Ängste um die Alleinopferschaft aus. Von diesen Ängsten um den Verstand gebracht, hat Warschau die Brüsseler Versammlung dann platzen lassen - so die Quint-essenz aus Fischers Analyse des Gipfel-Desasters.

Ist Politik nicht rasend interessant? Mal ehrlich: Wären Sie von selbst auf diese feinen Verästelungen der Weltdiplomatie gekommen, wenn Joschka Fischer hier nicht endlich einmal aus dem Nähkästchen geplaudert und dem ahnungslosen Zuschauer einen Blick darauf erlaubt hätte, wer auf dem weiten Globus wirklich die Fäden zieht? Die Vertriebenen dürften nach Erhalt dieser Nachricht vor Kraft kaum gehen können: Wo Scharen von Außenministern, die Staats- und Regierungschefs von 450 Millionen Europäern samt ihren hochqualifizierten Stäben nur hilflos herumeierten, da machten Schlesier, Ostpreußen, Pommern und Konsorten große Politik und ließen den Euro-Verfassungsgipfel mit links scheitern. Weltmacht Preußen! Diese Zeitung fühlt sich persönlich geehrt.

So gestärkt kann uns das neue Jahr nichts mehr anhaben. Will es aber auch gar nicht, denn 2004 kommt der Durchbruch, heißt es aus Berlin. Nein, nicht der Durchbruch durchs Eis ins kalte Wasser, sondern der zum Aufschwung. Der Aufschwung kommt! Von jetzt an wird es uns allen besser gehen, hat man versprochen. Den einen mehr, den anderen weniger. Wer den Schabernack mit der "privaten Altersvorsorge", die einem die Rente aufbessert, ernst genommen hat, muß für seine Humorlosigkeit natürlich blechen. Direktversicherungen, Pensionskassen, berufsständische Versorgungswerke - der Fiskus hat sein neues Schlaraffenland pünktlich zum Weihnachtsfest entdeckt und auf den bunten Teller geschaufelt, was zu holen war, und zwar sofort. Die sinkenden Krankenkassenbeiträge werden die Rentner hingegen erst in ein paar Monaten erreichen. Klar, hier dauert die Berechnung eben länger. Nachträgliche Rückzahlungen ausgeschlossen. Wie wir sehen: Das Reformgeschwafel muß uns nicht bange machen - am Prinzip hat sich auch im anbrechenden Jahr nichts geändert.

Besonders gut werden diejenigen durch 2004 kommen, die Beziehungen haben - zu Hans Eichel etwa. In Sorge, daß seine liebsten Genossen zuwenig abkriegen vom Aufschwungskuchen, hat er sich kurz vor den Feiertagen die "Bundesanstalt für Immobilienaufgaben" ausgedacht. Die wird laut Bundesrechnungshof zwar mehr Bundesvermögen verschlingen als einbringen, dafür können aber der bisherige Chef der "Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben", Schroeder-Hohenwarth, sein Direktor Pietras und Eichels Abteilungsleiter Kühnau dort gut bezahlte Manager werden - mit "frei verhandelbaren Gehältern" und "öffentlich-rechtlichem Status", wie es aus Berlin heißt. Eine Traumkonstellation. In etwa zwölf Jahren wird die neue Bundesanstalt wohl pleite sein, so der Rechnungshof, und ein Großteil der Bundesliegenschaften wird mit ihr den Bach runtergegangen sein. Eichels drei Getreue können dann längst beruhigt in die Zukunft blicken mit dem alten Schlager "Meine Rente ist sicher!" auf den Lippen.

Die drei haben eben aufs richtige Pferd gesetzt, für echte Freunde hat der Finanzminister immer noch irgendwo ein paar Schatztruhen versteckt. Niedersachsens Ex-Ministerpräsident Sigmar Gabriel hatte weniger Glück und ließ sich ständig auf sinkenden Pötten nieder. Erst verlor er seinen Thron als Landesvater. Wie nun bekannt wurde, ist Gabriel (44) seit kurzem nicht einmal mehr der offizielle "Pop-Beauftragte" der SPD. In Anspielung auf den rachitischen US-Star "Iggy Pop" hatten sie ihn als "Siggy Pop" veräppelt, weinte der "ehemalige Hoffnungsträger" seinem Parteichef ins Kissen und zog beleidigt davon. Vielleicht sollte er Eichel fragen, ob der was Besseres für ihn hat.