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10.01.04 / Globalisierung - ein Irrweg?

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Januar 2004

Globalisierung - ein Irrweg?
Was widernatürlich ist, schädigt auch die Wirtschaft
von R. G. Kerschhofer

Es gibt die kleine Globalisierung der Europäer, die noch nicht wissen, wo Europa endet. Es gibt die größere der Großen Sieben, die sich jetzt die Großen Acht nennen. Und es gibt die ganz große, die weltweite Globalisierung der übernationalen Behörden, Agenturen und Abkommen. Quer hindurch wuchern die "Nicht-Regierungs-Organisationen" ("NGOs"), die durch nichts legitimiert sind - und deren Hintermänner im Dunkeln bleiben.

Sichtbarster Ausdruck der Globalisierung sind jene "Events", die sich mehrmals im Jahr abspielen: Drinnen wird konferiert und draußen demonstriert, wobei trotz aller Unterschiede in Thema, Personenkreis, Örtlichkeit und Heftigkeit der Ausschreitungen die Regie stets dieselbe zu sein scheint. Die Inszenierungen täuschen allerdings über mancherlei hinweg: etwa, daß die wirklichen Entscheidungen in diskreteren Zirkeln fallen. Oder daß Globalisierer und lautstarke Globalisierungsgegner einander wundersam ergänzen. Vor allem aber, daß die allermeisten Menschen stille Globalisierungsgegner sind, nur - warum?

"Ängste" und "Vorurteile"

Regungen der schweigenden Mehrheit werden vorzugsweise als - angeblich unbegründete - "Ängste" niedergemacht. Aber was sind eigentlich "Ängste"? Niedere Lebewesen haben keine Angst, denn sie funktionieren auf Grund von Reflexen. Es sind dies vorgefertigte Entscheidungen - angeborene Vorurteile, die das Überleben sichern. Natürlich nicht in jeder Situation, doch oft genug, daß die Art nicht ausstirbt. Die Tatsache des Überlebens ist kein Beweis für eine "Überlebensstrategie", sondern besagt nur, daß bestimmte Vorurteile zum Überleben in einer bestimmten Umgebung - und vielleicht nur in dieser - ausreichten.

Höhere Lebewesen, die für Entscheidungen das Großhirn nutzen können, vermögen auch unvorhersehbare Probleme zu lösen. Aber um den Preis des Zweifels, der Angst. Denn in kritischen Situationen ist nicht genug Zeit, alle Möglichkeiten durchzudenken, und je leistungsfähiger das Gehirn ist, umso schmerzlicher wird diese Schwäche bewußt! Der emotionale "Rückfall" auf angeborene oder durch Erziehung und Erfahrung erworbene Vorurteile bleibt überlebenswichtig. Dieser natürliche Vorgang ist - weil wenigstens teilweise bewußt - tatsächlich eine Überlebensstrategie, die daher auch nicht verwerflich sein kann.

Wesentliche Erkenntnisse über den Wert von "Emotion" bei der Problemlösung kommen just aus der Forschung über künstliche Intelligenz: Denn bei komplexen Systemen können selbst die größten Rechner nicht alle Möglichkeiten in vernünftiger Zeit durchspielen. Die Programme suchen daher "Abkürzungen". Sie imitieren das Lernen, das Herausbilden von Verhaltensmustern - oder anders gesagt, von Vorurteilen. Es entspricht dies der Wechselwirkung zwischen Hirntätigkeit und körpereigenen Botenstoffen. Alle das Überleben sichernden Verhaltensweisen basieren auf dieser Wechselwirkung. Ohne sie muß sich das Hirn verrennen - und Realitätsverlust kann tödlich sein.

Nur wer den Luxus von Mußestunden genießt und sich nicht unmittelbar bedroht fühlt, kann "alternative" Strategien austüfteln. Aber anderen, die diese Privilegien nicht haben, moralische Unterlegenheit vorzuwerfen, ist allzu durchsichtig: Denn wer bei anderen ständig "Vorurteile abbauen" will, tut dies nur, weil sie den eigenen, eigennützigen Zielen im Wege stehen! Man will anderen die Überlebensstrategie rauben!

Einem Lieblingsargument der Globalisierer zufolge sei Information - "Aufklärung" - das beste Mittel gegen Ängste. Damit aber Information als Entscheidungshilfe dienen kann, damit sie sicher macht, muß sie sich zur erlebten Wirklichkeit in Beziehung setzen lassen. Eine "Informationskampagne" liefert nur vorgefertigte Erklärungen. Sie ist Manipulation! Der weitverbreitete Frust über EU und Euro ist bester Beweis für Mißbräuche bei Beitrittsverhandlungen und Abstimmungen. Die Manipulatoren waren so erfolgreich, weil sie auf das zugkräftigste Angst-Argument setzten, auf die Angst vorm "Draußenbleiben". Nun, wieviel man drinnen mitreden kann, haben manche Länder schon erfahren.

