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31.01.04 / Beifall von allen Seiten des Hauses... / Was der als "Antisemit" verunglimpfte Abgeordnete Hohmann zum deutsch-jüdischen Staatsvertrag zu sagen hatte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Januar 2004

Beifall von allen Seiten des Hauses...
Was der als "Antisemit" verunglimpfte Abgeordnete Hohmann zum deutsch-jüdischen Staatsvertrag zu sagen hatte

Als die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel Mitte November letzten Jahres beschloß, den Abgeordneten Martin Hohmann aus Fulda wegen seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit nicht nur zu rügen, sondern auch aus der Unionsfraktion ausschließen zu lassen, wollten auf einmal zahlreiche Abgeordnete der anderen Fraktionen "immer schon" gewußt haben, daß dieser CDU-Mann - übrigens Wahlkreisnachfolger des "Stahlhelmers" Alfred Dregger - ein übler notorischer Antisemit sei; seit Jahren wollten sie vor diesem "Rechtsradikalen" gewarnt haben. Vier Monate zuvor freilich scheint die parlamentarischen Saubermänner kollektiver Gedächtnisschwund ereilt zu haben: Am 6. Juni 2003 nämlich hielt der "seit Jahren auffällige Antisemit" Hohmann im Bundestag eine Rede - ausgerechnet zum Abschluß des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Merkwürdig: Nicht nur Merkels Christdemokraten und Stoibers Christlich-Soziale, auch Schröders Sozialdemokraten, Westerwelles Liberale und sogar Fischers Grüne klatschten Beifall. Hier der Text aus dem Bundestags-Protokoll.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Alle Redner haben so gesprochen, daß ich nur sagen kann: Ich kann alles bekräftigen und unterstützen. Besonders möchte ich mich natürlich auf Wolfgang Bosbach, unseren stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, beziehen. Ich möchte das nicht wiederholen, aber ich bekräftige: Juden gehörten seit Jahrhunderten zu uns. Unser aller Wunsch ist: So soll es wieder werden.

Ich darf etwas, was noch keiner gesagt hat - als Letzter hat man es ein wenig schwer, etwas bisher Ungesagtes zu bringen -, hinzufügen: Wir haben bei der Zuwanderung nach Deutschland jetzt sogar die Situation, daß erstmals mehr Juden nach Deutschland gekommen sind als nach Israel. Das wird vielleicht noch manchem Kopfzerbrechen bereiten. Aber es ist ein sehr positives, gutes Zeichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die ersten Architekten und Baumeister am Haus der deutsch-jüdischen und der deutsch-israelischen Beziehungen waren David Ben-Gurion und Konrad Adenauer. Konrad Adenauer formulierte die noch heute gültige Basis, auf der auch der zur Abstimmung stehende Staatsvertrag letztendlich beruht. Ich zitiere: "Wer unsere besondere Verpflichtung gegenüber den Juden und dem Staat Israel verleugnen will, ist historisch und moralisch, aber auch politisch blind. Der weiß nichts von der jahrhundertelangen deutsch-jüdischen Geschichte und nichts von den reichen Beiträgen, die von Juden zur deutschen Kultur und Wissenschaft geleistet worden sind. Er begreift nicht die Schwere der Verbrechen des nationalsozialistischen Massenmordes an den Juden." So weit Konrad Adenauer.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Glaube keiner, über dem deutsch-israelischen Verhältnis habe damals so etwas wie der Zauber des Anfangs gelegen. Nein, zwischen den ersten Geheimkontakten im Jahr 1951, der Vertragsunterzeichnung im Jahre 1952 und, erst ein ganzes Jahr später, der Ratifizierung im März 1953 lagen riesige Anstrengungen für alle Beteiligten. Außerdem schwebte das Damoklesschwert des gänzlichen Scheiterns über dem Vorhaben. Manche Abgeordneten stimmten wegen der Höhe der Entschädigungssumme oder der drohenden Verärgerung der Araber nicht zu oder enthielten sich. Letztendlich war der erfolgreiche erste Schritt der Mehrheit der CDU und der geschlossenen Zustimmung der Sozialdemokraten zu danken. Auch die Anbahnung der diplomatischen Beziehungen glich unter anderem wegen des Kräftevierecks Bundesrepublik Deutschland, Israel, DDR, Ägypten eher einer Echternacher Springprozession, bis unter Kanzler Erhard am 12. Mai 1965 Botschafter ausgetauscht wurden.

Nein, einfach war es nie, weder die deutsch-israelischen Beziehungen noch das deutsch-jüdische Zusammenleben in Deutschland.

Woran das liegt, hat György Konrad, der langjährige Präsident der Berliner Akademie der Künste, so ausgedrückt: "Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind wir weder Täter noch Opfer. Durch Blutsbande, Bekanntschaften oder kulturelle Bindungen aber gehen sie uns etwas an. Wir wissen von ihnen ... Auf einer inneren Bühne sind sie anwesend, lassen sich nicht verscheuchen. Sie kommen."

