Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
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Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Januar 2004
Paris 1900, Weltausstellung. Der Königsberger Eugen Zabel, geboren am 23. Dezember 1851, betrachtet mit Begeisterung das eindrucksvolle Bild, das die russische Regierung auf der Ausstellungsfläche von der sibirischen Eisenbahn, einer zukunftsträchtigen Neuerung, zu vermitteln wußte. Der Kreml war in verkleinertem Maßstab mit seinen Türmen und goldenen Kuppeln schon von weitem zu sehen und zog Eugen Zabel magisch an. In Sälen waren Teile des asiatischen Rußland, vom Kaukasus und dem transkaspischen Gebiet bis hin zu den unendlichen Steppen Sibiriens ausgestellt. Ein Teil des Gebäudes war in eine Eisenbahnhalle verwandelt, in der vier originale Waggons der Transsibirischen Eisenbahn, so wie sie bereits damals wöchentlich zwischen Moskau und Irkutsk verkehrten, ausgestellt. Der Plan, die Strecke einmal selbst zu bereisen, war in Zabels Vorstellung geboren. Doch es sollte noch einige Zeit dauern, ehe der Vielreisende sich auf den Weg begeben konnte, da noch nicht alle Bauabschnitte des gesamten Projekts abgeschlossen waren. Erst 1901 wurde das sogenannte "goldene Gleis" verlegt. Die offizielle Inbetriebnahme konnte erst am 14. Juni 1903 (1. Juni 1903 nach dem damals in Rußland geltenden julianischen Kalender) erfolgen. Mit der Fertigstellung der Transsibirischen Eisenbahn hatte Rußland seine strategischen Interessen weiter nach Osten verlagert. Die sibirische Bahn wurde aus russischer Sicht vor allem als Transportmittel für Übersiedler in die russische Provinz, aber auch für Kriegs- und Baumaterial verwendet. Obwohl Mos-kau und die damalige Hauptstadt St. Petersburg angesehene Metropolen waren, die viele Besucher aus aller Welt anlockten, war das Interesse an der russischen Provinz eher gering. Einen gewissen Charme hatte die sibirische Bahn für den Rest der Welt jedoch unter dem Aspekt, daß sie Reisen in Länder wie China und Japan, die sich dem Ausland zu öffnen begannen, verkürzen half und somit eine billigere Reisemöglichkeit als die über See bot. Im Sommer 1903 tritt der reiseerfahrene Journalist und Schriftsteller Eugen Zabel in Berlin seine Reise an. Zunächst fährt er in seine Heimatstadt Königsberg, wo er schon als Jugendlicher begonnen hatte, Gedichte zu schreiben. Von Königsberg geht die Reise weiter nach St. Petersburg, von wo aus das eigentliche Abenteuer beginnt. Die Waggons sind mit Luxuscoupes ausgestattet, es gibt allerdings auch Wagen zweiter Klasse, in der die Plätze um ein Drittel billiger sind. In der ersten Klasse beträgt der Reisepreis für damalige Verhältnisse stolze 600 Mark, die Fahrt von Berlin bis zum stillen Ozean dauert 16 Tage. Ein Coupé erster Klasse ist mit zwei Betten ausgestattet, verfügt über elektrisches Licht und doppelte Fenster wegen der stark schwankenden Temperaturen. Zwischen zwei Coupés gibt es eine Waschtoilette. Mittels Knopfdruck kann der Fahrgast einen Kellner herbeirufen. An Bord des Zuges gibt es neben einem Speisewagen einen großzügigen Baderaum mit Badewanne und eine Bibliothek. Auf seiner Reise lernt Eugen Zabel die unterschiedlichsten Menschen kennen, und er schildert eindrucksvoll die sich verändernde Landschaft, die an seinem Fenster vorbeifliegt. An den größeren Haltepunkten haben die Reisenden meist mehrere Stunden Aufenthalt, die der neugierige Journalist nutzt, um neue Eindrücke zu gewinnen. Das wohl aufregendste Erlebnis während der Reise ist die Havarie eines Zuges in Gegenrichtung, wegen dessen Bergung Zabels Zug mehrere Tage aufgehalten wird. Zu Unfällen kam es zu Beginn der Transsibirischen Bahn häufiger, ein hausgemachtes Problem, das mit dem Tempo und der damit verbundenen Nachlässigkeit der Bauarbeiten zusammenhing. Die Weite und Unberührtheit Rußlands schlägt sich auch in Zabels Reisebericht nieder: Zwischen den großen Haltepunkten ereignet sich nicht viel, so daß die Erzählung einige Längen aufweist. Die Bahnhöfe und die sich um sie gruppierenden Siedlungen wurden eigens für die sibirische Bahn erbaut. Sie wirken unwirklich und unpassend inmitten der weiten Landschaft. Als einen Höhepunkt seiner Reise schildert Zabel, als er in Dalnyi, dem Endpunkt der Bahnfahrt angelangt war, seinen Abstecher nach Shanghai und zur deutschen Niederlassung Tsingtau. Die Freude über die Anwesenheit deutscher Kultur und deutschen Brauchtums, die sich auch in deutschen Straßennamen ausdrückt, macht deutlich, daß Eugen Zabel im Zeitalter des Imperialismus in der Welt umherreiste, als ein gewisser Stolz auf sein Deutschtum noch als nicht anstößig galt. M. Rosenthal-Kappi Eugen Zabel: "Transsibirien. Mit der Bahn durch Rußland und China 1903", Erdmann Verlag 2003, geb., 318 Seiten, 22 Euro |