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10.01.04 / Polen: Don Quichottes Alliierte / Der "Sieg von Brüssel" und die Folgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Januar 2004

Polen: Don Quichottes Alliierte
Der "Sieg von Brüssel" und die Folgen
von Dietmar Stutzer

Die polnische Bevölkerung ist Anfang 2004 verunsichert wie selten zuvor. Zukunftsängste gehen um angesichts des immer fraglicher werdenden Irak-Engagements sowie der Rolle Warschaus bei der Verhinderung einer EU-Verfassung und der damit einhergehenden Verschlechterung der Beziehungen zu Frankreich und Deutschland.

Der jüngste "Sieg in Brüssel" könnte sich schon bald nach dem EU-Beitritt am 1. Mai als schwere Hypothek erweisen. Errungen wurde er gegen einen Hühnerhaufen diplomatischer Laiendarsteller, von denen die meisten aus Italien, ein paar weniger aus Frankreich und Deutschland stammten.

Ob diese sich gegen den Ansturm der von wirklichen oder vermeintlichen nationalen Interessen geleiteten Polen und Spanier überhaupt ernsthaft verteidigen wollten, wissen sie wohl selbst nicht. Immerhin hat die Unterstützung Warschaus durch Madrid eine tiefere Logik: Don Quichotte war schließlich Spanier, und dessen Landsleute haben es schon immer verstanden, sich von anderen die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen.

Bekanntlich ging es am 13. Dezember vor allem darum, daß Polen und Spanien nicht bereit waren, von dem beim Chaos-Gipfel von Nizza im Dezember 2000 vertraglich vereinbarten Prinzip abzugehen, daß jedes Land für die Abstimmungen im Ministerrat eine Stimmenzahl hat, die an die Bevölkerungsstärke zwar angelehnt, aber nicht proportional aus ihr abgeleitet ist.

Das hat der Republik Polen ebenso wie Spanien bei jeweils rund 40 Millionen Einwohnern eine Stimmenzahl von 27 eingetragen, während den beiden bevölkerungsreichsten Staaten, Deutschland und Frankreich, ganze zwei Stimmen mehr zustehen.

Diese Abstufungen bildeten in der Vergangenheit die Grundlage für den überproportionalen Einfluß der kleineren EU-Länder. Die "Großen" waren häufig genötigt, die Stimmen von "Kleinen" für sich zu gewinnen, wenn sie sich mit ihren Positionen behaupten wollten. Kein anderes Mitglied vermochte auf dieser Klaviatur so virtuos zu spielen wie das Großherzogtum Luxemburg.

Das Versagen der französischen Diplomatie und Bürokratie auf dem 2000er Gipfel von Nizza war mindestens so erschreckend, wie jetzt das der italienischen Kollegen. Überdies sollte mit dem jüngsten Brüsseler Scheitern deutlich geworden sein, daß Joschka Fischer auch im Ausland genauso maßlos überschätzt wird wie einst Gorbatschow in Deutschland.

Er und seine "Meisterdiplomaten" haben erst im nachhinein bemerkt, daß sie das, was sie in Nizza selbst unterschrieben hatten, eigentlich gar nicht wollten. Mit Billigung von Kanzler Schröder erfanden sie daraufhin das Projekt einer "Europäischen Verfassung", um der Korrektur des eigenen Pfusches einen schönen Namen geben zu können.

Es ist verständlich, wenn die Polen und Spanier keinesfalls geneigt sind, diese völlig versalzene Suppe mit auszulöffeln. Trotzdem ist zu fragen, was dies speziell den Polen einbringen wird - außer dem miserablen Ruf, ihre EU-Mitgliedschaft mit der Torheit eines Vetos begonnen zu haben.

Schließlich wäre die neue Stimmengewichtung ohnehin erst 2009, faktisch sogar frühestens 2010 zum Tragen gekommen. Doch selbst wenn dem nicht so wäre: die Stimmenrechnerei bringt ohnehin wenig. War es doch in der Vergangenheit für Kenner des Brüsseler Geschehens stets relativ leicht, im voraus zu orakeln, wie ein Ministerrat ausgehen würde. Das meiste wurde und wird nämlich vorher ausgekungelt, und die Abstimmungen im Rat haben nur noch akklamatorischen Charakter.

Spätestens am Schicksal des "Stabilitätspaktes" sollte der polnischen Führung eigentlich klar geworden sein, daß sich die großen EU-Mitglieder im Ernstfall keinen Deut um europäische Verträge und europäisches Recht scheren und mit Hilfe der Kommission das gesamte Vertragswerk solange weich klopfen, bis es ihnen paßt.

Was in Polen jetzt wirklich not tut, ist die Schaffung von Strukturen, mit denen die ab diesem Jahr in weit höherem Maße als bisher fließenden EU-Gelder auf die richtigen Wege geleitet werden können.

Doch bis dato hat Warschau nicht einmal die dafür nötige "Finanzierungsagentur" zustandegebracht. Das Volk - namentlich die Bauern - wird es den (noch) regierenden Postkommunisten mit Sicherheit heimzahlen,wenn es das viele Geld nicht bekommt, das ihm versprochen wurde.

Wie unendlich weit man in Polen von einem Verständnis der Brüsseler Psychologie und der EU-Mechanismen entfernt ist, machte nichts so deutlich wie die am 13. Dezember bewiesene Naivität der Warschauer Diplomaten. Mit einer fast heilig zu nennenden Einfalt haben sie sich zu Instrumenten der Spanier einerseits und des Kommissionspräsidenten Prodi andererseits machen lassen.

Letzterem war daran gelegen, seinen Erzfeind Berlusconi als Dillettanten bloßgestellt zu sehen, der mit dem diplomatischen Feingefühl eines Tunnelbohrers zu Werke geht (es gibt nicht viele Vorhaben Prodis, denen ein derart großer Erfolg beschieden war).

Längst vergangen ist die Zeit, als die königliche Kanzlei auf dem Krakauer Wawel mit 15 Völkern in zwölf Sprachen verkehrte und die polnische Diplomatie der Jagiellonen als eine der geschicktesten in Europa galt, die nicht selten sogar der venetianischen und genuesischen gewachsen war.

Das geduldige und geschmeidige Verhandeln und pragmatische Austarieren von Gegensätzen der jagiellonischen Diplomatie war ihr "europäisches Markenzeichen", das sich auch auf die Sprache ausgewirkt hat. Die oft fatale Vieldeutigkeit und der Wortreichtum des Polnischen haben darin einen ihrer Ursprünge.

Ein europäisches Unglück ist das jüngste Desaster von Brüssel nicht. Die wahrscheinlich folgenschwerere Krise findet sich anderswo: Das offizielle Polen hat unbedacht einen Keil zwischen sich und andere ostmitteleuropäische EU-Beitrittsländer getrieben. Der tschechische und ungarische Unmut ist nicht zu überhören, der slowenische und der litauische spürbar.

Und das ist erst der Anfang. Die erweiterte Europäische Union wird es noch zu spüren bekommen, daß die Fremdheitsgefühle zwischen den westslawischen Völkern sowie die baltischen Eigenwilligkeiten nur ein paar schreckliche Jahrzehnte hindurch zugedeckt waren, sich jedoch während der sowjetrussischen Zwangsherrschaft keineswegs aufgelöst haben.

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