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14.02.04 / Was von Preußen bleibt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14. Februar 2004

Gastkommentar:
Was von Preußen bleibt
von Frank Schirrmacher

Von Preußen, dem meistgefürchteten der deutschen Länder, blieb zuletzt nur noch ein Adjektiv. Die "Stiftung Preußischer Kulturbesitz" verwahrt das Erbe des untergegangenen Staates in 17 Berliner Museen, einem Geheimen Staatsarchiv und im eigenen Namen. Jetzt soll auch das Eigenschaftswort verschwinden. Damit wäre der Name Preußen endgültig aus allem staatlichen und institutionellen Tun gestrichen und fast 60 Jahre nach Kriegsende ratifiziert, was die Alliierten im Februar 1947 angeordnet hatten: das Verbot des Landes Preußen als Hort des Unfriedens und des Militarismus.

Preußentum und Preußenangst sind Synonyme seit Jahrhunderten. Die "Warnung vor Preußen", um einen seinerzeit erfolgreichen Buchtitel zu zitieren, gehört zur Standardbelehrung des Nachkriegsdeutschen. Das Ungewöhnliche am gegenwärtigen Vorstoß aber ist, daß er aus dem innersten Kern selber kommt, aus der Stiftung, die es nur gibt, weil es Preußen gab, und die so etwas wie den idealen Geist des untergegangenen Staates bewahrte. Versteht man ihren Präsidenten Lehmann recht, so wirkt das Adjektiv traumatisierend. Die Stiftung, die unter anderem die Berliner Museumsinsel verwaltet, ist föderal strukturiert und auf das Geld der Bundesländer angewiesen. Aber immer weniger Länder sind bereit, für etwas zu bezahlen, das sich preußisch nennt - allen voran und offenbar ohne jeden folkloristischen Witz der Freistaat Bayern und Nordrhein-Westfalen.

Listig schlägt Lehmann den Namen "Stiftung Nationaler Kunstbesitz" vor. Ein solcher Titel würde die Solidarität verordnen, die Deutschland freiwillig für sein eigenes Erbe offenbar nicht mehr imstande ist aufzubringen. Gleichzeitig wäre Preußen getilgt und so etwas wie ein nationaler Kulturschatz postuliert - Einheit auf Kosten von Einzigartigkeit, ein wahrhaft Bismarckscher Gedanke, wenn auch von beträchtlich kleinerem Format.

Doch wer einmal von solchen Strategiespielen absieht, kann diesen letzten aller letzten Untergänge Preußens nicht anders als mit einem Gefühl der Scham notieren. Über das Für und Wider dieses Staates ist seit der großen Preußenausstellung von 1981 immer wieder verhandelt worden. Man hat falsche oder zumindest voreilige Ahnenreihen konzipiert, die von Friedrich zu Hitler verliefen; man hat das Obrigkeitstum, die Menschenplackerei, den Kadavergehorsam seiner Eliten ausgestellt und hat all das wieder relativiert und verworfen und neu geordnet, so daß am Ende ein vieldeutiges, ein gerechteres Bild von Preußentum und Preußenstaat entstand - es handelt sich hier um einen Prozeß steter Revision, wie er der Geschichtsschreibung in allen wichtigen Fragen vertraut und notwendig ist.

Im Kern all dieser Auseinandersetzungen aber blieb die Überzeugung intakt, daß Preußen - ebenso wie Habsburg - dem Land eine geistige und künstlerische Lektion erteilt hat, die in der neueren Geschichte ihresgleichen sucht und die den als militaristisch und engherzig verschrieenen Staat von Anbeginn zu einem Gehäuse von Philosophie und Kunst machte. Preußen war nicht nur Schinkel und Fontane, es war Kant und Kleist, Moses Mendelssohn, Max Liebermann und Kurt Tucholsky, und es war so unendlich viel mehr, das in keinem Museum der Welt je aufzustellen sein wird, weil es ein Klima, ein geistiges Aroma, ein Gefühl ist, aus dem heraus eine große kulturelle Inspiration möglich wurde. Und Preußen meldete sich auch zurück - der sechzigste Jahrestag steht dieses Jahr bevor -, als im Juli 1944 einige Verschwörer versuchten, Adolf Hitler zu töten.

Dies alles umschreibt der Titel einer "Stiftung Preußischer Kulturbesitz". Er gibt dem Erbe historisches Recht und Raum. Preußen war selbst eine Kunstfigur, ein synthetischer Staat, der viele seiner fehlenden landsmannschaftlichen Bindungskräfte durch Bindungen des Geistes ersetzte, die - das war die Entdeckung des Preußen Immanuel Kant - allen Menschen gemeinsam sind. Gerade weil Preußen nicht nur territorial, sondern exterritorial, als Gebiet auf den Landkarten der Kultur und der Überlieferung, zu lokalisieren ist, braucht es diesen letzten Lebensfunken; als Adjektiv in einem Museums- und Stiftungsnamen.

Von Napoleon stammt der berühmte Satz, Preußen sei bloß eine Episode. Das hat sich staatsrechtlich als wahre, wenn auch verfrühte Prognose erwiesen. Aber von dem, was in Preußen gedacht, gemalt, geschrieben wurde und was offenbar nur dort entstehen konnte, ist fast nichts bloße Episode geblieben.

Worum es jetzt geht, ist nicht die Frage, ob man Preußen mag oder nicht, und erst recht nicht die Frage, ob es wieder sein wird. Preußens Beitrag an die Welt galt gerade den größten unter den Preußen - etwa Theodor Fontane - als heikel und zwielichtig. Sein Staat, so heißt es in einer berühmten Passage, habe der Welt nichts anderes gebracht als die langen Kerls, den eisernen Ladestock, den Zopf "und jene wundervolle Moral, die den Satz erfunden hat: ,Ich hab ihn an die Krippe gebunden, warum hat er nicht gefressen?'" Fontane ist preußischer Kulturbesitz, und der eiserne Ladestock ist es auch, am Ende, auf unklare und jedenfalls zutiefst beunruhigende Weise, ist es auch der "Tag von Potsdam".

Es geht, was der Stiftungspräsident Lehmann wissen müßte, nicht um die Frage, was wir uns aussuchen und unter neuem Namen ausstellen können. Es geht einzig um die Frage, wie wir mit unserem Erbe umgehen, um die Frage also, ob wir Geschichte umlügen, weil die Haushaltskassen, die oft selber ganz und gar geschichtslosen Bundesländer und unsere Bequemlichkeit es uns so eingeben. Preußen hat das nicht verdient, unsere Nachkommen aber auch nicht. Sonst beginnt eines Tages deutsche Geschichte mit dem "Wunder von Bern".

(Der Autor ist Herausgeber der FAZ. Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. Februar 2004)