Überflutung mit Daten bewirkt das Gegenteil von Sicherheit, denn sie verstärkt das Bewußtwerden der eigenen Grenzen. Entscheidungsträger retten sich aus dem Wust von Daten, indem sie, statt den Hausverstand zu gebrauchen, eine Heerschar von Experten besolden und sich so zugleich um die Verantwortung drücken. Man unterschätzt dabei aber erstens, daß auch Experten nur mit Wasser kochen. Und zweitens, daß es zwischen Experten und Auftraggebern zur Rückkopplung kommt - und damit zum Realitätsverlust. Wahrsager sind vielleicht deshalb wieder so gut im Rennen, weil sie ihre Menschenkenntnis einsetzen - zum eigenen Vorteil. Genau wie die Experten.

Sicherheit durch die Solidargemeinschaft

Der "Fortschritt", das Anhäufen von Wissen in den wenigen Jahrtausenden bewußter Menschheitsgeschichte, läßt vergessen, daß es parallel dazu keine genetische Weiter- entwicklung gab. Der heutige Mensch ist wie seine Vorfahren und die nächsten tierischen Verwandten ein Sippenwesen. Emotion und Erkenntnisfähigkeit sind auf das Zusammenleben in einer überschaubaren Gruppe ausgerichtet, in der eine zwar nicht unumstößliche, doch weitgehend sta- bile Rangordnung herrscht. Partnerwahl außerhalb der eigenen Sippe ist dazu kein Widerspruch, denn wer sich angliedert oder angegliedert wird, hat sich auch einzugliedern.

Die Gruppe, in der jeder jeden (gut) kennt, bietet das Optimum an erlebbarer Sicherheit. Größere Gruppierungen - Stämme, Völker - können nur funktionieren, wenn Zugehörigkeit und Abgrenzung weiterhin sinnlich wahrnehmbar bleiben. Persönliche Beziehungen müssen durch gemeinsame Symbole ergänzt und ersetzt werden - äußeres Erscheinungsbild, Sprache, Gebräuche, den Herrscher und letztlich die Gottheit. Kultus und Kultur - ständige "Pflege", wie die gemeinsame Wortwurzel ausdrückt - werden Grundlagen für Identität und Loyalität, für äußere Stabilität und erlebte Sicherheit, kurz: für Minimierung der Ängste.

Die "Flexibilität" der Globalisierer hingegen manifestiert sich als Verflachung und Auflösung von Beziehungen - zu Familie, Freunden, Volk, Heimat, Staat, Beruf, Partei, Weltanschauung, Religion. Natürliche und kulturelle Bindungen schwinden rascher, als Ersatzlösungen greifbar werden - wenn es sie überhaupt gibt!

Der Mensch aber braucht Fixpunkte. Problematisch ist nicht, daß sich laufend etwas ändert. Entscheidend ist, wieviel sich ändert und mit welcher Geschwindigkeit. Änderungen müssen verkraftbar sein, soll es nicht zu "Ängsten", zum Trauma von Haltlosigkeit und Absturz, kommen. "Aufklärung" bringt da gar nichts, denn gerade beim aufgeklärten abendländischen Menschen ist die erlebte Unsicherheit am größten.

Nützt Globalisierung der Wirtschaft?

Allgemein wird "die Wirtschaft" als treibende Kraft hinter der Globalisierung gesehen. Ob dies wirklich zutrifft, sei dahingestellt, denn man läuft nur allzuleicht Gefahr, als Verschwörungstheoretiker hingestellt zu werden. Fest steht jedenfalls, daß Wirtschaften ein überaus wichtiger Teilbereich unseres Daseins ist. Fest steht aber auch, daß es bei der Globalisierung Verlierer und Gewinner gibt. Werden die Verluste an Vermögen und Lebensqualität durch die Gewinne aufgewogen?

Die Globalisierer und ihre öko- romantischen bis ultralinken "Gegner" haben vieles gemeinsam: Beide sind Internationalisten, und gerade deswegen geht ihnen eine ganzheitliche Sicht der Dinge ab. Sie haben jeweils nur Teilbereiche im Auge - ob Gewinne, Börsenkurse oder Sozialprodukt, ob eine illusorische "Gleichheit", ein mißverstandener Artenschutz, die ominöse CO2-Reduktion oder anderes mehr. Mit dem oft geradezu sektiererischen Vorantreiben von Einzelzielen vergrößern sie nur die Reibungsverluste im System, in Summe werden wir ärmer.

Der Wirtschaftsteilnehmer als Konsument freut sich zwar, wenn Waren durch Rationalisierung oder Aufhebung von Handelsschranken billiger werden. Als Arbeitnehmer oder Unternehmer freut er sich weniger, wenn er den Arbeitsplatz verliert oder in Konkurs geht. Mit jedem Konkurs und jeder feindlichen Übernahme werden Vermögenswerte vernichtet und - was viel schwerer wiegt - die Lebensarbeit von Menschen zerstört, die hilflos zusehen müssen. Die sozialen Kosten haben dann andere Arbeitnehmer und Betriebe, Sparer und Rentner zu übernehmen. Auch hier wieder gilt, nicht Konkurse an sich (quasi als "genetische Auslese") sind das Problem, entscheidend sind Häufigkeit und Gesamtschäden.

