29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
24.01.04 / Gab es einen legalen Grundgesetzbruch? / Fragen zur nicht erfolgten Rückgabe des zwischen 1945 und 1949 in der SBZ konfiszierten Eigentums (Teil II)

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Januar 2004

Gab es einen legalen Grundgesetzbruch?
Fragen zur nicht erfolgten Rückgabe des zwischen 1945 und 1949 in der SBZ konfiszierten Eigentums (Teil II)
von Heiko Peters 

Ernsthaft wird heute von keinem Historiker mehr behauptet, daß es russische oder DDR-Vorbedingungen für die Wieder- vereinigung gegeben habe, denen zufolge die Bundesregierung sich seinerzeit in irgendeiner Zwangslage befunden hätte. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Regierung Kohl nach einer pflichtgemäßen Einschätzung der seinerzeitigen Lage zu dem Schluß gekommen war, nicht anders handeln zu können. Auch hier helfen historische Tatsachen: Kohl hatte, wie oben dargelegt, am 11. Februar 1990 auf dem Flughafen Köln-Wahn berichtet, es gebe für die deutsche Wiedervereinigung seitens der Russen keinerlei Bedingungen. Von den Russen wurde kurz darauf selbst die Nato-Zugehörigkeit des gesamten deutschen Staates nicht mehr als inakzeptabel bezeichnet, sondern es wurde Deutschland die volle Souveränität über seine gesamten inneren und äußeren Angelegenheiten eingeräumt. Entsprechend hat Gorbatschow auf der berühmten Versammlung am 1. März 1998 im Berliner CCH vor 2.500 Zuschauern ausgeführt: "Es ist absurd, mir oder der russischen Regierung zu unterstellen, daß wir jemals eine solche Bedingung für die deutsche Wiedervereinigung gestellt hätten. Sämtliche Dokumente liegen vor, es gibt und gab keine Geheimabsprachen, und über diese Thematik wurde weder mit mir noch auf einer anderen Ebene jemals verhandelt." Anders sah die Lage bei der DDR-Führung aus: Nach dem erzwungenen Abtritt des Altkommunisten Modrow war Lothar de Maiziere zum ersten Mann der DDR geworden. De Maiziere war in der kommunistischen Zeit der Ersten Vorsitzende der Ost-CDU gewesen, einer Alibi-Partei, die die Kommunisten sich gehalten hatten, um den scheindemokratischen Anspruch der "Demo- kratischen Republik" zu unterstreichen. De Maiziere war im Februar 1990 gemeinsam mit Modrow bei Gorbatschow gewesen, um die euphemistisch so genannten "sozialistischen Errungenschaften" über die Wende zu retten. Gorbatschow hatte sich zu diesen Forderungen nicht geäußert, was im diplomatischen Verkehr gleichbedeutend mit einer Absage ist. Eine entsprechende Tass-Erklärung vom März 1990 wurde später von der Regierung Kohl nur zu einem kleinen Teil und sinnentstellend an die Öffentlichkeit gegeben. Es gelang später, die gesamte Tass-Erklärung zu erhalten, und wenn man sie im Kontext liest, wird sehr schnell klar, daß die russische Regierung auf die Wünsche von Modrow und de Maiziere nicht eingegangen war. 

Aber Ende Februar 1990 tagte im Bundeskanzleramt eine selbsternannte Expertengruppe unter Leitung von Bohl und Schäuble, um einige Eckdaten zur Wiedervereinigung festzuklopfen. Im Spiegel Nr. 11/1990 ist dies wie folgt wiedergegeben: "Die Experten einigten sich auf einige Eckpunkte zur Wiedervereinigung, unter anderem darüber, daß Industrie- und Immobilien-Enteignungen zur Zeit der Jahre 1945/49 nicht rückgängig gemacht werden sollten und auch entsprechende Entschädigungen dafür nicht gezahlt werden sollten." Der seinerzeitige Finanzminister Theo Waigel, der diese Position unterstützte, gab infolgedessen in seiner Rede am 17. Mai 1990 vor dem Bundestag bekannt: "Die Kosten der Wiedervereinigung finanzieren wir aus den Erlösen des Verkaufs des sogenannten Volkseigentums." Das, was hier von den Vertretern der Regierung Kohl vorbereitet wurde, widersprach eklatant gleich mehrfach dem Grundgesetz: Artikel 1, Artikel 3, Artikel 14, Artikel 19 und Artikel 25 standen diesem Vorhaben im Wege. Dennoch versuchte die Regierung Kohl, das Vorhaben durchzusetzen. Wie im Folgenden dargelegt wird, handelte sie dabei grob pflichtwidrig. Gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes binden die in den nachfolgenden Artikeln aufgeführten "Grundrechte ... Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht". Eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die im Artikel 1 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist gemäß Grundgesetzartikel 79 unzulässig. Insofern erlaube ich mir die Frage, wie es möglich ist, daß der Artikel 143/3 dem Grundgesetz zugefügt wird, obwohl dieser gegen die Artikel 1, 3, 14, 19 und 25 verstößt. 

