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07.02.04 / "Reise in die Hölle" / NDR zeigt Dokumentation über das ehemalige sibirische Arbeitslager Workuta

© Preußische Allgemeine Zeitung / 07. Februar 2004

"Reise in die Hölle"
NDR zeigt Dokumentation über das ehemalige sibirische Arbeitslager Workuta

Ganz warm angezogen stehen sie ein wenig steif da. Es soll ein warmer Wintertag sein, nur minus 42 Grad, sagen die Einheimischen. Zumindest ist den drei angereisten Deutschen diesmal nicht so eisig ums Herz wie bei ihrem ersten Aufenthalt vor über 50 Jahren als Häftlinge. Heute sind sie freiwillig hier. Horst Schüler, Lothar Scholz und Anita Wille sind in Begleitung der NDR-Redakteurin Rita Knobel-Ulrich, die eine Dokumentation über Workuta für das Fernsehen dreht.

Sechs Monate lang ist es in Workuta stockdunkel und erbarmungslos kalt - bis minus 50/60 Grad. "Es ist Menschen nicht zuzumuten, dort zu leben", soll einst der russische Zar Nikolaus II. gesagt haben, als man ihm nahelegte, die vorhandenen Kohlevorkommen abzubauen. Stalin hatte da weniger Bedenken. Workuta war Teil des Archipels GULag. Dorthin wurden Hunderttausende Stalin-Gegner in Viehwaggons deportiert.

So auch der heute 75jährige Lothar Scholz. Er wurde 1947 in der sowjetisch besetzten Zone als angeb-licher amerikanischer Spion verhaftet. 15 Jahre Arbeitslager lautete seine Strafe. Mit dem NDR durfte er nun im KGB-Archiv seine Häftlingsakte einsehen und im Butyrki-Gefängnis in Moskau seine alte Zelle besuchen, die für ihn Zwischenstation auf dem Weg nach Sibirien war. Doch als der NDR ihn filmen will, flieht er. Das damals empfundene Gefühl der Trostlosigkeit ist plötzlich wieder da, schnürt ihm die Kehle zu. Doch warum tut er sich das an? "Um davon zu träumen, mußte ich nicht erst dahin fahren", sagt er schlicht. Er will sich beweisen, daß es die Hölle Workuta nicht mehr gibt, und so fährt er weiter mit dem Zug nach Workuta - auf der Eisenbahnstrecke, von der es heißt, unter jeder Schwelle liege ein toter, einst für den Bau abkommandierter GULag-Häftling.

"Bis minus 46 Grad mußten wir raus", sagt Anita Wille. Als 17jährige wurde sie zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Horst Schüler und Lothar Scholz schufteten im Kohleschacht.

Immer noch leben die Kinder und Enkel der ehemaligen Häftlinge in der Stadt am Eismeer, denn auch wer aus der Lagerhaft entlassen wurde, mußte zur ewigen Verbannung in Workuta bleiben. Lothar Scholz kam 1955 dank Adenauer heim, doch nachts verfolgen ihn noch die Häscher von damals. "Es ist kein Unterschied, ob dir ein brauner oder roter Wächter die Zähne einschlägt, der Schmerz ist der gleiche", so Scholz, Autor des Buches "Im Namen von Marx, Engels, Lenin, Stalin. Eine Jugend in sowjetischen Strafgefangenenlagern". Aber man müsse auch bedenken, was die Kommunisten ihrem eigenen Volk angetan hätten. "Wenn man heute in Rußland erzählt, man wäre in einem GULag gewesen, dann ist man sofort herzlich aufgenommen, jeder hatte einen Verwandten dort."

Die Dokumentation "Workuta - Reise in die Hölle" (NDR, 12. Februar, 20.15 Uhr) zeigt eine sterbende Stadt. Von einst 500.000 Einwohnern leben nur noch knapp 100.000 dort. Erinnerungen an die Straflager sind fast alle aus dem Straßenbild entfernt. Das Erinnern wird nicht gern gesehen. So begleitete ein Aufpasser das Fernseh-team. "So doll ist das da mit der Demokratie nicht", lautet Lothar Scholz' Kommentar. Dank ihm und seinen Mitreisenden wird ein Teil der dunklen Vergangenheit Workutas an die Nachwelt weitergegeben. Es soll ihr eine Warnung sein. R. B.

Eine der wenigen Gedenkstätten: Gräberfeld der Opfer des Streiks in Workuta - Lothar Scholz, als angeblicher Spion dort inhaftiert, auf den Spuren seiner Vergangenheit. Fotos: NDR/Scholz