György Konrad hat Recht. Wer eine bewußte geschichtlich-kulturelle Prägung erfahren hat und sich seiner Entität zugehörig fühlt, der ist dem Kommen, besser gesagt dem Hinzudrängen der Täter-Opfer-Rolle fast hilflos ausgesetzt. Nicht jeder bringt so viel Geduld auf und schätzt es als erfreuliche Herausforderung ein wie Avi Primor, der israelische Botschafter der Jahre 1993 bis 1999, wenn sein deutscher Gesprächspartner unweigerlich und als Erster, was auch immer der Gegenstand und ursprüngliche Grund des Treffens gewesen sein mochte, das Thema Nazivergangenheit anschnitt.

Dieser Vergangenheitskomplex führt zu seltsamen Fehlhaltungen und treibt auch Blüten. Gestatten Sie mir bitte, Ihnen in diesem Zusammenhang eine Beobachtung mitzuteilen, die ich beim Nachlesen einschlägiger Bundestagsprotokolle machte. Spricht ein Mitglied des Bundestages über einen deutschen Juden, wird meist - Herrn Beck nehme ich ausdrücklich aus - die Umschreibung "jüdischer Mitbürger" oder "jüdischer Bürger" gewählt.

Professor Dr. Ernst Tugendhat, Philosoph und deutscher Jude, berichtete in dem Wochenblatt Die Zeit Ähnliches. In Deutschland, und nur in Deutschland, werde die Frage nach der Zugehörigkeit so gestellt: Sind Sie jüdischer Abstammung? Er fühle sich dann immer etwas gekränkt und sehe sich genötigt, zu antworten: Ich bin nicht nur jüdischer Abstammung; ich bin auch Jude.

Die höfliche Vorsicht, die in der umständlichen Frageform liegt, löst bei Tugendhat, so sagt er, ein ungutes Gefühl aus. Er kann es sich nur so vorstellen, daß der Fragende das Jude-Sein als etwas Anrüchiges, als einen Makel empfindet. Wie würde es in unseren Ohren klingen, wenn man beispielsweise den Berliner Kardinal fragte: Sind Sie katholischer Abstammung?

Auch Ignatz Bubis ging diese gewundene Umschreibung gegen den Strich. 1996 ließ er einen so genannten koscheren Knigge herausgeben. Darin heißt es wörtlich: "Sie dürfen ruhig ,Jude' sagen. Das Wort ist nicht beleidigend. Wenn es Ihnen dennoch nur schwer über die Lippen kommt, dann hat das damit zu tun, daß irgendwo in Ihrem Hinterkopf noch rudimentär frühere Zeiten stecken. Das allerdings ist Ihr Problem, nicht unseres."

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Warum nicht von Ignatz Bubis lernen? Mit allem Respekt: Ein Jude ist ein Jude; ein Christ ist ein Christ.

Die psychologische Erklärung für den Hang, das schlichte Wort Jude nicht zu gebrauchen, dürfte in der Tat darin liegen, daß es für viele Deutsche assoziativ mit der Judenvernichtung besetzt ist. Zugleich - das hat Herr Beck schon angesprochen - sind uns religiöse Inhalte und Riten des Judentums weitgehend fremd geworden. Wir wissen wenig von dem religiösen Universum und Reichtum einer 5.763jährigen Geschichte als auserwähltes Volk. Die Juden sind - ich spreche als Christ - unsere weit älteren Brüder und Schwestern. Sie waren sozusagen Gottes erste Liebe. Gott sagt in Genesis 12,3 zu Abraham: "Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. Ich will segnen, die dich segnen, wer dich verwünscht, den will ich verfluchen."

Indem wir Juden in unserer Vorstellung und aufgrund unserer Kenntnisdefizite von ihren religiösen Prägungen separieren, rauben wir ihnen den Wesensteil, der ihnen als einziges Volk der Welt ein jahrtausendelanges Überleben und ein Bewahren ihrer Identität gesichert hat. Ziel des Vertrages mit dem Zentralrat der Juden ist jedoch gerade, jüdische Identität sowie jüdisches kulturelles und religiöses Leben, also Jüdischkeit, in Deutschland langfristig zu sichern.

Wolfgang Bosbach hat das gute Einvernehmen zwischen dem Zentralrat und der Union betont. Ich pflichte dem auch mit Hinweis auf die gemeinsam gewünschte Änderung des Paragraphen 166 Strafgesetzbuch bei. Übereinstimmend mit dem jüdischen Vertreter sprach sich die Unionsfraktion für eine Verbesserung des Schutzes religiöser Bekenntnisse aus. Parallele Anschauungen sind auch in der Abtreibungsfrage zu verzeichnen. Oberrabiner Berger bezeichnete Abtreibung als strafwürdiges Blutvergießen.

Da vor dem Kriege gerade die liberalen jüdischen Gemeinden in Deutschland stark vertreten waren, bleibt mir abschließend nur die Bitte an den Zentralrat, die geringe Zahl der neu gegründeten liberalen jüdischen Gemeinden an der jährlichen Dotation anteilsmäßig zu beteiligen.

Schließen möchte ich mit einer Vision von einem zukünftigen umfassenden und friedlichen Zusammenleben aller Menschen guten Willens unter einem Dach und möchte dazu aus der Offenbarung des Johannes zitieren: "Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein."

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

 

Erst gefeiert, dann gefeuert: Blick in das Plenum der deutschen Volksvertretung. Foto: fotofinder/Michalke