Wie frei ist der freie Markt?

Der Markt ist ein segensreicher Mechanismus: Er führt zur optimalen Kanalisierung von Ressourcen und zu Preisen, welche von den meisten als gerecht erlebt werden. So ideal funktioniert er aber nur, wenn einer Vielzahl von Anbietern eine Vielzahl von Nachfragern gegenübersteht. Bereits in der Antike mußten daher Staatenlenker erkennen, daß ein Mindestmaß an Vorschriften im Interesse der Gesellschaft liegt. Aber eben nur ein Mindestmaß.

Die Konzentration des Kapitals - von Marx und den Seinen richtig diagnostiziert, doch falsch therapiert - wird durch die Globalisierung dramatisch beschleunigt. Im Gegenzug kommt es zu einem Wildwuchs an Vorschriften, die allerdings meist nur von den Großen ausgenützt werden können. Man schädigt vorsätzlich die eigene Volkswirtschaft, also die Gesamtheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Produzenten und Konsumenten, wenn man nationale Kompetenzen an übernationale Gremien abtritt. Denn solche Gremien haben ein parasitäres, ja lähmendes Eigenleben, und die Großen scheren sich ohnehin nicht um Regeln. Siehe Stabilitätspakt. Außerdem: Je weiter weg vom Wirtschaftstreibenden die Regeln ausgeheckt werden, umso eher werden sie auch umgangen.

Der scheinheilige Abbau von Subventionen

Die Globalisierer verlangen den Abbau von Subventionen, weil diese den Wettbewerb verzerren. Gut, denn tatsächlich sind Subventionen Vermögensvernichtung und sollten nur vorkommen, wo sie noch größere Vermögensvernichtung verhindern. In der Praxis aber gehen die "höheren Instanzen" mit Wettbewerbsverzerrungen sehr einseitig um, was wieder nur eine Umverteilung von den Kleinen zu den Großen bringt.

Größter Subventionempfänger überhaupt ist - die amerikanische Wirtschaft: Direkt wegen der Rüstungsausgaben und mehr noch indirekt wegen der durch den US-Militärapparat sichergestellten Konditionen, die beispiellose Wettbewerbsvorteile bescheren, allen voran durch billige Energieversorgung. Andere hingegen schädigen die eigene Wettbewerbsfähigkeit durch Subventionierung "alternativer Energien" und durch den CO2-Ablaßhandel, an dem sich just die größten CO2-Sünder unterproportional bis gar nicht beteiligen!

In den Themenkreis Subventionsabbau fällt auch die "Privatisierung". Es ist ein Irrglaube, daß es nur an den Eigentumsverhältnissen liege, wenn ein Unternehmen zum Milliardengrab wird. Es liegt vielmehr daran, daß Personen, die nicht die Eigentümer sind, sich und den Ihrigen ungerechtfertigte Vorteile zuschanzen können. Und das betrifft keineswegs nur Gewerkschafter und Parteibonzen, es betrifft auch Vorstände und Aufsichtsräte: Selbst in privatesten Groß- konzernen gibt es maßlos überhöhte Bezüge, Günstlingswirtschaft, "Insider"-Geschäfte, Bilanzbetrug - und Milliardenpleiten.

Es rächt sich, daß eine Grundsatzdiskussion verabsäumt wurde: Was ist Privatisierung, was muß privatisiert werden und was darf nicht privatisiert werden? Nationale In-teressen können da und dort eine Kommerzialisierung ausschließen. Ohne ein klares Grundsatzprogramm aber verhilft man nur den linken Agitatoren zu billigen Argumenten - und den Finanz-Oligarchen zu leichter Beute.

Die "Eine Welt" der Globalisierer raubt dem Menschen alle Fixpunkte, die er zu "artgerechter Haltung" benötigt. Sie ist widernatürlich! Um dem Menschen "die Menschheit" als eine einzige Solidargemeinschaft einbleuen zu können, wäre eine totalitäre Diktatur nötig, die alles bisher Dagewesene weit in den Schatten stellt. Sind wir auf dem Wege dazu?

Aber schon allein in wirtschaftlicher Hinsicht ist Globalisierung ein Irrweg: Denn Grenzenlosigkeit bringt grenzenlose Unsicherheit, und deren Folgekosten fressen die angeblichen Vorteile wieder auf! Auch Abschottung - verbunden mit Stillstand und Degeneration - wäre ein Irrweg. Einzig sinvoll ist der Mittelweg in Form des Nationalstaats, der sich wie jeder lebende Organismus durch eine "Haut" vom Rest der Welt abgrenzt, um in souveräner Entscheidung seinen Stoffwechsel zu regeln.

Eine Welt, ein Markt, ein Mausklick: Wer nicht mithalten kann oder will, der wird "gelöscht" Foto: pa