Wenn zur Begründung dafür angeführt wird, daß die deutsche Wiedervereinigung, die in der Präambel des Grundgesetzes verankert war, das höherrangige Ziel gewesen sei, das es zu erreichen gegolten habe, und deshalb eine Grundgesetzänderung zulässig gewesen sei, so muß untersucht werden, ob dieses denn so ist. Tatsächlich gab die Präambel des Grundgesetzes der Bundesregierung das Ziel vor, Deutschland wiederzuvereinigen. Durfte aber eine solche Wiedervereinigung auf Tatsachen beruhen, die das Grundgesetz aushebelten? Anders gefragt: War eine Wiedervereinigung nur auf dem Boden des Grundgesetzes in der bestehenden Form zulässig, oder durfte die Bundesregierung die Normen des Grundgesetzes verletzen? Adenauer hatte Anfang der 50er Jahre die Möglichkeit, aufgrund der Stalin-Note die deutsche Wiedervereinigung unter Bedingungen zu erhalten, die unter Umständen zu einem gesamtsozialistischen Deutschland geführt hätten. Zumindest war Vorbedingung der Russen seinerzeit die deutsche Neutralität. Adenauer lehnte korrekterweise die seinerzeitige Wiedervereinigung ab, da diese nicht auf dem Boden des Grundgesetzes hätte stattfinden können. 

Er war der Meinung, daß das Grundgesetz für eine Wiedervereinigung nicht nur die räumliche Ausdehnung und die Anzahl seiner Bewohner vorgab, sondern eben auch die rechtliche Grundlage. Und diese durfte laut Grundgesetz nirgendwo anders stehen, als unverrückbar auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Hatte sich diese Grundlage in der Zeit zwischen 1952 und 1989 geändert, und wenn, wodurch? Es ist heute Allgemeingut historischer Kenntnis, daß, wie oben dargelegt, es eine Conditio sine qua non weder seitens der UdSSR noch der DDR gegeben hat. Also wird heute als Begründung für die Beibehaltung des Restitutionsausschlusses auf die gemeinsame Erklärung vom 15. Juni 1990 hingewiesen. 

Dabei ergeben sich folgende Fragen: Was ist eine gemeinsame Erklärung? Ist sie eine Beschreibung eines anzustrebenden Ziels, etwa im Sinne einer Arbeitsanweisung, oder ist sie ein feststehendes Gesetz? Dabei muß bedacht werden, daß vier Wochen vorher, nämlich am 18. Mai 1990, die Vereinbarung über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR beschlossen, unterzeichnet und ratifiziert wurde. In dieser Vereinbarung sind unter anderem festgeschrieben die Grundsätze von Treu und Glauben sowie der Schutz privaten Eigentums. Kann dann vier Wochen später durch eine Arbeitsanweisung diese Vereinbarung zum Teil wieder außer Kraft gesetzt werden? Hinzu kommt, daß erstaunlicherweise die gemeinsame Erklärung vom 15. Juni 1990 keine Unterschrift trägt, weder seitens der DDR noch seitens der Bundesrepublik Deutschland. Und zusätzlich muß bedacht werden, daß diese Erklärung zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung in wesentlichen Teilen gegen die Verfassung der DDR wie auch gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verstieß. Bitte bedenken Sie, daß zu diesem Zeitpunkt das Grundgesetz noch nicht um den Artikel 143/3 erweitert worden war. Ob eine Erweiterung überhaupt zulässig ist wurde ja bereits in Frage gestellt. 

Wenn es sich aber nur um eine Absichtserklärung handelt, die dazu noch im Widerspruch zu einer wenige Wochen vorher verabschiedeten Verordnung steht, so vermag ich die Legitimation daraus resultierenden Handelns nicht zu erkennen. Nach meiner Kenntnis wurde die gemeinsame Erklärung erst mit der Abstimmung im deutschen Bundestag am 30. September 1990 mit gesetzlicher Kraft versehen. Fortsetzung folgt 

Grundgesetzartikel 143/3 - "Unabhängig von Absatz 1 und 2 haben Artikel 41 des Einigungsvertrags und Regelungen zu seiner Durchführung auch insoweit Bestand, als sie vorsehen, daß Eingriffe in das Eigentum auf dem in Artikel 3 dieses Vertrages genannten Gebiet nicht mehr rückgängig gemacht werden." 

Erst Einheit auf wirtschaftlicher Ebene: Am 18. Mai 1990 wurde in Bonn der Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR unterzeichnet. DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere (hinten links) und Bundeskanzler Helmut Kohl (hinten Mitte) während der Vertragsunterzeichnung durch den DDR-Finanzminister Walter Romberg (sitzend links) und Bundesfinanzminister Theo Waigel (sitzend rechts). Foto: pa