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10.01.04 / Beginn eines Religionsstreits / Frankreich greift in der Kopftuchdebatte entschlossen durch

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Januar 2004

Beginn eines Religionsstreits
Frankreich greift in der Kopftuchdebatte entschlossen durch

Das Kopftuch treibt nicht nur die Deutschen um. Auch unsere französischen Nachbarn verfolgen sogar die letzten Entwick-lungen der Irak-Krise oder die Debatte über eine etwaige europäische Verfassung mit nicht soviel Anspannung wie den Streit über religiöse Symbole an öffentlichen Schulen und Krankenhäusern. Frankreich versteht sich traditionell als streng weltlicher, als "laizistischer" Staat, weshalb Glaubenszeichen in staatlichen Einrichtungen tabu sind. Obwohl die christlichen Kirchen davon auch betroffen sind, geht das Augenmerk vor allem auf das Problem des islamischen Kopftuchs, das nach Angaben des französischen Innenministers Nicolas Sakozy von mindestens 1.300 Mädchen getragen wird. Die für gewöhnlich gut informierte Tageszeitung Le Monde schätzt gar, es könnte sich um das Vierfache handeln.

Staatschef Jacques Chirac hatte eine dreißigköpfige Expertenkommission unter der Leitung des liberalen Politikers Bernard Stasi, eines ausgesprochenen Befürworters der Zuwanderung, ernannt und kündigte am 17. Dezember im Prachtsalon des Elyseepalasts vor 400 geladenen Gästen an, durch ein Gesetz das Abweichen von den laizistischen Regeln der Republik zu unterbinden. Soweit es ihm bekannt sei, gebe es zwischen drei und sechs Millionen Muslime in Frankreich, darunter ein Fünftel praktizierende.

Abgesehen von den Grünen und von kritischen Stimmen in der linksgerichteten Presse haben sämtliche Parteien, von Chiracs Anhängern bis zu den Kommunisten, die Entscheidung des Staatschefs begrüßt, den Empfehlungen von Bernard Stasis Kommission zu folgen. Erziehungsminister Luc Ferry kündigte kurz danach an, ein kurzes Gesetz (von zwei oder drei Artikeln ist die Rede) werde kommenden Monat dem Parlament vorgelegt werden, damit beim neuen Schulunterrichtsbeginn im Herbst alles klar sei. Sarkozy, der als der starke Mann der Regierung unter Ministerpräsident Raffarin gilt, hielt ein solches Gesetzes zunächst für überflüssig. Wenn es denn aber kommen solle, so der Minister, dann müsse es schlicht und einfach die Rechtsprechung des höchsten französischen Verwaltungsgerichts übernehmen - das Gericht hatte das Tragen des Kopftuchs in öffentlichen Schulen stets verurteilt.

Die Kommission Bernard Stasis und Chirac sprachen vom Verbot auffallender ("ostensible") religiöser Zeichen. Auffällige christliche Kreuze und jüdische Kippas sollen dadurch ebenso wie islamische Kopftücher in den Schulen untersagt werden. Parallel zu jener Expertenkommission hatte auch eine alle Parteien übergreifende Parlamentariergruppe unter dem Vorsitz des Präsidenten des französischen Parlaments, der Nationalversammlung, Jean-Louis Debré getagt, die ebenfalls die Schaffung eines entsprechenden Gesetzes empfahl. Merkwürdigerweise scheuten sich ausgerechnet die Sozialisten, die strenge Regelung auch auf private Schulen, besonders die katholischen, auszudehnen. Offenbar fürchteten sie, der alte Streit über öffentliche und private Schulen könnte neu aufflammen, der zur Zeit der Dritten Republik (1870- 1940) einen stetigen Zankapfel im französischen politischen Leben darstellte und seit 1958 etwas abgeflaut ist.

Entgegen den Empfehlungen der "Stasi-Kommission" werden politische Zeichen in den öffentlichen Schulen weiter zugelassen. Zudem wollte Bernard Stasi, daß die jüdische Feier Kippur und die muslimische Aid-el-Kebir an den Schulen gesetzliche Feiertage werden. Nach Konsultationen mit seinem Regierungschef hat das französische Staatsoberhaupt eine solche Maßnahme aber nicht akzeptiert und sich eher nach den Ergebnissen von Meinungsumfragen gerichtet, die solchen Vorhaben eine Absage erteilt hatten.

Es ist derzeit schwierig, die Reaktionen der muslimischen Gemeinschaft in Frankreich gegenüber der neuen laizistischen Offensive des französischen Staates vorauszusagen. Der Vorsitzende des neu gegründeten Rats der Moslems in Frankreich, Dahil Boubakeur, ruft seine Glaubensgenossen zur Vernunft auf, während andere muslimische Kreise den Artikel 18 der Internationalen Menschenrechtskonvention in Anspruch nehmen wollen, welcher jedem Menschen die religiöse Freiheit gewährleistet. Es hat den Anschein, daß die Debatte zwischen dem Staat und den französischen Mohammedanern erst an ihrem Anfang steht, denn dahingestellt bleibt, wie nachdrücklich die Schuldirektoren, wenn das neue "Laizitätsgesetz" rechtskräftig sein wird, die neuen Maßgaben anwenden werden. P. C. / H. H.